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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 08.09.2010 - 5436758-265 - asyl.net: M17588
https://www.asyl.net/rsdb/M17588
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen fortgeschrittener AIDS-Erkrankung. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass HIV/AIDS überall in Ruanda über das Krankenversicherungssystem "Assurance Mutuelles" behandelt werden kann. Dieses übernimmt jedoch nicht alle Behandlungskosten, vielmehr müssen die Versicherten nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16.4.2009 eine Eigenbeteiligung von z. Zt. 15 % selbst aufbringen. Da die Antragstellerin keine Angehörigen in Ruanda mehr hat, ist davon auszugehen, dass sie diesen Eigenanteil und auch ihren Lebensunterhalt nicht erwirtschaften könnte.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Ruanda, HIV/AIDS, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Die politische Lage in Ruanda stellt sich derzeit wie folgt dar:

Die heutige Politik ist stark von den Nachwirkungen des Krieges 1989-1994, dem Genozid 1994, den wirtschaftlichen Problemen und der Unsicherheit dieser Region Afrikas geprägt. Von den Ereignissen des Jahres 1994, dem Genozid an den Tutsis, hat sich Ruanda immer noch nicht erholt.

Seit 2000 ist Paul Kagame, Anführer der "Ruandischen Patriotischen Front" (FPR), Staatschef der Republik Ruanda, der mit seiner Regierungspartei nach seinem militärischen Sieg 1994 das Land fest im Griff hat. Seit 2003 besitzt Ruanda eine Verfassung. Präsident Kagame gelangte endgültig durch eine demokratische Wahl 2003 legal an die Macht. Ihm wird zugute gehalten, dass er Ruanda nach dem Völkermord von 1994 befriedete. Seine Regierung hat bereits als provisorische Regierung die Abschaffung der Ethnien betrieben, so dass es eine behördliche Unterscheidung zwischen Hutus und Tutsis nicht mehr gibt. Zudem hat sich das Land wirtschaftlich erholt. In den 16 Jahren seit dem Massenmord entwickelte sich der ostafrikanische Kleinstaat zu einem der Länder Afrikas mit den höchsten wirtschaftlichen Wachstumsraten.

Mit der Wahl im August 2010 wurde Präsident Kagame mit klarer Mehrheit im Amt bestätigt. Menschenrechtsorganisationen prangern allerdings an, dass die Pressefreiheit vor der Wahl eingeschränkt und die Opposition behindert worden sei. Mehrere Oppositionspolitiker durften nicht bei der Präsidentenwahl kandidieren. Einige erklärten, sie seien vor der Wahl massiv eingeschüchtert worden. [...]

Es liegt jedoch ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Ruanda vor.

Von einer Abschiebung soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn der Ausländerin eine erhebliche individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. [...]

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass HIV/AIDS überall in Ruanda über das Krankenversicherungssystem "Assurance Mutuelles" behandelt werden kann. Dieses übernimmt jedoch nicht alle Behandlungskosten, vielmehr müssen die Versicherten eine Eigenbeteiligung von z. Zt. 15 selbst tragen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16.04.2009, Az. RK 5 SE, auf Anfrage des VG Braunschweig vom 08.04.2009). Da die Antragstellerin eigenem Bekunden nach keine Angehörigen mehr in Ruanda besitzt, ist davon auszugehen, dass sie einen eventuellen Eigenanteil nicht tragen könnte, zumal sie aus in ihrer Person liegenden Gründen ebenfalls nicht in der Lage sein dürfte, diesen Eigenanteil und auch ihren Lebensunterhalt in Ruanda selbst zu erwirtschaften. Zudem ist davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin im Falle einer Rückkehr nach Ruanda aufgrund der bereits fortgeschrittenen Erkrankung (Stadium AIDS) bei Nichtbehandlung alsbald nach ihrer Rückkehr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verschlechtern würde. [...]