VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 30.03.2010 - 8 K 410/08.A - asyl.net: M17013
https://www.asyl.net/rsdb/M17013
Leitsatz:

Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, da dem Kläger in der Türkei keine Gruppenverfolgung als Kurde und Yezide (mehr) droht.

Schlagwörter: Widerrufsverfahren, Türkei, Yeziden, Kurden, Gruppenverfolgung, religiöse Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Verfolgungsdichte, Widerruf
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Nach diesen Grundsätzen hat das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht den Widerruf der in seinem früheren Bescheid getroffenen Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG verfügt. Denn dem Kläger droht in der Türkei nunmehr keine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG mehr.

Ob eine solche Gefährdung des Klägers anzunehmen ist, ist nach den o.g. Kriterien hier nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, weil er im obigen Sinne nicht vorverfolgt ausgereist ist. Er ist in Syrien geboren, hat sich bis zu seiner Flucht ausschließlich dort aufgehalten und war danach nur während seiner kurzzeitigen Durchreise auf dem Weg in die Bundesrepublik Deutschland in der Türkei. Es besteht deshalb auch kein Anlass, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG im Sinne von Art. 4 Abs. 4 QRL von einem ernsthaften Hinweis darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist, auszugehen.

Auch das VG Magdeburg hat diesen Prognosemaßstab in seinem Urteil vom 12. Dezember 2001 für die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG für den Kläger zugrunde gelegt, zumal es dies darauf stützte, dass - so die Entscheidungsgründe - diesem als glaubensgebundenen Yeziden in der Türkei "mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit" eine mittelbare staatliche politische Verfolgung drohe. Dies entsprach der damals der auf diese Zeit bezogenen Erkenntnislage und der darauf beruhenden Rechtsprechung, wonach glaubensgebundene Yeziden - als solchen hat das VG Magdeburg den Kläger erachtet - in der Türkei einer (mittelbaren) Gruppenverfolgung unterlagen (vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 6. Februar 2003 - 8 A 3059/01.A -).

Unter Auswertung der ihr zur Verfügung stehenden und in das Verfahren einbezogenen Erkenntnisse geht die Kammer davon aus, dass der Kläger im Falle einer Ausreise in die Türkei dort nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG verfolgt wird und demzufolge der Tatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gegeben ist. Letzteres gilt aber selbst dann, wenn entgegen dem Vorgesagten der herabgestufte Prognosemaßstab dem Kläger zugute kommen sollte. Denn dieser ist nach den der Kammer vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen vor einer solchen Verfolgung sogar hinreichend sicher im vorgenannten Sinne.

aa) Dies gilt zunächst im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer, die in Übereinstimmung mit der gefestigten Rechtsprechung des OVG NRW steht (vgl. zusammengefasst in OVG NRW, Urteil vom 19.04.2005 - 8 A 273/04.A -) sind Kurden als solche in der Türkei einer ethnisch motivierten staatlichen Verfolgung nicht ausgesetzt. An dieser Einschätzung hält die Kammer auch nach nochmaliger Überprüfung fest.

bb) Auch wegen seiner Zugehörigkeit zur yezidischen Glaubensgemeinschaft muss der in der Türkei aktuell keine politische Verfolgung befürchten. Die tatsächlichen Verhältnisse in der Türkei stellen sich bereits seit spätestens Anfang des Jahres 2006 so dar, dass er dort als Angehöriger der yezidischen Glaubensgemeinschaft keiner politischen Verfolgung (in Form der mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung) (mehr) ausgesetzt ist bzw. sein wird. [...]

Diese Bewertung der aktuellen Situation der Yeziden in der Türkei macht sich das erkennende Gericht für das vorliegende Verfahren zu eigen. Demnach sind Yeziden - und damit vorliegend der Kläger - in der Türkei insbesondere auch unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL (i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei hinreichend sicher vor einer Gruppenverfolgung im vorgenannten Sinne (im Ergebnis ebenso nach Auswertung zahlreicher Erkenntnisquellen: Hessischer Verwaltungsgerichtshof (VGH Hessen), Beschluss vom 6. August 2009 - 2 A 2842/05.A -; OVG Niedersachsen, Urteile vom 24. März 2009 - 2 LB 643/07 -, juris, und vom 17. Juli 2007 - 11 LB 332/03 -, juris; VG Minden, Urteile vom 26. Mai 2009 - 12 K 2489/06.A - und vom 15. Januar 2008 - 8 K 1733/06.A -, juris, VG Bremen, Urteil vom 5. Juni 2008 - 2 K 1001/06.A -, juris; VG Oldenburg - Urteil vom 16. Oktober 2008 - 5 A 529/06 -, juris).

Diese Einschätzung wird auch aktuell nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass das Auswärtige Amt, das in der Vergangenheit die Situation der Yeziden in der Türkei sehr wohl kritisch eingeschätzt hat, seither in seinen Lageberichten von religiös motivierten Übergriffen in der Türkei von Seiten der Muslime gegen Yeziden nichts (mehr) berichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebeschutzrelevante Lage in der Türkei (Lagebericht) vom 25. Oktober 2007 (Stand: September 2007) sowie Lageberichte vom 11. September 2008 (Stand: Juli 2008) und vom 29. Juni 2009).

In Anbetracht dessen und der der Kammer im Übrigen vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse führen weder die vom Kläger angeführten anderslautenden Entscheidungen anderer Gerichte noch sein Vorbringen zu einer anderen Bewertung.

Dies gilt insbesondere zunächst für den Vortrag des Klägers, in der Türkei würden lediglich noch wenige hundert Yeziden leben. Selbst wenn die konkretere, unter Bezugnahme auf die Auflistung yezidischer Dörfer und ihrer Einwohnerzahl des Yezidischen Kultur-Zentrums in Celle und Umgebung e.V. vom 18. August 2008 aufgestellte Behauptung zutreffen sollte, dass in der Türkei (nur noch) 402 Yeziden leben, folgt daraus kein anderes Ergebnis. Auch bei einer - einmal unterstellten - relativ geringen Anzahl von 402 Gruppenangehörigen ist damit eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung vorausgesetzte Verfolgungsdichte, aufgrund derer für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet wäre, in eigener Person Opfer solcher Übergriffe zu werden, ersichtlich nicht gegeben. Bereits das OVG NRW hat in seinem o.g. rechtskräftigen Urteil vom 14. Februar 2006 - 15 A 2119/02.A - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die mittelbare Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei abgelehnt, dabei unterstellt, dass es zwischen 2002 und 2006 zu vier asylrelevanten (mittelbaren) Verfolgungsmaßnahmen gegen Yeziden in der Türkei gekommen sei und ausdrücklich offengelassen, ob die in Rede stehende Gruppe nur aus 363 Personen bestehe oder von ca. 2000 Personen auszugehen sei. In seinem weiteren Urteil vom 31. August 2007 - 15 A 994/05.A - hat das OVG NRW für zehn der elf in den Stellungnahmen des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006 und 20. März 2007 sowie von Baris vom 17. April 2006 aufgeführten Übergriffe eine Asylrelevanz verneint, wobei dies auch drei der vier im Urteil vom 14. Februar 2006 noch als asylrelevant unterstellte Vorfälle umfasste, und unter Zugrundelegung der Asylerheblichkeit dann noch eines verbleibenden Vorfalls die für die Annahme einer Gruppenverfolgung vorausgesetzte Verfolgungsdichte als nicht gegeben erachtet, zumal auch das Yezidische Forum nicht mehr lediglich von 363 Yeziden in der Türkei ausgehe, sondern von 524. Nach alledem ist auch bei der behaupteten Zahl von 402 in der Türkei lebenden Personen die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte - ungeachtet der weiteren Frage, inwieweit etwaige Verfolgungsmaßnahmen dem türkischen Staat zuzurechnen wären - nicht gegeben. Die in diesem Zusammenhang vom Kläger gestellten Beweisanträge hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Soweit der Kläger beantragt hat, zum Beweis für die tatsächlichen Angaben der vom Yezidischen Kultur-Zentrum in Celle und Umgebung e.V. gefertigten Aufstellung der yezidischen Dörfer mit der jeweiligen Einwohnerzahl vom 18. August 2008 den Zeugen Salih Yalti zu vernehmen, war dies unsubstantiiert (geblieben). Denn zum einen ist dem Beweisantrag nicht zu entnehmen, welche genauen tatsächlichen Behauptungen damit unter Beweis gestellt werden sollten. Ebenso wenig war dargetan, ob der Zeuge etwas zu den in sein Wissen gestellten Behauptungen aus eigenem Erleben oder vom Hörensagen bekunden können sollte. Jedenfalls aber sind die in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptungen - die Kammer geht dabei davon aus, dass der Zeuge die in der überreichten Aufstellung des Yezidischen Kulturzentrums in Celle und Umgebung e.V. vom 18. August 2008 - aufgelisteten yezidischen Dörfer mit der jeweiligen Einwohnerzahl bestätigen soll(te) - für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Denn selbst bei Unterstellung der daraus zu entnehmenden Anzahl von 402 in der Türkei (noch) lebenden Yeziden rechtfertigt dies - wie bereits ausgeführt - die Annahme einer (mittelbaren) Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei nicht. Schon deshalb konnte die Kammer auch den weiteren Antrag des Klägers, zum Beweis der Behauptung, dass die vorgenannte Aufstellung auf den Feststellungen des Herrn ... beruhe und dieser im Auftrage des o.g. Yezidischen Kultur-Zentrums 2007 in der Türkei in den jeweiligen Dörfern die Anzahl der Yeziden recherchiert habe, den Zeugen zu vernehmen, ablehnen. Außerdem war dieser Beweisantrag unsubstantiiert, da ihm nicht zu entnehmen war, wie der Zeuge zu dem fraglichen Wissen gekommen sein soll, und ob er etwas zu den in sein Wissen gestellten Behauptungen aus eigenem Erleben oder lediglich vom Hörensagen bekunden können sollte.

Auch soweit der Kläger zur Situation der Yeziden in der Türkei auf eine Stellungnahme des Yezidischen Kultur-Zentrums in Celle und Umgebung e.V. vom 17. Juli 2008 sowie einen Reisebericht der yezidischen Delegation von Kiwex vom Februar 2006 Bezug nimmt, führt dies nicht weiter. Soweit diesen Dokumenten überhaupt tatsächliche Behauptungen zu entnehmen sind, bieten sie jedenfalls keine Gewähr für ihre Richtigkeit, zumal nicht nachzuvollziehen ist, ob und ggf. auf welche Erkenntnisse bzw. Quellen diese gestützt werden (können). Solche sind nicht näher bezeichnet. Bei dem erwähnten Reisebericht ist zudem bereits der Verfasser desselben nicht genau zu ersehen, da dieser lediglich mit "Der Rat des Dorfes" unterschrieben ist, ohne Angaben oder Unterschriften von Personen zu enthalten. Angesichts dieser Umstände drängt sich der Kammer unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse eine weitere Sachaufklärung insofern nicht auf. Den in diesem Zusammenhang gestellten Antrag des Klägers, zum Beweis der tatsächlichen Angaben in der Stellungnahme des Yezidischen Kultur-Zentrums in Celle und Umgebung e. V. vom 17. Juli 2008 sowie des Reiseberichtes der yezidischen Delegation aus Kiwex vom Februar 2006 die Zeugen ... und ... zu vernehmen, hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung als unsubstantiiert abgelehnt. Die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen waren nicht hinreichend bestimmt genug benannt. Die bloße Bezugnahme auf die vorgenannten Dokumente genügt dafür nicht, zumal es damit dem Gericht überlassen blieb, zu beurteilen, bei welchem Inhalt der fraglichen Dokumente es sich um tatsächliche Behauptungen, die unter Beweis gestellt sein sollen, handeln soll oder nicht. Darüber hinaus war der Beweisantrag aber auch deshalb unsubstantiiert, weil nicht dargetan worden ist, wie die benannten Zeugen das in ihr Wissen gestellte Wissen erlangt haben sollen und zu welchen Tatsachenbehauptungen im Einzelnen sie etwas aus eigenem Erleben oder vom Hörensagen bekunden (können) sollten.

Für den Kläger folgt auch nichts Weitergehendes aus seinem Vortrag, die yezidische Religion werde in der Öffentlichkeit ausgeübt, dies sei für die Ausübung der yezidischen Religion essentiell und daran seien Yeziden in der Türkei gehindert. Allerdings sind nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG bei der Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 dieser Vorschrift vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 QRL ergänzend anzuwenden und nach Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe, dass der Begriff der Religion u.a. die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen umfasst. Eine relevante Beeinträchtigung der so verstandenen Religionsfreiheit ist jedoch nur bei schwerwiegenden Eingriffen gegeben, vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a QRL. Die Gefahr einer solchen ist jedenfalls für den Kläger im Falle seiner Ausreise in die Türkei nicht gegeben.

Dies folgt für diesen bereits daraus, dass er schon nicht substantiiert dargetan hat, ob und ggf. welche Formen öffentlicher Religionsausübung er selbst überhaupt konkret praktiziert bzw. ernsthaft zu praktizieren beabsichtigt, welche davon ggf. für seine Glaubenspraxis essentiell sein soll(t)en und ggf. welche davon er in der Türkei gehindert wäre, wahrzunehmen. Der schlichte Hinweis auf Seite 15 des Schriftsatzes seines Prozessbevollmächtigten vom 6. Januar 2010, "auch" der Kläger bekenne "auch" auf diese Weise - gemeint ist die in diesem Schriftsatz zuvor erfolgte Darstellung öffentlicher Religionsausübung durch Yeziden - öffentlich seinen Glauben, genügt dafür nicht. Einer substantiierteren Darlegung hätte es insofern aber insbesondere deshalb bedurft, weil die Beurteilung, welche öffentlich sichtbare Religionsausübung für den Einzelnen zu den unverzichtbaren Formen seiner Glaubenspraxis gehört, von der Stärke seiner jeweiligen persönlichen religiösen Bindungen und damit nicht von einer pauschalen Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft, sondern von einer einzelfallbezogenen Prüfung abhängt (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 24. März 2009 - 2 LB 643/07 juris (Rdnr. 144), m.w.N.).

Eine diesbezüglich weitere Sachaufklärung der Kammer u.a. durch seine Befragung hat der Kläger nicht ermöglicht, zumal er trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. März 2010 ohne Entschuldigung ferngeblieben ist.

Im Übrigen stehen dem Vorbringen des Klägers, Yeziden übten ihre Religion auch öffentlich aus und seien darauf essentiell angewiesen, die bisherigen - weitgehend übereinstimmenden - Erkenntnisse über die Ausübung der yezidischen Religion entgegen. Danach wird die Zugehörigkeit zum Yezidentum ausschließlich über die Geburt vermittelt, d.h. eine Konversion zum Yezidentum ist nicht möglich, so dass dieser Religion das - öffentlich sichtbar werdende - Element der Missionierung fremd ist. Viele Riten werden unter Ausschluss anderer Glaubenszugehöriger, d.h. nicht öffentlich praktiziert. Damit ist die öffentliche Darstellung der eigenen religiösen Identität kein wesentliches hergebrachtes Element des yezidischen Glaubens (vgl. OVG NRW, Urteil vom 31. August 2007 - 15 A 994/05.A -, m.w.N., OVG Niedersachsen, Urteil vom 24. März 2009 - 2 LB 643/07 -, juris (Rdnr. 140), m.w.N.; VGH Hessen, Beschluss vom 6. August 2009 - 2 A 2842/05.A -, m.w.N.).

Insbesondere mit Rücksicht darauf hat das OVG NRW in seinem oben zitierten Urteil vom 31. August 2007 - 15 A 994/05.A - eine relevante Beeinträchtigung der Religionsausübung von Yeziden in der Türkei auch unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Glaubensbetätigung verneint. Dem hat sich die Kammer - wie ausgeführt - angeschlossen.

Ihr drängt es sich in Anbetracht der ihr insofern vorliegenden und in das Verfahren eingeführten zahlreichen Erkenntnisse nicht auf, dem - wie ausgeführt - anderslautenden Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass - wie ausgeführt - der Kläger schon nicht substantiiert dargelegt hat, ob und ggf. welche Formen öffentlicher Religionsausübung er selbst überhaupt konkret praktiziert bzw. ernsthaft zu praktizieren beabsichtigt, welche davon ggf. für seine Glaubenspraxis essentiell sein soll(t)en und ggf. welche davon er in der Türkei gehindert wäre, wahrzunehmen.

Den in diesem Zusammenhang vom Kläger gestellten Antrag, den sachverständigen Zeugen Professor Dr. Philip Kreyenbroek zum Beweis dafür zu vernehmen, dass öffentliche Feierlichkeiten wie Feste für das religiöse Leben der Yeziden von essentieller Bedeutung seien, diese orthopraktische Religion ohne solche Feierlichkeiten nicht überleben könne und das Begehen dieser Feste den Yeziden in den moslemisch dominierten Ländern unmöglich gemacht werde, ohne dass ihnen von der Seite der Behörden irgendein Schutz gewährt werde, als unzulässig und unsubstantiiert abgelehnt. Beim Beweismittel des sachverständigen Zeugen handelt es sich um einen Zeugenbeweis (§ 173 VwGO i.V.m. § 414 der Zivilprozessordnung - ZPO -), so dass die substantiierte Stellung eines solchen Beweisantrages erfordert, die in das Wissen des sachverständigen Zeugen gestellten einzelnen (vergangenen) Tatsachen oder Zustände zu benennen. Diesen Anforderungen ist der vorgenannte Beweisantrag des Klägers nicht gerecht geworden. Der (sachverständige) Zeuge ist vielmehr zum einen zu Beweisthemen - nämlich Wertungen und Schlussfolgerungen - benannt, für die nach der Prozessordnung nur ein Sachverständiger als zulässiges Beweismittel in Betracht kommt. Soweit zum anderen beantragt ist, den Zeugen zum Beweis der Behauptung zu vernehmen, dass das Begehen der fraglichen Feste in den moslemisch dominierten Ländern unmöglich gemacht werde, ohne dass ihnen von der Seite der Behörden irgendein Schutz gewährt werde, fehlt es schon an der notwendigen hinreichend bestimmten Bezeichnung der einzelnen, in das Wissen des Zeugen gestellten Tatsachen.

Der Kläger hat im Weiteren aber auch nicht substantiiert dargelegt, dass ihm - soweit die sich im Wandel begriffenen yezidischen Glaubensregelungen dies überhaupt zulassen - eine Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Türkei verwehrt werden würde. Nach den der Kammer vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist dies nicht der Fall. Das OVG Niedersachsen hat in seinem o.g. Urteil vom 24. März 2009 - 2 LB 643/07 - dazu Folgendes ausgeführt:

"... Der Senat hat bereits im Urteil vom 17. Juli 2007 (a.a.O., UA S. 15, 17 u. 31) unter Auswertung der dazu vorliegenden Erkenntnismittel im Einzelnen ausgeführt, dass in den letzten Jahren vermehrt in Deutschland verstorbene Yeziden in die Türkei überführt und dort nach religiösem Ritus beigesetzt worden sind. Nach Angaben des 1. Vorsitzenden des yezidischen Kulturzentrums in AH. und Umgebung habe sich etwa die Hälfte der verstorbenen Mitglieder seines Vereins in der Türkei beerdigen lassen. Zur Unterbringung von Trauergästen aus dem Ausland wurde im AW. sogar ein sog. "yezidisches Haus" gebaut, in dem sich auch ein Raum für Trauerfeiern befindet. Außer in AW. gibt es mindestens auch an zwei weiteren Orten im Südosten der Türkei yezidische Friedhöfe, nämlich in BA. und BG.. Einen weiteren Friedhof scheint es in BJ. zu geben, Es ist ebenfalls bekannt, dass an den Trauerfeiern neben Angehörigen auch muslimische Nachbarn teilnehmen. Diese Entwicklung zeigt exemplarisch, dass religiöse Riten der Yeziden, soweit sie in der Öffentlichkeit stattfinden, von muslimischen Nachbarn zumindest toleriert werden ..."

Dementgegen hat der Kläger zwar vorgetragen, dass Beerdigungen, Hochzeiten, Bisk-Zeremonien sowie größere Zusammenkünfte der Yeziden an den Feiertagen nicht stattfinden könnten, ohne dass vorher entsprechende Zahlungen an Großgrundbesitzer, örtliche Honoratioren und Militär geleistet würden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Substantiiert benennt der Kläger als einzigen Referenzfall dafür jedoch allein, dass nach der Stellungnahme des Yezidischen Forums e.V. zur Situation der Yeziden in der Türkei vom 04. Juli 2006 auf Seite 4 für eine "Beerdigung in M. die Dorfschützer Summen in der Größenordnung von 3.000,-- € verlangt" hätten. Bereits das OVG Niedersachsen hat indes dieses Vorbringen aufgrund der diesbezüglich eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. Januar 2007 in seinen Urteilen vom 17. Juli 2007 - 11 LB 332/03 - und vom 24. März 2009 - 2 LB 643/07 - als nicht bestätigt erachtet und insbesondere in Letzterem dazu ausgeführt:

"... Diese Einschätzung wird auch nicht durch das Vorbringen der Beigeladenen zu 2) in Frage gestellt, dass die Überführung und Beerdigung von in Deutschland verstorbenen Yeziden in der Regel nur gegen Geld- und Sachgeschenke an Großgrundbesitzer, einflussreiche Moslems und gegebenenfalls das örtliche Militär möglich seien. Der Senat hat sich mit dieser Behauptung, die auf einer Stellungnahme des Yezidischen Forums e.V. vom 4. Juli 2006 beruht, bereits im Urteil vom 17. Juli 2007 (a.a.O., UA S. 31 u. 42) auseinander gesetzt. Das dazu befragte Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft vom 26. Januar 2007 an den Senat mitgeteilt, es sei die Regel, dass Angehörige von in Europa verstorbenen Yeziden oftmals muslimische Bekannte in der Türkei mit den Bestattungen beauftragten und für Leichenwagen bzw. Krankenwagen und insbesondere für Bestattungsfeiern ca. 2.000,- EUR bis 3.000,- EUR überwiesen. Dieses Geld werde für die Beisetzung und insbesondere für das traditionelle Essen im Rahmen der Trauerfeier verwendet. Dagegen hat es die vom Yezidischen Forum e.V. aufgestellte Behauptung, Yeziden müssten regelmäßig an Moslems Erpressungsgelder zahlen, nicht bestätigen können. Befragungen hierzu bei diversen Stellen bzw. Personen seien negativ verlaufen. Derartige Straftaten seien weder angezeigt worden noch existierten Ermittlungsverfahren. Der Senat sieht weiterhin keinen durchgreifenden Anlass, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln ..."

Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer an. Sonstige Referenzfälle für seinen Vortrag, dass Beerdigungen, Hochzeiten, Bisk-Zeremonien sowie größere Zusammenkünfte der Yeziden an den Feiertagen nicht stattfinden könnten, ohne dass vorher entsprechende Zahlungen an Großgrundbesitzer, örtliche Honoratioren und Militär geleistet würden, um die Sicherheit zu gewährleisten, hat der Kläger nicht konkret und substantiiert angegeben. Dies gilt auch in Anbetracht seines Vorbringens, "auch in den Anmerkungen des Yezidischen Forums e.V. vom 18. Dezember 2007 zu dem Urteil des OVG Niedersachsen vom 17. Juli 2007" werde ausgeführt, dass die Hoffnungen einiger Älterer, zumindest zeitweise in Kiva zu leben und Beerdigungen selbst zu organisieren, also keine Schutzgelder zu zahlen, sich nicht erfüllt hätten und Besucher aus Deutschland nur unter Sicherheitsvorkehrungen Dörfer aufsuchen könnten, d.h. sie müssten sich beim Großgrundbesitzer, den örtlichen Honoratioren und dem Militär anmelden, entsprechende Zahlungen leisten und Begleitpersonen engagieren, anders sei ihre Sicherheit nicht gewährleistet. Ein konkreter Vorfall der fraglichen Art ist damit nicht bezeichnet. Die von ihm erwähnten Urteilsanmerkungen des Yezidischen Forums e.V. selbst hat der Kläger nicht vorgelegt. [...]

Ist nach alledem der Kläger in der Türkei vor einer (erneuten) Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) hinreichend sicher und ist damit der Tatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfüllt, unterliegt der verfügte Widerruf der vormaligen Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG auch in sonstiger Hinsicht keinen Bedenken.

Insbesondere kann der Kläger aus der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nichts für sich herleiten. Nach dieser Bestimmung ist im Ergebnis die Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu widerrufen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies ist hinsichtlich des Klägers indes nicht der Fall.

Daran führt auch dessen Vortrag nicht vorbei, dass eine religiöse Betreuung von Yeziden in der Türkei aufgrund des Fehlens der dafür erforderlichen Sheikh- und Pir-Familien nicht gewährleistet sei. Denn das etwaige Fehlen einer religiösen Infrastruktur - um das es bei dem fraglichen Vorbringen des Klägers im hier relevanten Zusammenhang allein geht - führt nicht zur Unzumutbarkeit der Rückkehr i.S.v. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juni 2008 - 15 A 3611/07.A -, m.w.N.).

Diese Bestimmung soll der Sondersituation solcher Personen Rechnung tragen, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Flüchtlingsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren. Eine derartige Konstellation steht mit der Behauptung des Klägers, aufgrund des Fehlens der dafür erforderlichen Sheikh- und Pir-Familien sei eine religiöse Betreuung nicht gewährleistet, nicht in Rede. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich - abgesehen von seiner kurzzeitigen Durchreise durch die Türkei nach seiner Flucht aus Syrien - in der Türkei zuvor nicht aufgehalten und dort auch keine Verfolgung konkret erfahren hat. In Anbetracht des Vorstehenden konnte die Kammer - wie geschehen - auch in diesem Zusammenhang den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass eine religiöse Betreuung von Yeziden in der Türkei aufgrund des Fehlens der dafür erforderlichen Sheikh- und Pir-Familien nicht gewährleistet sei, als für die Entscheidung ohne Bedeutung ablehnen.

Auch ansonsten ist nichts dafür ersichtlich oder dargetan, dass dem Kläger eine Rückkehr in die Türkei im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht zuzumuten sein könnte.

War nach alledem die zugunsten des Klägers erfolgte Feststellung der Voraussetzungen des § 51 AuslG zu widerrufen, ergibt sich auch nichts anderes, wenn mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 2. März 2010 - C-175/08 - davon ausgegangen wird, dass im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. e QRL die Flüchtlingseigenschaft (nur) erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 lit. c QRL genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor Verfolgung im vorgenannten Sinne haben muss und für die Beurteilung einer Veränderung der Umstände die zuständigen Behörden des Mitgliedsstaates sich im Hinblick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern müssen, dass der oder die nach Art. 7 Abs. 1 QRL in Betracht kommenden Akteure, die Schutz bieten können, geeignete Schritte eingeleitet haben, um die Verfolgung zu verhindern, dass die Akteure demgemäß insbesondere über wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, verfügen und dass der betreffende Staatsangehörige im Fall des Erlöschens seiner Flüchtlingseigenschaft Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 -, juris).

Denn nach den der Kammer vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen hat der türkische Staat im vorgenannten Sinne geeignete Maßnahmen ergriffen, um die religiös bedingte Verfolgung von Yeziden zu verhindern und verfügt auch über wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von solchen Verfolgungshandlungen. Der Kläger wird auch hinreichenden Zugang zu diesem Schutz haben.

Bereits das OVG NRW hat in seinem Urteil vom 31. August 2007 - 15 A 559/05.A - ausgeführt, dass der türkische Staat erkennbar bemüht ist, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Europäische Union gerade auch in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte zu erfüllen und in Verfolgung dieses Ziels eine Vielzahl von Verfassungs- und Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht hat. Im Rahmen dieses Bestrebens sind die türkischen Staatsorgane zunehmend bereit und in der Lage, verfolgte Minderheiten und auch die Yeziden gegen Übergriffe Dritter zu schützen. So ist es Yeziden seit Ende 2001 vermehrt gelungen, mit Hilfe von türkischen Behörden und Gerichten ihre Eigentumsrechte durchzusetzen (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 17. Juli 2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnr. 48 m.w.N.).

Mittlerweile können Yeziden in der Türkei verstärkt mit effektivem Rechtsschutz rechnen. Staatliche Stellen nehmen im Unterschied zu früher Anzeigen und Strafanträge von Yeziden entgegen, nehmen Ermittlungen auf und grundsätzlich ist ein wirksamer Rechtsschutz durch Gerichte gewährleistet. Dass gegen muslimische Beschuldigte eingeleitete strafrechtliche Verfahren mitunter mangels Beweises eingestellt werden oder auch zivilgerichtliche Urteile manchmal wegen Beweisschwierigkeiten zu Ungunsten von Yeziden ausfallen, ist kein Grund, an der - nunmehrigen - staatlichen Schutzbereitschaft zu zweifeln. Abgesehen davon ist es keiner staatlichen Ordnungsmacht - auch in Westeuropa - möglich, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 17. Juli 2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnr. 57 m.w.N.).

Dass die vorgenannten Maßnahmen des türkischen Staates hinreichenden Schutz der Yeziden vor religiös motivierten Verfolgungshandlungen gewährleisten, wird zur Überzeugung der Kammer auch dadurch bestätigt, dass - wie ausgeführt - seit mehreren Jahren solche Übergriffe von Muslimen gegenüber Angehörigen dieser Religionsgruppe nicht mehr bzw. jedenfalls nicht mehr in einer solchen Dichte bekannt geworden sind, als dass darauf die Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung gestützt werden könnte. [...]