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Zitieren als:
Landesbehörden, Bescheid vom 29.06.2010 - 23-1012-.... - asyl.net: M17213
https://www.asyl.net/rsdb/M17213
Leitsatz:

Landesdirektion Dresden:

Im isolierten Einbürgerungsverfahren eines minderjährigen Schülers, dessen Eltern arbeitslos sind, ist die Einbürgerungsgebühr von 255,- EUR vorliegend auf 100,- EUR zu ermäßigen (eine Gebührenbefreiung wurde nicht beantragt). Selbst wenn die Bedarfssätze für Kinder verfassungsgemäß ermittelt wären (mit Bezug auf BVerfG v. 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 und 1 BvL 4/09), könnten der Widerspruchsführer und seine Eltern nicht darauf verwiesen werden, die Gebühr in voller Höhe aus den Sozialleistungen anzusparen, weil die Kalkulation der Regelbedarfssätze nach SGB II und SGB XII jedenfalls nicht die hohen Gebühren eines Einbürgerungsverfahrens enthält.

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Einwanderungsgebühr, Gebühr, Verwaltungsgebühr, Gebührenermäßigung, Billigkeit, Widerspruch, SGB II, Regelleistung, Bedarf, Darlehen, Stundung, Ratenzahlung
Normen: StAG § 38 Abs. 2 S. 5, VwGO § 73 VwGO, GG Art. 1 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Bescheid der Landeshauptstadt Dresden ist in den angefochtenen Tenorpunkten 3 und 4, in denen eine Ermäßigung der Einbürgerungsgebühr abgelehnt und auf 255,- EUR festgesetzt wird, rechtswidrig und verletzt den Widerspruchsführer in seinen Rechten.

Gemäß § 38 Abs. 2 S. 5 StAG kann aus Gründen der Billigkeit oder des öffentlichen Interesses eine Gebührenermäßigung oder -befreiung gewährt werden. Hierbei ist auf alle Umstände des Einzelfalles und auf die gesamte wirtschaftliche und persönliche Situation des Widerspruchsführers und der für ihn sorgepflichtigen Eltern abzustellen. Demgegenüber kann es nicht ausreichen, allein auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen und wirtschaftlichen Bevölkerungsgruppierung abzustellen. Dies wird durch die Rechtsprechung des BVerwG und die Erlasslage festgeschrieben (BVerwG Urteil vom 16.11.2006, Az.: 5 C 226.05 und 5 C 27.05; Erlass des Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 11.02.2008, Az.: 25-0541.00/32).

Zur wirtschaftlichen Situation ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sowohl der Widerspruchsführer selbst als auch seine Eltern erwerbslos sind und Sozialleistungen nach SGB II und XII beziehen. Zur persönlichen Situation und insoweit allen weiteren Umständen des Einzelfalles ist hier zu berücksichtigen, dass der Widerspruchsführer auf Grund seines Alters (geboren 1999) in absehbarer Zeit, d.h. in den gesamten nächsten Jahren weiterhin Schüler bleiben und kein eigenes Einkommen erzielen wird. Auch bei seinen dauerarbeitslosen Eltern ist nach unstreitiger Prognose nicht zu erwarten, dass sie in absehbarer Zeit Einkommen erzielen werden, aus dem die Gebühr entrichtet werden könnte.

Gemäß Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 und 1 BvL 4/09 - sind die Bedarfssätze für schulpflichtige Kinder nach SGB II nicht verfassungsgemäß ermittelt worden. Es muss daher im Zweifel davon ausgegangen werden, dass sie den Bedarf des Widerspruchsführers nicht decken. Mithin muss der Kindesvater seine Sozialleistungen auch für den Widerspruchsführer aufbringen, um dessen Bedarf zu decken. Hierfür sind jedoch die Regelsätze des Kindesvaters der Höhe nach nicht berechnet. Es kann mithin derzeit weder von dem Widerspruchsführer selbst noch vom Kindesvater erwartet werden, dass sie von ihren Sozialleistungen die volle Gebühr ansparen.

Aber auch selbst wenn die Bedarfssätze für Kinder verfassungsgemäß ermittelt wären, könnten der Widerspruchsführer und seine Eltern nicht darauf verwiesen werden, die Gebühr in voller Höhe aus den Sozialleistungen anzusparen, weil die Kalkulation der Regelbedarfssätze nach SGB II und XII jedenfalls nicht die hohen Gebühren eines Einbürgerungsverfahrens enthält. Die Regelbedarfsleistungen für die Eltern sind darüber hinaus nicht daraufhin kalkuliert, Gebühren für den Sohn aufzubringen, sondern decken in ihrer Höhe allenfalls den eigenen Bedarf der Eltern ab. [...]

Weiter führt das Argument, die Landeshauptstadt habe den Widerspruchsführer von Anfang an auf die Höhe der Einbürgerungsgebühr hingewiesen, zwar insoweit zu einer Art "Bösgläubigkeit" des Widerspruchsführers. Diese schließt jedoch eine Ermäßigung der Gebühr nicht aus. Denn hierfür gibt es im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte, wie dies in anderen Gesetzen vielfach zu finden ist. Zudem war auch die Behörde insoweit "bösgläubig", da auch ihr die wirtschaftliche und persönliche Situation des Widerspruchsführers bekannt war. Es war dem Widerspruchsführer nicht zumutbar, den Ausgang des Streites um die Gebührenermäßigung abzuwarten, denn er war gehalten, schnellstmöglich seine Einbürgerung zu betreiben.

Endlich ist noch zu prüfen, ob anstelle einer Gebührenermäßigung eine Ratenzahlung in Betracht käme. Jedoch ist auch hier zu berücksichtigen, dass bei der wirtschaftlichen Knappheit der Mittel bei einem Empfänger von Sozialleistungen nach SGB II und XII nicht damit gerechnet werden kann, dass eine Aufteilung auf mehrere oder gar viele Monate dazu führt, dass der volle Gebührenbetrag in Höhe von immerhin 255,- EUR aufgebracht werden kann, ohne dass an den lebensnotwendigsten Mitteln (Lebensmittel, Miete, Kleidung, jeweils auf dem minimalsten Niveau) gespart werden müsste. Aber gerade hierauf kann der Sozialhilfeempfänger nicht mit dem Ziel verwiesen werden, die Ermäßigung einer Verwaltungsgebühr im Interesse der Staatskasse zu vermeiden. Würde man die Raten so gering wählen, dass der monatliche Betrag tragbar wäre (1 EUR o.ä.), so stünde der Verwaltungsaufwand und die daraus erwachsenden Gehaltskosten für das Verwaltungspersonal in keinem Verhältnis zur Gesamthöhe der Gebühr.

Im Ergebnis war es rechtswidrig, eine Ermäßigung der Verwaltungsgebühr abzulehnen, und es verletzte den Widerspruchsführer in seinem Grundrecht auf ein (wirtschaftlich) würdevolles Leben gemäß Art. 1 I Grundgesetz. Die Gebühr ist auf 100,- EUR zu ermäßigen. [...]