VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 16.11.2010 - AN 2 S 10.30438 [= ASYLMAGAZIN 2011, S. 32 f.] - asyl.net: M17963
https://www.asyl.net/rsdb/M17963
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Einstellung des Asylverfahrens wegen "unbrauchbarer Fingerabdrücke". Die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des Einstellungsbescheids - u.a. erlischt gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG die Aufenthaltsgestattung - begründen hier bereits das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers. Der Vorwurf unzureichender Mitwirkung trotz Aufforderung ist vorliegend in keiner Weise nachvollziehbar.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Asylverfahren, Einstellung, Nichtbetreiben des Verfahrens, Mitwirkungspflicht, Somalia, Rechtsschutzinteresse, Suspensiveffekt, Rücknahmefiktion, Betreibensaufforderung, Aufenthaltsgestattung, Erlöschen, Dublin II-VO
Normen: AsylVfG § 33 Abs. 1 S. 1, VwGO § 80 Abs. 5, AsylVfG § 75, AsylVfG § 15 Abs. 1, AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 7, AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Der hier zur Entscheidung stehende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der im Verfahren AN 2 K 10.30439 erhobenen Klage gegen den Bescheid des BAMF vom 19. Oktober 2010 ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, § 75 AsylVfG sowohl zulässig als auch begründet.

Insbesondere verfügt der Antragsteller über ein anerkennenswertes Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn in Ziffer 3 des Bescheides ein Abschiebezielstaat noch nicht konkretisiert ist. Nach zutreffender Ansicht wird durch die aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO die Wirksamkeit des betroffenen Verwaltungsaktes (vorläufig) gehemmt; Vollziehbarkeit im Sinne des § 80 VwGO bedeutet die (vorläufige) Berechtigung oder Verpflichtung zu allen Folgerungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die Behörden, Gerichte oder Bürger aus dem Bestand eines Verwaltungsaktes ziehen können (vgl. z.B. Knipp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, RdNr. 22 ff. zu § 80, m.w.N. - auch zu abweichenden Auffassungen). Die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des ergangenen Bescheides - u.a. erlischt gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG die Aufenthaltsgestattung im Falle der Rücknahme des Asylantrags bereits mit der Entscheidung des Bundesamts - begründen daher hier bereits das erforderliche Rechtsschutzinteresse des Antragstellers. Darüber hinaus wird mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung für deren Dauer die Möglichkeit einer Konkretisierung der Abschiebungsandrohung durch ergänzende Bestimmung des Zielstaats und der Durchführung damit im Zusammenhang stehender Maßnahmen unterbunden.

Hinsichtlich der Begründetheit des Antrags ergibt die summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass der angegriffene Bescheid im Klageverfahren keinen Bestand haben wird, weil zu Unrecht von § 33 AsylVfG Gebrauch gemacht worden ist. Dies erfordert bei Abwägung der gegenseitigen Interessen die Antragsstattgabe zum Schutz des Aufenthaltsstatus des Antragstellers, der ansonsten in gewichtiger Weise beeinträchtigt wäre.

Die gravierenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des ergangenen Bescheides betreffen bereits dessen Ausgangspunkt, die Annahme einer Rücknahmefiktion auf Grund Nichtbetreibens des Asylverfahrens trotz Aufforderung gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. § 15 AsylVfG.

Wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Betreibensaufforderung ist hier der Umstand, dass Veränderungen an den Fingerkuppen des Antragstellers festgestellt worden sind. Dies mag bei vorläufiger Einschätzung (ohne abschließende Prüfung insbesondere der Frage, ob die Duldungspflicht des § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG oder zumindest die allgemeine Mitwirkungspflicht des § 15 Abs. 1 AsylVfG auch die "Bereithaltung" auswertungsfähiger Fingerabdrücke erfasst) dann, wenn die Abdrücke deshalb tatsächlich nicht auswertbar sind und ein hinreichender Manipulationsverdacht besteht, eine Aufforderung zum Betreiben des Asylverfahrens in Form erneuten Erscheinens zur Abgabe auswertbarer Fingerabdrücke, einer Erläuterung bei erneutem Scheitern und einer Darlegung des Reiseweges mit Aufenthaltsdauer sowie eventueller früherer Asylantragsverfahren rechtfertigen. Gewissen Bedenken, die hier für die Entscheidung jedoch dahinstehen können, würde es allerdings wohl begegnen, wenn dabei sogleich - ohne zuvor bereits eingeräumt gewesene Möglichkeit entsprechender mündlicher Auskunftserteilung - schriftliche Darlegung gefordert würde.

Es ergeben sich aber im Fall des Antragstellers die maßgeblichen, gravierenden Rechtmäßigkeitszweifel daraus, dass in keiner Weise erkennbar ist, dass der Antragsteller der Aufforderung nicht hinreichend im Sinne eines anzunehmenden Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses nachgekommen sein soll. Es fehlt jegliche diesbezügliche Aufzeichnung in den vom Bundesamt vorgelegten Akten und Unterlagen, insbesondere gerade auch dazu, wie der erneute Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung, zu dem der Antragsteller nach der Bemerkung im Einstellungsbescheid jedenfalls erschienen ist, verlaufen ist und warum dabei ein erheblicher Verdacht der Manipulation fortbesteht. Der dem Antragsteller gegenüber erhobene Vorwurf unzureichender Mitwirkung trotz Aufforderung ist somit in keiner Weise nachvollziehbar; die Unterlagen enthalten keine insoweit aussagekräftigen Angaben. Auch wenn nach hiesiger vorläufiger Auffassung der vom BAMF eingeschlagene Weg wohl grundsätzlich gangbar erscheint, fehlt es doch vorliegend an einer gesicherten Feststellbarkeit des Nicht-Betreibens, um die streitgegenständliche Einstellung und die Folgeentscheidungen tragen zu können. Darüber hinaus ist hier zu bemerken, dass dem Antragsteller einerseits in der Betreibensaufforderung vom 31. August 2010 eine Monatsfrist gesetzt worden ist, er aber andererseits zugleich eine Ladung zur erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung (erst) für den 6. Oktober 2010 erhalten hat.

Bei dieser tatsächlichen und rechtlichen Ausgangslage verdient aber das Interesse des Asylbewerbers, von den Konsequenzen der Verfahrenseinstellung (u.a. § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, vgl. o.) und der nachfolgenden Ausreiseaufforderung mit der Abschiebungsandrohung während des Klageverfahrens unbehelligt zu bleiben, den Vorzug vor den Belangen auf Seiten der Antragsgegnerin, auch wenn zunächst ein konkreter Abschiebezielstaat noch nicht bestimmt ist (was sich aber jederzeit ändern kann, worauf auch gemäß der Bescheidsbegründung abgezielt wird). [...]