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VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2009 - A 9 K 2104/07 - asyl.net: M17262
https://www.asyl.net/rsdb/M17262
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung im Asylfolgeverfahren für exponierten Exilpolitiker wegen Verfolgungsgefahr im Sudan (URF, Masalit aus Darfur).

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Sudan, Masalit, Asylfolgeantrag, Änderung der Sachlage, Exilpolitik, URF, JEM-CL, Darfur, Folter, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 71 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 28 Abs. 1, AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger wegen seines zuletzt entfalteten exilpolitischen Engagements im Falle seiner Rückkehr in den Sudan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrigen Repressalien des sudanesischen Staates ausgesetzt wäre. Dabei geht das Gericht aufgrund seiner insoweit ohne weiteres glaubhaften Angaben davon aus, dass er seit dem Zusammenschluss von fünf Einzelorganisationen zur URF (United Resistance Front) deren oberster Repräsentant in Deutschland ist. Bei der URF handelt es sich um eine der in Darfur aktiven Rebellenorganisationen. Ihr Führer Bahar Idriss Abu Garda hatte den Kläger unmittelbar in dieses Amt berufen. Zuvor war er schon oberster deutscher Repräsentant der Gruppierung JEM-CL, die in der URF aufgegangen ist. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der URF in Deutschland ist es Aufgabe des Klägers, die Medien zu beobachten und durch Herausgabe von Presseerklärungen im Sinne der Organisation zu beeinflussen. Ferner hält er den Kontakt zu den Aktivisten der Organisation im Darfur sowie zu den dort tätigen Hilfsorganisationen. Schließlich bemüht er sich um das Knüpfen diplomatischer Kontakte und steht etwa in Verbindung mit einer von ihm namentlich benannten Legationsrätin des Auswärtigen Amts - AA - in Berlin. Mit dem Führer der URF Abu Garda hält er ständigen telefonischen Kontakt. Lediglich sein Status als Asylbewerber hindert ihn daran, an Konferenzen der URF im Ausland teilzunehmen. Entsprechende Einladungen hat er im gerichtlichen Verfahren vorgelegt.

Die exilpolitische Tätigkeit des Klägers ist dem sudanesischen Staat, insbesondere dessen Geheimdienst bekannt. Glaubhaft hat der Kläger davon berichtet, dass die von seiner Organisation ausgerichteten Veranstaltungen wie etwa Seminare von der sudanesischen diplomatischen Vertretung in Deutschland und anderen Angehörigen der sudanesischen Regierung und des Geheimdienstes unterwandert sind (siehe dazu bereits die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - SFH - zur Frage der Verfolgung von Rückkehrern aufgrund exilpolitischer Tätigkeit vom 28.09.2005).

Eine Beilegung des Darfur-Konflikts ist nicht absehbar (Lagebericht AA vom 15.01.2009). Solange dies nicht der Fall ist und Rebellenorganisationen wie die URF im Sudan operieren, ist davon auszugehen, dass die propagandistischen Aktivitäten der mit diesen Rebellenorganisationen verbundenen Auslandsvereinigungen vom sudanesischen Regime missbilligt werden, zumal wenn diese, wie dies in der Person des Klägers der Fall ist, den sudanesischen Präsidenten in ihren im Internet zugänglichen Verlautbarungen scharf angreifen und verunglimpfen. Beleg für diese Missbilligung sind im Falle des Klägers die von ihm glaubhaft vorgetragenen anonymen Telefonanrufe, die ihn aus dem Sudan erreichen und in denen er vor einer Fortsetzung seiner propagandistischen Tätigkeit gewarnt wird. Das Gericht hat im Kern auch keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit seiner Darstellung, wonach seine im Sudan verbliebenen Familienangehörigen, insbesondere seine Mutter, Repressalien der örtlichen Sicherheitskräfte ausgesetzt sind, die sich in regelmäßigen Abständen vergewissern, ob er möglicherweise in den Sudan zurückgekehrt ist.

Diese vom Kläger wahrgenommenen konkreten Indizien für eine Rückkehrgefährdung fügen sich in die allgemeine Erkenntnisquellenlage ein. Zwar sind nach Beendigung des Bürgerkriegs zwischen dem Norden und Süden des Landes und dem Abschluss des Friedensabkommens im Jahr 2005 zahlreiche oppositionelle sudanesische Exilpolitiker ins Land zurückgekehrt, um innerhalb des Sudan zu wirken. Eine Ausnahme stellen jedoch die Auslandsbüros verschiedener Gruppierungen des Darfur-Konfliktes dar, zu denen auch die URF zählt (vgl. AA, Lagebericht vom 15.01.2009, S. 13). Vor allem nach dem militärischen Angriff der JEM auf Khartum im Mai 2008 sind die prominenten Akteure im Visier der sudanesischen Regierung, die sich auf diplomatischem Weg dagegen wendet, dass europäische Länder diesen Personen Aufenthalt gewähren. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe vertritt in ihrer Stellungnahme vom 28.09.2005 die Auffassung, dass ein erhöhtes Gefährdungsrisiko für Personen besteht, die sich im Exil politisch betätigt haben und Mitglied der JEM sind. Dies gilt erst recht für Personen, die in einer vergleichbaren Exilorganisation eine exponierte Stellung einnehmen, wie dies beim Kläger als Repräsentant der URF in Deutschland der Fall ist.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr beziehungsweise Abschiebung unerkannt und unbehelligt in den Sudan einreisen und sich dann im Land einem Zugriff der Sicherheitskräfte entziehen kann. Wahrscheinlich ist es vielmehr, dass er schon bei der Einreise identifiziert und festgehalten wird. Nach wie vor werden sämtliche Sudanesen vor allem nach längerem Auslandsaufenthalt bei ihrer Einreise in den Sudan einer Befragung unterzogen. Dies gilt zwar zunächst nur der Kontrolle, ob steuerliche Verpflichtungen erfüllt sind, denen alle im Ausland tätigen Sudanesen unterliegen (AA, Lagebericht v. 15.01.2009, S. 18, 19). Als Angehöriger einer nicht-arabischen Ethnie aus Darfur (Masalit) wird der Kläger aber darüber hinaus Argwohn erregen und Anlass für eine genauere Überprüfung durch die Sicherheitskräfte und den Geheimdienst bieten (Auskunft der SFH vom 28.11.2006 zur Rückkehrgefährdung für Personen aus Darfur). Spätestens im Zuge dieser genaueren Überprüfung ist damit zu rechnen, dass sein exilpolitisches Engagement für eine der in Darfur tätigen Rebellenorganisationen offenbar wird, was mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Verhaftung zum Zweck weiterer Ermittlungen nach sich ziehen wird.

Im Zuge dieser Inhaftierung von nicht absehbarer Dauer ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt muss der Kläger damit rechnen, gefoltert zu werden (Auskunft der SFH vom 28.09.2005, a.a.O.). Dies deckt sich mit der Einschätzung des Auswärtigen Amts im aktuellen Lagebericht vom 15.01.2009, wonach der Sudan - nach wie vor - in rechtsstaatlicher Hinsicht gravierende Mängel aufweist und Personen von den Sicherheitskräften ohne Angabe von Gründen verhaftet und monatelang festgehalten werden. Gesicherte Erkenntnisse über Folter und Misshandlungen in sudanesischen Gefängnissen liegen dem Auswärtigen Amt zwar nicht vor; internationale Beobachter sehen entsprechende Aussagen Betroffener aber als glaubhaft an (Lagebericht, S. 16).

Die dem Kläger nach alledem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung im Sudan, deren politischer Charakter offensichtlich ist, rechtfertigt indessen nicht seine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16 a GG). Dem steht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen (Beschl. v. 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 BVerfGE 74, 51), die in § 28 Abs. 1 AsylVfG einfachgesetzlich umgesetzt ist. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Bei der seine Rückkehrgefährdung auslösenden exilpolitischen Betätigung des unverfolgt ausgereisten Klägers handelt es sich um einen selbstgeschaffenen Nachfluchttatbestand im Sinne von § 28 Abs. 1 AsylVfG. Dieser führt nur dann zum Asylgrundrecht, wenn die exilpolitischen Aktivitäten sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Herkunftsstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Ausländer sich aufgrund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte (§ 28 Abs. 1 S. 2 AsylVfG). Als der Kläger den Sudan zum Zweck der Aufnahme eines Studiums in Deutschland im August 1991 verließ, war er 19 Jahre alt. Bereits im Jahr 1988 hat er nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt im ersten Asylverfahren sein Abitur abgelegt und danach als Privatlehrer gearbeitet. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass er im Zeitpunkt seiner Ausreise alters- und entwicklungsbedingt noch nicht in der Lage war, eine feste politische Überzeugung zu bilden. Andererseits ist nicht ersichtlich, dass diese grundsätzliche Befähigung zu einer festen politischen Überzeugung sich vor seiner Ausreise in einer konkreten Betätigung niedergeschlagen hätte. Gegenüber dem Bundesamt hatte der Kläger lediglich angegeben, im Jahr 1997 (gemeint ist wohl 1987) als Schüler an einer Demonstration wegen der Erhöhung der Zuckerpreise teilgenommen zu haben und deswegen zwei Wochen lang auf der Polizeistation festgehalten worden zu sein. Dieses politische Engagement stellt sich jedoch als situationsbedingt und insbesondere nicht nachhaltig dar und genügt den Anforderungen an eine erkennbar betätigte Überzeugung im Sinne von § 28 Abs. 1 S. 1 AsylVfG somit nicht. Offenbar war der Kläger nach diesem Vorfall bis zu seiner Ausreise politisch enthaltsam, so dass es schon deshalb an der von § 28 Abs. 1 S. 1 AsylVfG geforderten Kontinuität der politischen Betätigung fehlt.

Auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat der Kläger demgegenüber Anspruch. Die dargestellte Gefährdungslage im Falle seiner Rückkehr in den Sudan ist nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 in Verbindung mit der Richtlinie 2004/83/EG flüchtlingsrechtlich relevant. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert auch nicht an § 28 Abs. 2 AsylVfG. Danach kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die risikolose Verfolgungsprovokation durch Nachfluchtgründe, die der Betreffende nach Abschluss des ersten Asylverfahrens selbst geschaffen hat, regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist allerdings dann widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe Nachfluchtaktivitäten nach Ablehnung des Erstantrags nur oder aber hauptsächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder intensiviert (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008, a.a.O.). Diese Widerlegung ist dem Kläger gelungen. Er hat in der mündlichen Verhandlung plausibel gemacht, dass seine exilpolitische Betätigung seine Wurzel zunächst in einem allgemeinen entwicklungspolitischen Engagement hatte. Dies änderte sich qualitativ und gewann an Intensität, als er im Zuge des Darfur-Konflikts als Angehöriger eines dort von Verfolgung bedrohten Stammes eine persönliche Betroffenheit empfand. Diese Betroffenheit ließ ihm, wie er in der mündlichen Verhandlung überzeugend formuliert hat, keine andere Wahl, als sich zu Gunsten seiner bedrohten Ethnie im Exil politisch zu betätigen. Das Gericht nimmt es ihm ab, dass nicht der angestrebte Ausgang der von ihm betriebenen Asylverfahren die Triebfeder seines Handelns war und ist. Dies gilt auch mit Blick auf die zuletzt entfaltete Intensivierung seiner Aktivitäten. Das Amt des Repräsentanten der URF in Deutschland hat er nicht von sich aus angestrebt; es wurde vielmehr von Abu Garda, dem Führer der URF, an ihn herangetragen. Die Ausweitung seiner Aktivitäten im Verlauf des Asylfolgeverfahrens ist diesem Amt und der damit verbundenen erhöhten Verantwortung geschuldet und lässt sich zur Überzeugung des Gerichts nicht in einen vordergründigen Zusammenhang mit dem von ihm zugleich angestrebten Erfolg in diesem Verfahren bringen. [...]