Aussetzung des Verfahrens zum deutschen Verbot des aus Dänemark ausstrahlenden Senders Roj-TV zur Klärung durch den EuGH, ob die EU-Fernseh-Richtlinie ein nationales Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung ausschließt.
---
Siehe hierzu EuGH, Urteil vom 22.9.2011, C-244/10, C-245/10, Roj TV A/S gg. Deutschland, M19011.
[...]
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage eingeholt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift über ein Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung in den durch die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl EG Nr. L 298 S. 23) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG vom 30. Juni 1997 (ABl EG Nr. L 202 S. 60) koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art. 2a der Richtlinie ausgeschlossen ist. [...]
Der Rechtsstreit ist in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO auszusetzen, weil der Ausgang des schwebenden Verfahrens von einer vorab einzuholenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts abhängt (Art. 267 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Abs. 3 AEUV). Gemessen an den Bestimmungen des nationalen Rechts (1.) muss der zulässigen Klage der Erfolg versagt bleiben, weil das Bundesministerium des Innern die angefochtene Verbotsverfügung, gegen deren formelle Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen (2.), in materiell-rechtlicher Hinsicht zwar zu Unrecht auf den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG gestützt hat (3.), diese jedoch durch den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG getragen wird (4.). Der Senat kann sich indes ohne die Vorabentscheidung keine Gewissheit darüber verschaffen, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung des nationalen Rechts entgegensteht (5.).
1. Das in der angefochtenen Verfügung gegenüber der Klägerin ausgesprochene Betätigungsverbot ist auf § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz - VereinsG) vom 5. August 1964 (BGBl 1 S. 593), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3198), Art. 9 Abs. 2 GG und § 18 Satz 2 VereinsG gestützt.
Die in Dänemark ansässige Klägerin, die ihr Fernsehprogramm auch nach Deutschland ausstrahlt, ist ein ausländischer Verein im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, dessen Tätigkeit sich auf den räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes erstreckt. Ein solcher Verein kann in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG unter anderem aus den Gründen des Art. 9 Abs. 2 GG verboten werden. Hieraus folgt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung im Rahmen von § 14 und § 15 VereinsG: Urteile vom 25. Januar 1978 - BVerwG 1 A 3.76 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 2 S. 5 ff. und vom 25. Januar 2006 - BVerwG 6 A 6.05 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 44 S. 1), dass auch ein ausländischer Verein aus diesen Gründen erst dann als verboten behandelt werden darf, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Hat der ausländische Verein im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes keine Organisation, so richtet sich das Vereinsverbot gegen seine Tätigkeit in diesem Bereich. Gleiches gilt, wenn der Verein als Gesamtvereinigung zwar über eine Teilorganisation im Inland verfügt, sich aber - wie es die Beklagte im Hinblick auf die Klägerin gegeben sieht - darüber hinaus, also nicht nur durch eine inländische Teilorganisation, im Geltungsbereich des Gesetzes betätigt. Ein auf ein solches betätigungsbezogenes Verbot ist auch als Anknüpfung für eine Erstreckung auf eine inländische Teilorganisation der betroffenen Vereinigung geeignet (Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 A 13.93 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 26 S. 97). [...]
2. Die Verbotsverfügung leidet nicht an formell-rechtlichen Mängeln.
a) Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 VereinsG war das Bundesministerium des Innern für den Erlass der Verfügung zuständig. Nach dieser Bestimmung ist das Bundesministerium Verbotsbehörde (auch für Betätigungsverbote, vgl. Urteil vom 25. Januar 2006 a.a.O. S. 1) für ausländische Vereine im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 VereinsG.
b) Einer Anhörung der Klägerin vor Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung bedurfte es nicht. Zwar ist nach § 28 Abs. 1 VwVfG vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Jedoch kann nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von der Anhörung abgesehen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vereinsrecht (Urteile vom 13. April 1999 - BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30 S. 3, vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 S. 78 und vom 5. August 2009 - BVerwG 6 A 3.08 - juris Rn. 14) genügt es, dass die Verbotsbehörde unter diesen Gesichtspunkten auf Grund der ihr bekannt gewordenen Tatsachen eine sofortige Entscheidung für notwendig halten durfte.
Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt, denn das Bundesministerium des Innern hat nach der Begründung der Verfügung von einer Anhörung der Klägerin und der anderen von der Verbotsverfügung betroffenen Vereine deshalb abgesehen, weil es befürchtete, insbesondere die von ihm als Teilorganisation der Klägerin eingestufte VIKO werde diese Anhörungen zum Anlass nehmen, ihr in Deutschland noch vorhandenes Vereinsvermögen und etwaige Beweismittel dem staatlichen Zugriff zu entziehen oder zu vernichten. Diese Organisation habe bereits in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen der vorangegangenen vereinsrechtlichen Ermittlung damit begonnen, Teile ihrer Produktion und ihrer Arbeitsmittel nach Belgien zu verlagern. Gegen dieses nachvollziehbare Bestreben des Bundesministeriums, der Verbotsverfügung eine möglichst große Wirksamkeit zu verleihen, ist nichts zu erinnern.
3. In der Sache kann der Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG nach den speziell für eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG und generell für die Strafgesetzwidrigkeit von Vereinen bestehenden Voraussetzungen (a)) nicht als Grundlage für das gegenüber der Klägerin verhängte Verbot dienen. Denn die Verantwortlichen und Mitarbeiter der Klägerin handeln, was die Ausstrahlung von Fernsehsendungen mit einem die PKK betreffenden Inhalt mittels Satellit von Dänemark aus - auch - nach Deutschland anbelangt, nicht in einer nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG strafbaren Weise dem bestandskräftigen vereinsrechtlichen Betätigungsverbot zuwider, das das Bundesministerium des Innern unter dem 22. November 1993 gegen die PKK verhängt hat (b)). Die ausschließlich in Deutschland stattfindenden sendebezogenen Betätigungen der Verantwortlichen und Mitarbeiter der Klägerin mögen zwar den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG erfüllen und der Klägerin zuzurechnen sein. Die derart unterstellte Strafgesetzwidrigkeit dieser Betätigungen ist jedoch nicht geeignet, den Charakter der Klägerin als Vereinigung zu prägen (c)). [...]
b) Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen von in Dänemark belegenen Sendeeinrichtungen mittels Satellit - auch - nach Deutschland kann, selbst wenn die Sendungen nach den dargestellten Maßstäben einen für die verbotene und im Hinblick auf ihre auch im Inland fortbestehenden Strukturen (vgl. dazu zusammenfassend: Bundeskriminalamt, Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - Entwicklung und aktueller Stand der Strukturen in Deutschland, Stand: Juli 2009) weiter unterstützungsfähige PKK werbenden Inhalt aufweisen sollten und der Klägerin zugerechnet werden könnten, die Annahme ihrer aus § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG abgeleiteten Strafgesetzwidrigkeit nicht rechtfertigen. Denn diese Sendetätigkeit vom Ausland her ist keine Tätigkeit im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, die im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübt wird, und infolgedessen nicht nach dieser Vorschrift strafbar.
aa) Das in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG enthaltene Erfordernis der Tätigkeit im Inland entspricht der Vorschrift des § 91 a StGB (§ 91 StGB a.F.), die bestimmt, dass §§ 84, 85 und 87 StGB nur für Taten gelten, die durch eine im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs ausgeübte Tätigkeit begangen werden. Beide Bestimmungen sind in ihren Ursprungsfassungen durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl 1 S. 741) eingeführt worden. Sie sind, wie das Wort "nur" in § 91 a StGB verdeutlicht, vor dem Hintergrund der allgemeinen Regelung des § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB zu sehen, wonach das deutsche Strafrecht für im Inland begangene Taten gilt und Tatort jeder Ort ist, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte (sog. Ubiquitätsprinzip). Im Gegensatz hierzu beschränken § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91 a StGB die Strafbarkeit auf Tätigkeiten, die im Inland ausgeübt werden. Tätigkeiten im Ausland sind mithin im Anwendungsbereich dieser Vorschriften von Strafe freigestellt, und zwar auch dann, wenn sie ins Inland hineinwirken und dort nachteilige Folgen für das von der jeweiligen Strafvorschrift geschützte Rechtsgut auslösen, die nach allgemeinem Strafrecht zur Anwendung dieser Vorschrift führen könnten. Die Geltung des Ubiquitätsprinzips nach § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB wird demnach durch die speziellen Vorschriften des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, § 91a StGB ausgeschlossen (vgl. KG, Urteil vom 16. März 1999 - (5) 1 Ss 7/98 u.a. - NJW 1999, 3500 3501 >; Steinmetz, in: Münchener Kommentar zum StGB, 1. Aufl. 2005, § 91 Rn. 2; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 27. Aufl. 2006, § 91 Rn. 5). [...]
4. Das angefochtene Verbot kann jedoch nach nationalem Recht auf den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestützt werden.
a) Die objektiven Voraussetzungen dieses Verbotsgrundes sind erfüllt, wenn die Tätigkeit oder der Zweck einer Vereinigung geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung zu beeinträchtigen. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Zweck oder die Tätigkeit darauf gerichtet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG zu stören. Vielmehr richtet sich ein Verein (auch) dann gegen den Gedanken der Völkerverständigung, wenn sein Zweck oder seine Tätigkeit der friedlichen Überwindung der Interessengegensätze von Völkern zuwiderläuft. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineingetragen und insbesondere zur Tötung von Menschen aufgefordert wird. In einem solchen Fall ist es für die Erfüllung des objektiven Verbotstatbestandes nicht erforderlich, dass der Verein selbst Gewalt ausübt. Der objektive Tatbestand kann auch dann erfüllt sein, wenn ein Verein eine Gruppierung unterstützt, die ihrerseits durch Ausübung von Gewalt das friedliche Miteinander der Völker beeinträchtigt. Von dem Verbotsgrund sind nicht nur die friedlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu fremden Völkern, sondern auch der Frieden zwischen fremden Völkern erfasst. Der Verbotstatbestand ist nur erfüllt, wenn der Zweck oder die Tätigkeit des Vereins geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen. Wenn das objektiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Verhalten von einem entsprechenden Willen der Vereinigung getragen wird und insbesondere eine Identifizierung mit Gewalttaten besteht, ist der Verbotsgrund in subjektiver Hinsicht verwirklicht (Urteile vom 3. Dezember 2004 a.a.O. S. 79 f. und vom 25. Januar 2006 a.a.O. S. 4 f.).
b) Nach diesen Maßstäben richtet sich die Klägerin sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Die Klägerin verweist zwar zu Recht darauf, dass es in der türkischen Politik seit dem Sommer des Jahres 2009 Ansätze für eine punktuelle Entspannung im Verhältnis zu der kurdischen Bevölkerungsgruppe gibt und die PKK ihrerseits in Form mehrfacher Ankündigungen eines Waffenstillstandes eine friedliche Option zu erkennen gegeben hat. Dies mag auch in den Sendungen der Klägerin zum Ausdruck kommen. Andererseits hebt die Beklagte zutreffend hervor, dass die bewaffneten Kräfte der PKK (Volksverteidigungskräfte - HPG) weiter vorhanden sind und eingesetzt werden, so dass der Guerillakampf im Ergebnis nach wie vor geführt wird und sich deshalb auch das weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa als Teil einer Doppelstrategie darstellt (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2008, S. 266). Der danach weiter bedeutsame militärische bzw. gewaltsame Ansatz findet mit Wissen und Wollen der für die Klägerin verantwortlichen Personen in Form einer eindeutigen Parteinahme zu Gunsten der PKK einen massiven und prägenden Niederschlag in dem Fernsehprogramm der Klägerin. Diese berichtet nicht neutral über die stattfindenden Auseinandersetzungen, sondern unterstützt den Einsatz von Guerillaeinheiten und das Verüben von Anschlägen durch die PKK, indem sie sich deren Positionen in eindeutig erkennbarer Weise zu eigen macht. Sie trägt dadurch schwerwiegend, ernst und nachhaltig zur Anheizung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den türkischen und kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei bei. Hierdurch werden zugleich die Spannungen zwischen den in Deutschland lebenden Türken und Kurden erhöht (vgl. dazu: Bundeskriminalamt, Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - Straftaten der PKK unter besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und türkischen Gruppen in Deutschland, Stand 20. August 2009). [...]
5. Der Senat kann ohne Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht entscheiden, ob der Anwendung des nach dem nationalen Recht erfüllten Verbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG die Bestimmungen der gemeinschaftsrechtlichen Fernseh-Richtlinie entgegenstehen.
a) Die Fernseh-Richtlinie (im Folgenden: Fernseh-RL) ist auf den zur Entscheidung stehenden Fall in Gestalt der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl EG Nr. L 298 S. 23) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl EG Nr. L 202 S. 60) anzuwenden. Denn die Frist zur Umsetzung der weiteren Änderungsrichtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl EU Nr. L 332 S. 27) ist erst am 19. Dezember 2009 und damit nach dem Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung vom 13. Juni 2008, dem für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt, abgelaufen.
b) Die Klägerin unterfällt dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie ist eine Fernsehveranstalterin im Sinne des Art. 1 Buchst. b Fernseh-RL, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmte Fernsehsendungen im Sinne von Art. 1 Buchst. a Fernseh-RL innerhalb der Gemeinschaft (vgl. Art. 2 Abs. 6 Fernseh-RL) ausstrahlt. Da sie ihre Hauptverwaltung in Dänemark hat und dort auch die redaktionellen Entscheidungen über das Programmangebot getroffen werden, gilt sie nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Fernseh-RL als in Dänemark niedergelassen und unterliegt deshalb nach Art. 2 Abs. 2 Spiegelstrich 1 Fernseh-RL der Rechtshoheit Dänemarks.
c) Nach den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anerkannten Grundsätzen zum Zweck und Regelungssystem der Fernseh-Richtlinie besteht deren Hauptziel darin, Beschränkungen für Dienstleistungen, die in Gestalt der Ausstrahlung von Fernsehsendungen erbracht werden, abzuschaffen. Die Bestimmungen der Richtlinie gelten in den im Sinne des Art. 2a Abs. 1 Fernseh-RL koordinierten Bereichen. Dabei sind die koordinierten Bereiche nur hinsichtlich der Fernsehtätigkeit im eigentlichen, in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie definierten Sinne koordiniert. Zur Erreichung ihres Regelungszwecks sieht die Fernseh-Richtlinie Mindestnormen vor, denen Fernsehsendungen, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft haben und für den Empfang in der Gemeinschaft bestimmt sind, entsprechen müssen. Der Sendestaat ist nicht nur für die Anwendung seines eigenen für Fernsehsendungen geltenden Rechts, sondern auch - und zwar allein - für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie zuständig (sog. Sendestaatsprinzip, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 und 2 Fernseh-RL). Der Empfangsstaat hat den freien Empfang von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten zu gewährleisten und darf die Weiterverbreitung dieser Sendungen in seinem Hoheitsgebiet nicht aus Gründen beeinträchtigen, die in die durch die Richtlinie koordinierten Bereiche fallen (Art. 2a Abs. 1 Fernseh-RL). Dabei ist die Anwendung anderer Vorschriften als derjenigen, die gerade die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehprogrammen betreffen, nicht völlig und von vornherein ausgeschlossen. Der Empfangsstaat darf jedoch keine zweite Kontrolle zusätzlich zu der von dem Sendestaat durchzuführenden Kontrolle ausüben und die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von Fernsehsendungen aus einem anderen Mitgliedstaat nicht verhindern. Ihm ist es verwehrt, Korrekturen vorzunehmen und Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer Missachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken oder insoweit seine eigenen Kriterien anzuwenden. Lediglich in den Fallgestaltungen des Art. 2a Abs. 2 Fernseh-RL ist er unter strengen Voraussetzungen zu vorläufigen Maßnahmen befugt (EuGH, Urteile vom 9. Februar 1995 - Rs. C-412/93, Leclerc-Siplec - Slg. 1995, I-179 Rn. 28 ff., vom 10. September 1996 - Rs. C-11/95, Kommission/Belgien - Slg. 1996, I-4115 Rn. 32 ff., 42, vom 29. Mai 1997 - Rs. C-1 4/96, Denuit - Slg. 1997, I-2785 Rn. 32 ff., vom 9. Juli 1997 - Rs. C-34/95, De Agostini - Slg. 1997, I-3843 Rn. 3, 24 ff., 57 ff. und vom 13. Juli 2004 - Rs. C-429/02, Bacardi - Slg. 2004, I-6613 Rn. 3, 25).
d) In dem den Schutz Minderjähriger und die öffentliche Ordnung betreffenden fünften Kapitel der Fernseh-Richtlinie bestimmt Artikel 22a, dass Sendungen nicht zu Hass auf Grund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln dürfen. Die für die Anwendung des richtlinienbestimmten Rechts in dem Sendestaat Dänemark zuständige Stelle hat entschieden, dass dem Programm der Klägerin eine solche Aufstachelungswirkung nicht zukomme. Um beurteilen zu können, ob die Beklagte durch Art. 22a Fernseh-RL i.V.m. Art. 2a Abs. 1 Fernseh-RL gemeinschaftsrechtlich an dem Erlass des auf den Verbotsgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestützten Vereinsverbotes gehindert war, muss geklärt werden, welchen Umfang der durch Art. 22a Fernseh-RL koordinierte Bereich hat und ob zwischen dem durch den Empfangsstaat ausgesprochenen vereinsrechtlichen Verbot eines sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtenden Fernsehsenders und der dem Sendestaat obliegenden Verhinderung von Fernsehsendungen mit einem zu Hass auf Grund von Rasse oder Nationalität aufstachelnden Inhalt so weitreichende Übereinstimmungen bestehen, dass dem Empfangsstaat die vereinsrechtliche Kontrolle der Völkerverständigungswidrigkeit des Fernsehsenders entzogen ist. Die in diesem Zusammenhang anzuwendenden Maßstäbe lassen sich der bisher zum Anwendungsbereich der Fernseh-Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht hinreichend sicher entnehmen. [...]
bb) Die Frage der Bestimmung des durch Art. 22a Fernseh-RL koordinierten Bereichs und dessen thematischer Überschneidung mit einem auf den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestützten Verbot eines Fernsehsenders stellt sich in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Struktur der betroffenen Normen.
Die Beklagte versteht Art. 22a Fernseh-RL vor allem unter Verweis auf die Überschrift des fünften Kapitels der Fernseh-Richtlinie - Schutz Minderjähriger und öffentliche Ordnung - restriktiv dahingehend, dass die Vorschrift keine (Teil-)Koordinierung allgemeiner ordnungs-, Vereins- und verfassungsschutzrechtlicher Bestimmungen enthalte, die dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit (vgl. dazu: EuGH, Urteile vom 17. Oktober 1995 - Rs. C-83/94, Leiter - Slg. 1995, I-3231 Rn. 25 ff. und vom 26. Oktober 1999 - Rs. C-273/97, Sirdar - Slg. 1999, I-7403 Rn. 17) unterfielen, sondern nur den Minderjährigenschutz sowie die öffentliche Ordnung im Sinne des Schutzes der Menschenwürde erfasse. Sie verdränge nur mitgliedstaatliche Normen, die einen entsprechenden Inhalt aufwiesen und zudem in spezifischer Weise die Ausübung der Fernsehtätigkeit als solche beträfen.
Dieser einschränkenden Sichtweise lässt sich zwar entgegenhalten, dass die Überschrift des fünften Kapitels der Fernseh-Richtlinie nicht mehr als einen ersten Hinweis auf den Inhalt der nachfolgenden Bestimmungen ergibt und dass sich der Inhalt einer Bestimmung vornehmlich aus ihr selbst erschließt. Auch hat der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 10. September 1996 a.a.O. Rn. 92) in einer recht weit gefassten Formulierung festgestellt, dass die Fernseh-Richtlinie als Gesamtregelwerk - wenn auch nicht abschließend - Materien betreffe, die dem Bereich der öffentlichen Ordnung, der guten Sitten oder der öffentlichen Sicherheit zuzurechnen seien und die Anwendung entsprechender mitgliedstaatlicher Regelungen ausschlössen. Schließlich ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 9. Juli 1997 a.a.O. Rn. 33) im Regelungsbereich der Fernseh-Richtlinie die Anwendung nicht spezifisch fernsehrechtlicher Regelungen des nationalen Rechts nicht stets zulässig, sondern lediglich nicht völlig und von vornherein ausgeschlossen.
Auf der anderen Seite spricht aber auch einiges dafür, dass keine Überschneidung der Regelungsbereiche des Art. 22a Fernseh-RL und des nationalen Vereinsverbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit und damit keine die Anwendung des mitgliedstaatlichen Rechts verdrängende Wirkung des Gemeinschaftsrechts besteht. Denn der nationale ordnungsrechtliche Tatbestand schützt von seiner Normstruktur her die Völkerverständigung als allgemeines Prinzip des objektiven Rechts (s. dazu jetzt auch Art. 4 Abs. 2 Satz 2 EUV, wonach die Union die grundlegenden Funktionen der Mitgliedstaaten, insbesondere auch in Bezug auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit, achtet). Dagegen stellt Art. 22a Fernseh-RL jedenfalls seinem Wortlaut nach auf eine subjektive Betroffenheit in ausgrenzenden individuellen Merkmalen ab.
cc) Gegen eine für den Ausschluss der Anwendbarkeit der nationalen Regelung ausreichende thematische Übereinstimmung mit Gemeinschaftsrecht könnte weiterhin sprechen, dass Art. 22a Fernseh-RL mit der Aufstachelung zum Hass an eine intensivere Art der Tätigkeit anknüpft, als sie nach den obigen Darlegungen für die Annahme einer Völkerverständigungswidrigkeit erforderlich ist. Hierdurch könnte jedenfalls für Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung, die - wie in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall - von ihrer Intensität her den Grad der Aufstachelung nicht erreichen, die Anwendung der mitgliedstaatlichen Regelung offenstehen.
dd) Schließlich sind die Unterschiede zwischen türkischen und kurdischen Volkszugehörigen in erster Linie ethnischer und kultureller Natur. Dieser Umstand hindert die Anwendung des Vereinsverbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit nicht. Ob diese Differenzierungsmerkmale von den Begriffen der Rasse und der Nationalität im Sinne des Art. 22a Fernseh-RL erfasst werden, erscheint demgegenüber fraglich, zumal in Art. 3b und Art. 3e der - auf den vorliegenden Fall allerdings noch nicht anwendbaren - Richtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2007/65/EG der Begriff der Nationalität durch denjenigen der Staatsangehörigkeit ersetzt worden ist. Auch hieran könnte die Annahme einer (Teil-)Identität des Verbotsgrundes mit Art. 22a Fernseh-RL scheitern.
e) Die Antwort auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung des nationalen vereinsrechtlichen Verbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit in den durch die Fernseh-Richtlinie koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art. 2a Fernseh-RL ausgeschlossen ist, ist nach alledem nicht offenkundig und frei von vernünftigen Zweifeln. Der Senat sieht sich deshalb nicht im Stande, über diese Frage, die im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, ohne Anrufung des Europäischen Gerichtshofes zu entscheiden.