VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 19.04.2010 - 1 A 345/07 - asyl.net: M16926
https://www.asyl.net/rsdb/M16926
Leitsatz:

Kein Widerruf eines Abschiebungshindernisses, da der einmonatige Türkeiaufenthalt zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kägers geführt hat (PTBS).

Schlagwörter: Widerrufsverfahren, Abschiebungsverbot, Türkei, Abschiebungshindernis, Posttraumatische Belastungsstörung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylVfG § 73 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellung, dass für den Kläger ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG (heute: § 60 Abs. 7 AufenthG) besteht, liegen nicht vor. [...]

Nach diesen Maßstäben erweist sich der Widerruf als rechtswidrig. Nach dem Sachstand im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts steht nicht fest, dass die Voraussetzungen für die Feststellung, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungshindernis vorliegt, entfallen sind. Vielmehr sind die Gründe, die zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses in der Entscheidung des VG Göttingen vom 10.06.2004 (1 A 184/03) geführt haben, bestätigt worden. [...]

Das vom Gericht eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom 31.01.2010 hat diese Feststellungen bestätigt. Das Gutachten kommt zu dem umfassend und nachvollziehbar begründeten Ergebnis, dass bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Sein einmonatiger Türkeiaufenthalt habe zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt, wobei die Reise in die Türkei selbst ein typisches Verhalten einer traumatisierten Person darstellen könne. Der Gutachter kommt auch zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger im Fall einer Abschiebung eine Verschlechterung seines Krankheitsbildes bis hin zu einer erhöhten Suizidgefahr drohe. Denn für eine Verbesserung der Erkrankung des Klägers sei neben einer medikamentösen Behandlung unbedingt eine Psychotherapie notwendig, die der Kläger in der Türkei allerdings nicht erhalten könne, da diese Behandlungsformen dort eher eine untergeordnete bzw. gar keine Rolle spiele. Das Gericht folgt diesen überzeugenden Ausführungen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde. Die Beklagte hat medizinisch begründete Zweifel an dem Gutachten nicht vorgetragen, noch andere Beweismittel benannt. Im Gegenteil hat sie die Aussage des Gutachters bestätigt, dass in der Türkei die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen generell nur medikamentös erfolge. Außerdem erfolge die Betreuung krankenhausorientiert, weil ambulante Versorgungsangebote nicht existierten. Die Krankenhäuser seien mit Psychiatern unterbesetzt und Universitätskliniken könnten die Behandlung mittelloser Patienten mit einer "Grünen Karte" ausschließen. Behandlungen psychischer Erkrankungen nach westlichem Standard sind nur privatärztlich mit einer entsprechenden Honorierung möglich. Die Beklagte bestätigt damit, dass auch heute noch die gleiche Sachlage vorliegt, wie sie das VG Göttingen seiner Entscheidung vom 10.06.2004 zugrunde gelegt hat.

Nach alledem ist noch keine erhebliche und dauerhafte Veränderung der Lage gegenüber der Entscheidung aus dem Jahr 2004 eingetreten. Der Widerrufstatbestand des § 73 Abs. 3 AsylVfG ist damit nicht erfüllt. Da der Kläger weiterhin im Fall einer Abschiebung eine massive Verschlechterung seines Gesundheitszustandes erleiden würde, ist die negative Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG aufzuheben. [...]