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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 11.05.2010 - 5303522-223 - asyl.net: M17478
https://www.asyl.net/rsdb/M17478
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für 18-Jährigen, da er bei einer Rückkehr nach Angola allein auf sich gestellt wäre und seine Existenz nicht sichern könnte. Anders als bei Rückkehrern, die erst im Erwachsenenalter Angola verlassen haben, kann bei dem Antragsteller nicht davon ausgegangen werden, dass er vor seiner Einreise als 16-Jähriger außerfamiliäre soziale Bindungen geknüpft hat, auf die er zurückgreifen könnte.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Angola, Existenzgrundlage, Existenzminimum, Medikamente, unbegleitete Minderjährige, minderjährig, Sicherung des Lebensunterhalts
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Es liegt jedoch ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich der Republik Angola vor. [...]

Im Großraum Luanda, in dem ca. ein Drittel der Angolaner lebt, dem erweiterten Küstenstreifen, den meisten Provinzhauptstädten und im ganzen Südwesten des Landes ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln und den Gebrauchsgütern des Alltags weitgehend gewährleistet. Die Mehrheit der angolanischen Bevölkerung lebt allerdings nach wie vor am Rande des Existenzminimums und überlebt mit Subsistenzwirtschaft, Kleinsthandel oder Gelegenheitsarbeiten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.06.2007 - Stand: Juni 2007 - Seite 15). Aus dem Ausland zurückkehrende Angolaner finden dem zitierten Lagebericht zufolge in der Regel rasch Anschluss zu Menschen aus ihrer Heimatprovinz in Luanda. Es sei unwahrscheinlich, dass Rückkehrer bei Ankunft in Luanda weder auf Familie noch Freunde noch Leute aus dem eigenen Dorf zurückgreifen könnten (vgl. zitierten Lagebericht). Nach Einschätzung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Luanda (Auskunft vom 15.06.2006 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) lassen sich nahezu immer eine ihnen in irgendeiner Form verbundene Bezugsperson finden, die zumindest entfernt - manchmal auch gar nicht tatsächlich verwandt sei, aber die jedenfalls bereit wäre, weiter zu helfen. Hingegen hätten Personen, die nicht auf soziale Netze zurück greifen könnten, ernsthafte Probleme, ihr Überleben zu sichern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola - update: Juli 2006, Seite 7). Die enormen Migrationsbewegungen in die städtischen Gebiete seien nicht durch Investitionen in die Infrastruktur unterstützt worden, weshalb insbesondere die Wasser- und Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet sei (vgl. zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes).

Die Arbeitslosigkeit in der Republik Angola ist mit offiziellen 30 bis 40 % bereits hoch, liegt aber wohl in Wirklichkeit noch höher. Die Finanzierbarkeit von Medikamenten hängt von der Erlangung eines Arbeitsplatzes ab, sofern nicht der Familienverband aushilft (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Luanda vom 29.12.2006). In staatlichen Krankenhäusern könne es zu Engpässen bei der Medikamentenversorgung kommen. In diesen Fällen müsste der Patient (oder seine Familie) die Medikamente in einer Apotheke kaufen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.06.2007, Seite 16).

Für die Rückkehr von Minderjährigen stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26.07.2006 Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung, von denen allerdings zumindest einige nur Kinder bis 14 Jahre aufnehmen. Die vom Auswärtigen Amt als beispielhaft beschriebene Einrichtung (Instituto Nacional da Crianca, INAC) war nach der zitierten Auskunft zum damaligen Zeitpunkt ausgelastet. Nach Feststellungen der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in der Republik Angola sind Aufnahmeeinrichtungen für Kinder häufig überlaufen. Ihnen fehlen finanzielle oder personelle Mittel. Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes 2007 zufolge werden zurückkehrende unbegleitete Minderjährige nach Auskunft der staatlichen Flughafenbetreibergesellschaft von dieser in Empfang genommen und in ein Übergangsheim gebracht. Dort würden sie, bis ihre Familie ausfindig gemacht sei, vom INAC weiter betreut. Nach Einschätzung des Instituts für Afrika-Kunde (Auskunft vom 12.08.2004 an das VG Oldenburg) seien ältere Kinder und Jugendliche oder familiäre Rückbindungen, die nach Angola zurückkehrten, in besonderem Maße erheblichen Risiken für Leib und Leben ausgesetzt. Ihre Wiedereingliederung in die angolanische Gesellschaft sei extrem schwierig und mit beträchtlichen Gefährdungen behaftet. Rückkehrer ohne familiäre Rückbindung seien häufig auf die von Hilfsorganisationen geleistete Nothilfe angewiesen, um zu überleben, die jedoch längst nicht alle Bedürftigen erreiche. Für zahlreiche Menschen hängt das Überleben daher davon ab, dass sie ihr Selbstbehauptungs- und Improvisationsvermögen entwickelten. Eine reguläre Beschäftigung zu finden, sei illusorisch. Groß daher das Risiko, dass Frauen und Mädchen gezwungen seien, ihren Unterhalt durch Prostitution zu verdienen. Zudem sei Gewalt gegen Frauen in der angolanischen Gesellschaft weit verbreitet (ebenso: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola-update: Juli 2006, Seite 4).

Im Fall einer Rückkehr nach Angola unter den im Zielstaat oben beschriebenen herrschenden Bedingungen und aufgrund der individuellen Besonderheiten seiner Lebenslage wäre der Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, ein Auskommen zu finden und alsbald lebensbedrohenden Gefährdungen ausgesetzt. Der Antragsteller könnte nicht damit rechnen, bei seiner Ankunft in Luanda Unterstützung durch das INAC zu erfahren. Nach der Auskunftslage besteht die primäre Aufgabe des INAC darin, unbegleitete Minderjährige zu betreuen, bis deren Familie gefunden ist und sie bei der Suche nach Familienangehörigen zu unterstützen. Der Antragsteller selbst ist bereits 18 Jahre alt und gab an, seine Schwester ..., mit der er bereits damals auf der Straße gelebt habe, aus den Augen verloren zu haben. Weitere Kontakte habe er dort nicht.

Bei einer Rückkehr in die Republik Angola wäre der Antragsteller deshalb allein auf sich gestellt. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit würde er nicht in der Lage sein, unter den in Angola herrschenden Umständen seinen Lebensunterhalt zu sichern. Die Arbeitslosigkeit liegt - wie bereits ausgeführt - offiziell bei 30 bis 40 % in Wirklichkeit jedoch noch höher. Da - wie ausgeführt - nicht angenommen werden kann, dass der Antragsteller mit familiärer Unterstützung rechnen oder Freunde oder Bekannte bzw. seine Mutter ausfindig machen könnte, ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Republik Angola Schaden nehmen könnte. Es ist nicht ersichtlich, wie er selbstständig ein Auskommen finden könnte. Ob es weitere Familienangehörige in Angola gibt, ist ungewiss. Anders als bei Rückkehrern, die erst als Erwachsene Angola verlassen haben, kann bei dem Antragsteller nicht davon ausgegangen werden, dass er bereits als 16-Jähriger außerfamiliäre soziale Bindungen geknüpft hat, auf die er zurückgreifen könnte. Somit wird er keine Chance haben, in Luanda Personen aus seinem Dorf oder einer Region ausfindig zu machen, die ihm helfen könnten. Vor diesem Hintergrund, dass eine erzwungene Rückkehr zu einer Gefährdung des Lebens des Antragstellers führen würde, ist ihm nicht zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren.

Im konkreten Fall liegt deshalb das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Republik Angola vor. [...]