OLG Hamm

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Zitieren als:
OLG Hamm, Beschluss vom 01.06.2010 - 15 Sbd 2/10 - asyl.net: M17112
https://www.asyl.net/rsdb/M17112
Leitsatz:

Zur örtlichen Zuständigkeit nach Verlegung in eine andere Haftanstalt gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, örtliche Zuständigkeit, Abgabe, Verlängerungsantrag, Bindungswirkung
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, FamFG § 415, FamFG § 106 Abs. 2 S. 1, FamFG § 416 S. 2, FamFG § 425 Abs. 3, FamFG § 2 Abs. 1, FamFG § 2 Abs. 2, FamFG § 4
Auszüge:

[...]

Der Senat ist nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 415 FamFG, 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit berufen.

Die Vorlagevoraussetzungen sind gegeben. Eine Entscheidung des Senats ist im Hinblick darauf veranlasst, dass aus sonstigen tatsächlichen Gründen eine Ungewissheit über die örtliche Zuständigkeit besteht. Die Vorschrift des § 5 FamFG ist auch anwendbar, wenn sich Landgerichte als Beschwerdegerichte nicht über die örtliche Zuständigkeit einigen können. Die zu bestimmende örtliche Zuständigkeit leitet sich in diesem Falle nach der Gerichtsverfassung von der des Eingangsgerichts ab (vgl. OLG Düsseldorf FGPrax 2007, 245; Keidel/Sternal, FamFG, Komm., 16. Aufl., § 5, Rdnr. 24).

Als örtlich zuständiges (Beschwerde-) Gericht ist vorliegend das Landgericht Dortmund zu bestimmen.

Zunächst war das Amtsgericht Paderborn für die Entscheidung über die von dem Beteiligten zu 3) am 30.09.2009 beantragte gerichtliche Anordnung der Fortdauer der Abschiebungshaft gemäß §§ 416 S. 2, 425 Abs. 3 FamFG örtlich zuständig. Hiervon leitete sich die Zuständigkeit des Landgerichts Paderborn als des nach der Gerichtsverfassung übergeordneten (Beschwerde-) Gerichts ab. Daran änderte die Zuführung des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt Dortmund zunächst nichts, § 2 Abs. 1 u. 2 FamFG.

Indessen ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Dortmund dadurch begründet worden, dass das Amtsgericht Paderborn durch Beschluss vom 15.12.2009 gem. § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG das Verfahren an das Amtsgericht Dortmund abgegeben hat. Nach dieser Vorschrift kann, wenn über die Fortdauer der Abschiebungshaft zu entscheiden ist, das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird. Es handelt sich um eine Sondervorschrift zu der allgemeinen Vorschrift des § 4 FamFG über die Möglichkeit der Abgabe des Verfahrens aus wichtigem Grund, die nunmehr auch für Freiheitsentziehungssachen nach den §§ 415 ff. FamFG gilt. Folglich sind auch im Freiheitsentziehungsverfahren für das Wirksamwerden einer Abgabe die allgemeinen Grundsätze zu beachten. Deren Berücksichtigung führt hier zu dem Ergebnis, dass die Abgabe bereits am 30.12.2009 wirksam geworden ist, ohne dass es auf die vom Landgericht Dortmund in Zweifel gezogene Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts Paderborn vom 15.12.2009 ankommt. Im Einzelnen gilt dazu folgendes:

Der genannte Beschluss des Amtsgerichts Paderborn ist dahin auszulegen, dass das gesamte bei ihm anhängige Verfahren von der Abgabe erfasst werden sollte und diese nicht auf einen etwa zu erwartenden Antrag des Beteiligten zu 3) über einen weiteren Verlängerungsantrag beschränkt werden sollte. Dafür spricht nicht nur die Formulierung, durch die uneingeschränkt das Verfahren nach § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG abgeben wird (vgl. OLG München FGPrax 2009, 239). Maßgebend kommt vielmehr hinzu, dass die Abgabe gerade im Hinblick darauf erfolgt ist, dass während des anhängigen Beschwerdeverfahrens der Betroffene in die JVA Dortmund verlegt worden ist. Ausschlaggebend ist weiter zu berücksichtigen, dass neben der Beschwerde auch ein Haftaufhebungsantrag (§ 426 FamFG) gestellt worden war, zu dem der Betroffene ggf. persönlich hätte angehört werden müssen. Dass der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Paderborn in diesem umfassenden Sinn zu verstehen ist, wird auch von dem Landgericht Dortmund nicht in Zweifel gezogen.

Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit tritt dann ein, wenn das Gericht, an das das Verfahren abgegeben werden soll, sich zur Übernahme der Sache bereit erklärt (Keidel/Sternal, a.a.O., § 4, Rdnr. 29). Eine solche Übernahme ergibt sich hier aus der Verfügung des Richters des Amtsgerichts Dortmund vom 30.12.2009, durch die er das Verfahren bei dem Amtsgericht Dortmund als Freiheitsentziehungssache hat eintragen lassen und dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen Akteneinsicht gewährt hat. Sein Wille, das Verfahren für das Amtsgericht Dortmund zu übernehmen, folgt hier mit Deutlichkeit auch aus dem hinzugefügten Vermerk, für die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Paderborn sei weiterhin das dortige Landgericht zuständig "trotz der Abgabe der weiteren Entscheidungen nach hier". Der Richter hat also das Verfahren insgesamt für das Amtsgericht Dortmund übernehmen wollen, soweit erstinstanzliche Verfahrenshandlungen, insbesondere also die Entscheidung über den Haftaufhebungsantrag, noch zu treffen waren. Der Vorbehalt hinsichtlich der Zuständigkeit des Beschwerdegerichts bringt eine aus den bereits genannten Gründen nicht tragfähige Rechtsauffassung zum Ausdruck, die jedoch für die Übernahme der Sache durch das Amtsgericht Dortmund ohne Bedeutung ist.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass er die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Dortmund auch durch die Bindungswirkung des Abgabebeschlusses des Amtsgerichts Paderborn begründet sieht.

Der nach § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG ergangene Abgabebeschluss ist grundsätzlich bindend, was schon in dem Gesetzestext dadurch zum Ausdruck kommt, dass das Amtsgericht durch unanfechtbaren Beschluss entscheidet. Dies ist auch im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung zu beachten (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Entscheidung offensichtlich die gesetzlich eingeräumte Verweisungskompetenz überschreitet und deshalb der gesetzlichen Grundlage entbehrt (BayObLGZ 1999, 57; KG FGPrax 2006, 280). Das ist hier indes nicht der Fall. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird eine uneingeschränkte Abgabe "des Verfahrens" nach § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG durchaus als ein von der Vorschrift umfasster Entscheidungsinhalt gesehen (OLG Oldenburg FGPrax 2010, 52; OLG München, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Abgabeentscheidung des Amtsgerichts Paderborn ist daher gut vertretbar und kann nicht deshalb als willkürlich bewertet werden, weil teilweise abweichend die Auffassung vertreten wird, der Begriff der Fortdauer der Haft in § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG beziehe sich lediglich auf ein Verfahren über eine (weitere) Verlängerung der Haft im Sinne des § 425 Abs. 3 FamFG (vgl dazu Keidel/Budde, a.a.O., § 416, Rdnr. 1 m.w.N.). Auch auf der Grundlage dieser Auffassung hätte die Abgabe ergänzend auf die allgemeine Vorschrift des § 4 FamFG gestützt werden können, die eine Abgabe des Folgeverfahrens in Bezug auf die Erstentscheidung ermöglicht. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 4 S. 1 FamFG ist darin zu sehen, dass nicht allein eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu treffen, sondern auch über den Antrag vom 28.10.2009 auf Aufhebung der Abschiebungshaft - durch das Erstgericht - zu befinden war. Es stand mithin eine Haftfortdauerentscheidung an. Eine solche Entscheidung ist am schnellsten und unter Berücksichtigung der regelmäßig durchzuführenden persönlichen Anhörung des Betroffenen am ehesten sachgerecht an dem Ort zu treffen, an dem sich der Betroffene zum Zeitpunkt der gerichtlichen Befassung unter den Bedingungen fortbestehender Freiheitsentziehung aufhält (vgl. Keidel/Budde, a.a.O., Rdnr. 3).

Aus diesen Gründen hat das Landgericht Dortmund über den am 13.01.2010 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Paderborn im eigenen Namen des Beteiligten zu 2) erklärten Feststellungsantrag zu entscheiden. Dabei wird schon die Feststellung eines berechtigten Interesses des Beteiligten zu 2) - Eingriff in eigene Rechte im Sinne des § 62 Abs. 1 FamFG - besonderer Prüfung bedürfen (Keidel/Budde, a.a.O., § 62, Rdnr. 11).