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SG Köln

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Zitieren als:
SG Köln, Beschluss vom 02.03.2010 - S 10 AY 7/10 ER - asyl.net: M17211
https://www.asyl.net/rsdb/M17211
Leitsatz:

Einstweilige Anordnung auf Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG, da dem Antragsteller kein rechtsmissbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden kann. Er hat es nicht zu verantworten, dass die Vorführung in der Botschaft von Côte d'Ivoire ergeben hat, er stamme aus Guinea, während die Vorführung bei der Botschaft Guineas ergeben hat, er stamme aus Côte d'Ivoire. Eine Zuordnung des aus der Grenzregion stammenden Antragstellers nach Sprache und Aussehen dürfte kaum möglich sein. Die Vorgaben der Botschaft von Côte d'Ivoire zum Identitätsnachweis erscheinen zweifelhaft (Geburtsurkunde mit Lichtbild, Beauftragung eines Dritten zur Beschaffung eines mit Lichtbild versehenen Identitätsnachweises).

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, Analogleistungen, Beweislast, Côte d'Ivoire, Guinea, Identitätsfeststellung, Amtsermittlung, Vorführung, soziokulturelles Existenzminimum
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller stammt nach seinen Angaben von der Elfenbeinküste und reiste im Mai 2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Aufenthalt wird geduldet. Seither erhält er von der Antragsgegnerin Leistungen nach § 3 AsylbLG. Mit Schreiben vom 03.09.2009 beantragte er Leistungen nach § 2 AsylbLG. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 30.11.2009 abgelehnt im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe, da er nicht in ausreichendem Umfang bei der Beschaffung von Passersatzpapleren mitgewirkt habe. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden.

Ein Anordnungsgrund Ist in ausreichendem Umfang glaubhaft gemacht worden. Zu berücksichtigen ist, dass die Leistungen nach § 2 AsylbLG nach 48 Monaten des Bezugs abgesenkter Leistungen der gesetzliche Regelfall sind. Eine noch länger währende Absenkung unter das sozial-kulturelle Existenzminimum ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt, die hier nicht erkennbar sind.

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht worden. Der Antragsteller erhält im Sinne des § 2 AsylbLG seit mehr als 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG. Unerheblich ist, ob dem Antragsteller in der Vergangenheit rechtsmissbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG ist auch dann, wenn dem Asylbewerber ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden kann, trotzdem zu prüfen, ob eine Ausreisepflicht des Asylbewerbers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum nach dem vorwerfbaren Verhalten nicht hätte vollzogen werden können (BSG, Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 12/07 R). Letzteres ist hier der Fall, denn eine Abschiebung des Antragstellers in die Elfenbeinküste kann nicht erfolgen, da bei zwei Vorstellungen in der Botschaft der Elfenbeinküste in Bonn und Berlin die dortigen Mitarbeiter erklärten, dass der Antragsteller nach Aussehen und Sprache (Akzent) aus Guinea stamme. Dies beruht nicht auf vorwerfbarem Verhalten des Antragstellers, zumindest kann dies nicht festgestellt werden, da ein Wortprotokoll der Vorführungen fehlt. Jedenfalls wurde bei einer Vorstellung bei der Botschaft von Guinea umgekehrt von Mitgliedern dieser Botschaft erklärt, der Antragsteller stamme von der Elfenbeinküste. Beide Darstellungen können nicht zutreffen. Der Antragsteller selbst hat immer erklärt, er komme von der Elfenbeinküste. Der angegebene Geburtsort Dioman im Bezirk Touba liegt nach der Internetrecherche des Gerichts nahe der Grenze zu Guinea. Wegen der Herkunft aus dem Grenzgebiet und aufgrund dessen, dass der Antragsteller im Jahre 2002 nach Guinea geflohen ist, dürfte eine Zuordnung des Antragstellers nach Sprache und Aussehen zu dem einen oder anderen Land kaum möglich sein. Die Tatsache, dass in der Ausländerakte ein in Guinea ausgestellter Flüchtlingsausweis (mit Lichtbild) des Antragstellers enthalten ist mit der Angabe der ivorischen Staatsangehörigkeit, dürfte wohl eher dafür sprechen, dass der Antragsteller von der Elfenbeinküste stammt.

Die Antragsgegnerin verkennt die Beweislastregeln, wenn sie darlegt, der Antragsteller sei in der Beweispflicht. Zum einen herrscht im Verwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren das Amtsermittlungsprinzip, zum anderen muss umgekehrt dem Asylbewerber ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden. Die Vermutung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens darf für die Einschränkung des Existenzminimums nicht ausreichen. Dass der Antragsteller die Möglichkeit hat, über Dritte in der Elfenbeinküste Passersatzpapiere zu beschaffen, erscheint schwer vorstellbar. Der Antragsteller hat vorgetragen, dort keine nahen Angehörigen mehr zu haben. Wie sollte er die Richtigkeit dieser Angaben beweisen? Dass Nicht-Verwandte mit einer Vollmacht und einem Lichtbild des Antragstellers dort einen Identitätsnachweis des Antragstellers erhalten können, wäre sehr widersprüchlich. Einerseits erkennt die Botschaft der Elfenbeinküste die Geburtsurkunde des Antragstellers nicht als Identitätsnachweis an, weil diese nicht mit einem Lichtbild versehen ist (Geburtsurkunden sind nie mit Lichtbild versehen). Andererseits soll ein Dritter mit Vollmacht des Antragstellers in der Elfenbeinküste einen mit Lichtbild versehenen Identitätsnachweis des Antragstellers erhalten können. Wie sollte man bei den dortigen Behörden nachprüfen, ob die angegebenen persönlichen Daten mit Lichtbild und Vollmacht des Antragstellers übereinstimmen? Inwiefern können Angaben und schriftliche Unterlagen eines Bekannten oder gar Fremden, die auf den vom Antragsteller benannten Daten, seiner Unterschrift und seinem Lichtbild beruhen, glaubhafter sein als die Angaben des Antragstellers selbst bei den Vorführungen in der Botschaft der Elfenbeinküste, zumal dort auch die Geburtsurkunde des Antragstellers vorgelegen hat? Das Gericht geht davon aus, dass die von der Antragsgegnerin dargelegte Vorgehensweise nur dann zum Erfolg führt, wenn die Behörden der Elfenbeinküste aufgrund dort vorliegender Dokumente die Übereinstimmung von persönlichen Daten, Lichtbild und Unterschrift (Vollmacht) überprüfen können oder wenn nahe Verwandte diese Übereinstimmung bezeugen können. Dies ist aber beim Antragsteller nicht der Fall. Die Interessenabwägung ergeht daher zugunsten des Antragstellers bzw. des gesetzlich vorgesehenen Regelfalls, nach 48 Monaten Leistungen nach § 2 AsylbLG zu erhalten. [...]