VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Beschluss vom 12.11.2010 - 4 B 259/10 - asyl.net: M17819
https://www.asyl.net/rsdb/M17819
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen zwangsweise Vorführung bei einer Delegation Sierra Leones, da es sich der Kammer nicht erschließt, weshalb die erneute Vorführung nunmehr erfolgsversprechend sein soll. Jeweils zwei Vorführungen vor den Vertretungen Sierra Leones und Guineas blieben erfolglos, weil die jeweilige Auslandsvertretung auf die Staatsangehörigkeit des jeweils anderen Staates verwiesen hat.

Schlagwörter: zwangsweise Vorführung bei Auslandsvertretung, Identitätsfeststellung, Staatsangehörigkeit, vorläufiger Rechtsschutz, Sofortvollzug, Sierra Leone, Guinea
Normen: VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, AufenthG § 82 Abs. 4, BPolG § 40, BPolG § 41, BPolG § 42
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2010 wiederherzustellen, Es lässt sich nicht feststellen, dass der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2010 offensichtlich rechtmäßig ist.

Gemäß § 82 Abs. 4 AufenthG kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen im Aufenthaltsgesetz und nach aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist, angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint, sowie eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird. Kommt der Ausländer einer Anordnung nach Satz 1 der Norm nicht nach, so kann sie zwangsweise durchgesetzt werden; § 40 Abs. 1 und 2, §§ 41, 42 Abs. 1 und 3 des Bundespolizeigesetzes finden entsprechende Anwendung.

Allerdings ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens vor einer Auslandsvertretung nur zulässig, wenn der Ausländer vermutlich die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt. Zwar muss keine Gewissheit vorliegen, weil gerade die Staatsangehörigkeit geklärt werden soll. Allerdings ist eine Vorführung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Bestehen der fraglichen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 23. November 2009, 4 MB 111/09).

Die Voraussetzungen dieser Norm liegen bei der summarischen Prüfung durch die Kammer nicht offensichtlich vor. Es erschließt sich der Kammer nicht, aus welchen Gründen die erneute Vorführung des Antragstellers vor Vertretern Sierra Leones nunmehr erfolgversprechend sein soll. Jeweils 2 Vorführungen vor den Vertretungen Sierra Leones und Guineas blieben erfolglos, weil die jeweilige Auslandsvertretung auf die Staatsangehörigkeit des jeweils anderen Staates verwiesen hat. Neue Erkenntnisse, dass der Antragsteller die Staatsangehörigkeit Sierra Leones besitzt, liegen nicht vor. Zwar sprechen durchaus Indizien dafür; so hat der Antragsteller bisher stets behauptet, von dort zu stammen und wehrt sich dagegen, Passersatzpapiere seines angeblichen Heimatlandes ausgestellt zu bekommen, statt froh zu sein, seinen illegalen Aufenthaltsstatus möglicherweise beenden zu können.

Gewichtigere Indizien sprechen hingegen eher dafür, dass der Antragsteller entgegen seinen Behauptungen tatsächlich aus Guinea stammt: Zum einen kommt das nachvollziehbare Sprachgutachten zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller wegen der von ihm verwendeten französischen Lehnwörter aus Guinea stammt. Zum anderen hat der Antragsteller sein Handy auf die französische Menüsprache eingestellt, eine Sprache, die in Sierra Leone nicht gesprochen wird, und unterhält telefonische Kontakte nach Guinea. Näherliegend wäre es hingegen, über das Auswärtige Amt Ermittlungen in Guinea zu der Telefonpartnerin anzustellen, um herauszufinden, ob der Antragsteller dort bekannt ist.

Nach allem ergibt hier die Interessenabwägung, dass es dem Antragsteller bei der derzeitigen Erkenntnislage nicht zuzumuten ist, sich einer weiteren Botschaftsbefragung durch sierraleonische Behördenvertreter zu stellen. [...]