LG Berlin

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Zitieren als:
LG Berlin, Beschluss vom 02.02.2010 - 83 T 517/09 - asyl.net: M17186
https://www.asyl.net/rsdb/M17186
Leitsatz:

Gutachten, die auf Röntgenaufnahmen basieren, sind auch bei Einwilligung des Betroffenen nicht zur Altersfeststellung bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Vormundschaft verwertbar.

Schlagwörter: Altersfeststellung, Vormundschaft, Volljährigkeit, Sachverständigengutachten, Handwurzeluntersuchung, Zahnstatus, Beschwerdeverfahren, Verwertungsverbot, Röntgenverordnung
Normen: FGG § 19, FGG-ReformG Art. 111, MSA Art. 2, MSA Art. 12, BGB § 1773, RöV § 25 Abs. 1
Auszüge:

[...]

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (§ 19 FGG, Art. 111 FGG-ReformG), auch wenn der angefochtene Beschluss nur die bereits von Gesetzes wegen eintretende Nichtigkeit der Vormundschaft wegen Volljährigkeit feststellt (Palandt/Diederichsen, BGB, 68, A., § 1774 RNr. 2). Denn es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, um den durch den deklaratorischen Beschluss begründeten Rechtsschein zu beseitigen, der nach dem Vortrag des Betroffenen das ihm bei Minderjährigkeit zustehende Recht auf einen Vormund verletzen würde (LG Berlin, Beschluss vom 27.8.2009, 83 T 516/09).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Amtsgericht hat die Vormundschaft des ausländischen Betroffenen zu Unrecht aufgehoben, weil sich nicht herausgestellt hat, dass er nach deutschem Recht volljährig (Art. 2 und 12 MSA, § 1773 BGB), d.h. mindestens 18 Jahre alt ist (§ 2 BGB).

Nach der nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. ... steht nur fest, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Untersuchung am 20.11.2009 mindestens 17 Jahre und 6 Monate, d.h. zum nach § 23 FGG maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung mindestens 17 Jahre, 7 Monate und einige Tage alt ist. Dies ergibt sich nachvollziehbar aus dem Vergleich des Zahnstatus des Betroffenen mit den für männliche Asiaten vorliegenden Vergleichsdaten zu Weisheitszähnen. Das Ergebnis wird durch den Befund der körperlichen Untersuchung, die insbesondere auf dem Vergleich sexueller Reifezeichen beruht, gestützt.

Ein älteres Alter des Betroffenen ist auch nicht aus dem Gutachten des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Dr. ... feststellbar, soweit dieses auf dem Zahnstatus beruht. Aufgrund des vollständigen Durchbruches von dreien der vier Weisheitszähne spricht danach zwar viel für die Volljährigkeit des Betroffenen. Auch wenn der Sachverständige bereits allein aufgrund der Zahnsituation zu dem Schluss kommt, der Betroffene sei "mit größter Wahrscheinlichkeit" älter als 18 Jahre, verbleiben an seiner Volljährigkeit jedoch deshalb nicht nur ganz geringfügige Zweifel (bei deren Vorliegen ein Vormund zu bestellen ist). Denn der Sachverständige gibt an, dass bei Asiaten - wie dem Betroffenen - teilweise bereits mit 18 Jahren der "vollständige" Durchbruch der Weisheitszähne erfolgt. Der vollständige Durchbruch der Weisheitszähne ist bei dem Betroffenen jedoch noch nicht abgeschlossen, da der Weisheitszahn oben links erst derzeit durchbricht.

Dagegen ist das Gutachten des Sachverständigen Dr. ... hinsichtlich des Ergebnisses der Handwurzel-Röntgenaufnahme nicht verwertbar. Die Röntgenaufnahme verstieß - auch wenn sie mit Einwilligung des Betroffenen erfolgte - gegen § 25 Abs. 1 Röntgenverordnung (LG Berlin, Beschluss vom 16.6.2009, 83 T 480/08). Denn danach sind Röntgenaufnahmen nur in Ausübung der Heilkunde, in der medizinischen Forschung, zur Arbeitsschutz-Untersuchung oder soweit sonst gesetzlich geregelt zulässig. Keiner der Gründe liegt hier vor. Der Verstoß zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich, weil er vom Gericht im Beweisbeschluss angeordnet wurde. Dass der Betroffene mit der Röntgenaufnahme einverstanden war, ändert daran nichts. Wenn allein das Einverständnis des Betroffenen die Röntgenaufnahme nach der RöntgenVO gerade nicht zulässig macht, dient dies nach dem gesetzgeberischen Zweck auch dem Schutz des Betroffenen, aus im Gesetz nicht vorgesehenen Motiven (hier etwa dem gefühlten Zwang, bei Verweigerung der Zustimmung als unglaubhaft angesehen zu werden) zu einem unnötig gesundheitsgefährdenden Einverständnis bewegt zu werden. [...]