VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Beschluss vom 30.07.2010 - RN 9 E 10.30272 - asyl.net: M17414
https://www.asyl.net/rsdb/M17414
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung im Dublin-Verfahren. Auch wenn noch kein Abschiebungstermin bestimmt ist, besteht für einen Eilantrag ein Rechtsschutzbedürfnis, da das BAMF nach gerichtsbekannter Praxis die Abschiebungsanordnung ungeachtet der in der Rechtsprechung geäußerten Bedenken dem Betroffenen so spät bekannt gibt, dass dann eine Anrufung des Gerichts vor einer Abschiebung faktisch ausscheidet.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, einstweilige Anordnung, Zustellung, Rechtsschutzinteresse, Konzept der normativen Vergewisserung, Anhörung
Normen: VwGO § 123 Abs. 5, AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am 1. Januar 1986 geboren, afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Nach Aktenlage reiste er am 22. Januar 2010 mit der Eisenbahn von Salzburg kommend nach Deutschland ein. Bei einer Polizeikontrolle in Bad Reichenhall suchte er am 23. Januar 2010 um Asyl nach.

Den daraufhin für den 14. April 2010 anberaumten Termin zur persönlichen Anhörung des Antragstellers hob die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. Februar 2010 "wegen einer noch ausstehenden Prüfung eines eventuell vorliegenden Dublinverfahrens" auf. [...]

2. Angesichts des aktenkundigen Entschlusses der Antragsgegnerin, nicht von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, sondern die Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland zu betreiben, kann dem Eilantrag nicht das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, auch wenn ein Termin für die Abschiebung nach Aktenlage noch nicht bestimmt worden ist. Nach der gerichtsbekannten Praxis der Antragsgegnerin wird die Abschiebungsanordnung ungeachtet der in der Rechtsprechung geäußerten Bedenken dem Betroffenen so spät bekanntgegeben, dass dann eine Anrufung des Gerichts vor der Abschiebung faktisch ausscheidet.

3. Das Begehren scheitert vorliegend auch nicht an dem grundsätzlichen Ausschluss eines gerichtlichen Abschiebestopps nach Maßgabe von § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG). Denn es bestehen beachtliche Anhaltspunkte dafür, dass das dieser Regelung zugrundeliegende "Konzept der normativen Vergewisserung" (vgl. BVerfGE 94, 49/99 f.) hinsichtlich der aktuellen Situation von Asylbewerbern in Griechenland nicht trägt und daher eine verfassungskonforme Ausnahme von dieser Vorschrift veranlasst ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. September 2009 (2 BvQ 56/09) und seither wiederholt festgestellt. [...]