VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 23.11.2010 - VG 7 L 811/10.A - asyl.net: M17941
https://www.asyl.net/rsdb/M17941
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, einstweilige Anordnung, Zustellung, Zustimmungsfiktion, Konzept der normativen Vergewisserung, Ermessen, Selbsteintritt
Normen: VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, VwVfG § 43 Abs. 1 S. 1, VwVfG § 41 Abs. 1, VwVfG § 41 Abs. 5, AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 4, VwZG § 8, GG Art. 16a Abs. 2 S. 3, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist auch zulässig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass gemäß § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) nach § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes (§ 80 oder § 123 VwGO) ausgesetzt werden darf. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 2 AsylVfG liegen allerdings vor. Die Antragsgegnerin sieht den im Bundesgebiet gestellten Asylantrag des Antragstellers offensichtlich nach § 27a AsylVfG als unzulässig an, weil aufgrund der vorgenannten Rechtsvorschrift der Europäischen Gemeinschaft ein anderer Staat, nämlich Griechenland, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies zeigt auch das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juli 2009 an Griechenland, das von dort nicht innerhalb der Frist des Art. 18 Abs. 7 der Dublin II-VO beantwortet worden ist. [...]

Darüber hinaus sieht das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf mit Blick auf den Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes durch § 34a Abs. 2 AsylVfG auch in dem hier maßgeblichen Anwendungsbereich des § 27a AsylVfG. Danach besteht Anlass zur Untersuchung, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-VO zuständigen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft ist. Mehreren diesbezüglich erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Beschlüssen Erfolgsaussichten nicht abgesprochen und daraufhin mit Blick auf die im Falle einer Abschiebung nach Griechenland unter Berufung auf "ernst zu nehmende Quellen" zu befürchtenden Rechtsbeeinträchtigungen die Abschiebung eines Asylbewerbers untersagt (vgl. zuletzt Beschlüsse der 1. Kammer des 2. Senats vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09 -, vom 10. Dezember 2009 - 2 BvR 2767/09 -, vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2879/09 -, vom 21. Mai 2010 - 2 BvR 1036/10 -, vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1460/10 - und vom 12. Oktober 2010 - 2 BvR 1902/10 - zitiert nach juris).

Dabei kann hier offen bleiben, ob eine derartige verfassungsrechtliche Prüfung zum Ergebnis hat, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG insoweit verfassungswidrig ist oder ob eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung dieser Vorschrift in Betracht kommt. [...]