OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.01.2010 - 3 B 2.09 - asyl.net: M18065
https://www.asyl.net/rsdb/M18065
Leitsatz:

Die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG tritt im Falle eines verspäteten Verlängerungsantrags nicht ein (entgegen OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 8 B 120.06 -, InfAuslR 2006, 448 [= ASYLMAGAZIN 5/2006 S. 28])

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Fiktionswirkung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Visum, Visumsverfahren, Zuständigkeit, eigenständiges Aufenthaltsrecht, verspätete Antragstellung,
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 71 Abs. 2, AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 6 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 31, AufenthG § 85, AufenthG § 8 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

2. Der Klägerin steht ein Anspruch auf (weitere) Verlängerung der ihr zuletzt am 18. Juni 2004 verlängerten Aufenthaltserlaubnis nicht zu.

a) Als Rechtsgrundlage für das Begehren kommt, nachdem die Ehe der Klägerin rechtskräftig geschieden worden ist, allein § 31 AufenthG in Betracht. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 3 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten (eines Deutschen) im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Deutsche bis dahin seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. § 31 Abs. 1 AufenthG regelt ungeachtet des damit verbundenen Wechsels des Aufenthaltszwecks einen speziellen Verlängerungstatbestand, für den grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der §§ 7 und 8 AufenthG gelten (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43/06 -, NVwZ 2008, 333, 335, Rz. 22).

b) Die Verlängerung eines Aufenthaltstitels scheidet jedoch aus Rechtsgründen aus, wenn sie erst nach dessen Erlöschen - etwa durch den Ablauf seiner Geltungsdauer (§ 51 Abs. 1 Nr. 1AufenthG) - beantragt wird. In einem solchen Fall existiert im Zeitpunkt der Antragstellung kein Aufenthaltstitel mehr, so dass schon begrifflich nicht mehr von einer "Verlängerung" gesprochen werden kann (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 18 B 1695/08 -, juris, Rz. 4; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2006, Rz. 26 zu § 81 AufenthG; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand April 2009, Rz. 43 [Seite 28.3] zu § 81 AufenthG; gegen die Verlängerbarkeit nach Ablauf der Geltungsdauer auch Kloesel/Christ/ Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand: April 2008, Rz. 16 zu § 8 AufenthG; Renner, Ausländerrecht, a.a.O., Rzn. 11 zu § 8, 18 zu § 81 AufenthG; Zeitler in HTK-AuslR, Stand Dezember 2009, Anm. 5 zu § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG; im Grundsatz ebenso Nr. 8.1.4 i.V.m. mit Nr. 81.4.2.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz [AVwV-AufenthG] vom 26. Oktober 2009, GMBl. 877; a.A. Dienelt, InfAuslR 2005, 136, 138/139).

Die Klägerin hat das Visum und damit die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis verspätet, nämlich nicht vor dem 9. März 2006 beantragt. Dabei nimmt der Senat zu ihren Gunsten an, dass sie im Januar 2006 aus einem seiner Natur nach nur vorübergehenden Grund nach Vietnam gereist ist, so dass nicht schon die damit verbundene Ausreise aus dem Bundesgebiet zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis geführt hat (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG); hierfür spricht, dass sich die Klägerin nach Auskunft des Generalkonsulats in Ho-Chi-Minh-Stadt gegenüber der Beigeladenen jedes Jahr - wenn auch nur für jeweils ca. 4 Wochen - in Vietnam aufgehalten hat. Gleichwohl war im Zeitpunkt der Visumbeantragung die auf den 6. März 2006 befristete Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis vom 18. Juni 2004 abgelaufen. Der Klägerin steht daher ein Anspruch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis und damit auch gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG auf Erteilung eines Visums nicht zu. [....]

c) Die bereits vor Antragstellung abgelaufene Aufenthaltserlaubnis ist auch nicht ausnahmsweise deshalb einer Verlängerung zugänglich, weil der bei dem Generalkonsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt gestellte Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst hätte. Nach dieser Vorschrift gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt.

Dabei mag offenbleiben, ob die Antragstellung im Ausland bei einer deutschen Auslandsvertretung überhaupt geeignet ist, eine Fiktionswirkung auszulösen. [...]

Dem muss jedoch aus Anlass des vorliegenden Falles nicht näher nachgegangen werden. Denn die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG tritt im Falle eines verspäteten Verlängerungsantrags nicht ein. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Wirkung und Behandlung verspäteter Verlängerungsanträge heftig umstritten ist (vgl. insoweit nur Albrecht in Storr u.a., Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, Rzn. 17 ff. zu § 81 AufenthG; Funke-Kaiser, a.a.O., Rz. 43; für die Fiktionswirkung jeglichen Antrags auf Erteilung eines anderen oder Verlängerung des bisherigen Aufenthaltstitels: Hofmann in HK-AuslR, 2008, Rzn. 33 ff. zu § 81 AufenthG), und dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung zunehmend die Auffassung vertreten wird, ein verspätet gestellter Verlängerungsantrag löse die Fortgeltungsfiktion aus, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und dem Antrag bestehe (OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2006 - 8 B 120/06 -, InfAuslR 2006, 448; Beschluss vom 24. Juli 2009 - 18 B 1661/08 -, juris, Rz. 14; OVG Bautzen, Beschluss vom 30. November 2009 - 3 B 174/08 -, juris, Rz. 3; VGH München, Beschluss vom 28. September 2009 - 19 CS 09.1610 -, juris, Rz. 4; im Ergebnis ebenso AVwV-AufenthG Nr. 81. 4. 2.3; offen gelassen vom Senat im Beschluss vom 30. Juni 2006 - OVG 3 S 24.06 -). Dieser von Wertungen abhängigen und damit zu Rechtsunsicherheit führenden Auffassung folgt der Senat nicht. Ihr ist zwar zuzugeben, dass die Entstehungsgeschichte des § 81 Abs. 4 AufenthG ein solches Verständnis jedenfalls nicht ausschließt. Ursprünglich war nämlich im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem Zuwanderungsgesetz (BT-Drs. 15/420 vom 7. Februar 2003) als Satz 2 des § 81 Abs. 4 AufenthG folgende Bestimmung vorgesehen: "Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt". Seine heutige Fassung erhielt § 81 Abs. 4 AufenthG im Vermittlungsverfahren (vgl. GKAufenthG, Stand November 2007, Gesetzesmaterialien und -begründung zu § 81), ohne dass die dafür maßgebenden Gründe, soweit ersichtlich, in öffentlich zugänglicher Weise dokumentiert wären. Dies ließ die Berücksichtigung verspäteter Anträge im Rahmen des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht ausgeschlossen erscheinen. Der Gesetzgeber hat aber anlässlich der mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970) erfolgten Streichung der ursprünglich als Klarstellung verstandenen Worte "nach Ablauf der Geltungsdauer" in § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich festgestellt, dass nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner Geltungsdauer nicht möglich ist (BT-Drs. 16/5065 vom 23. April 2007, S. 184). Damit ist der Auffassung, einem verspäteten Antrag könne eine Fortgeltungsfiktion zukommen, der Boden entzogen (so auch Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Auflage 2008, Rz. 1329; Funke/Kaiser, a.a.O., Rzn. 46.1 ff). Daran vermag auch der verbleibende Wertungswiderspruch zu § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nichts zu ändern. Es erscheint zwar nicht von vornherein einleuchtend, dass ein nach gegebenenfalls langjährigem rechtmäßigen Aufenthalt verspätet gestellter Antrag dem Betreffenden nicht die Möglichkeit eröffnen soll, bis zur Entscheidung über den Antrag im Bundesgebiet verbleiben zu können, während ein nach Ablauf eines rechtmäßigen Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel gestellter Antrag wenigstens zu einer Duldungsfiktion führt. Zur Beseitigung dieses Wertungswiderspruchs ist jedoch allein der Gesetzgeber berufen. Eine analoge Anwendung von § 81 Abs. 3 Satz 2 oder von § 81 Abs. 4 AufenthG auf die in Rede stehenden Fälle einer verspäteten Antragstellung scheidet schon mangels einer planwidrigen Lücke aus. Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber das Problem, wie diese Fälle hinsichtlich des Eintritts einer Fiktionswirkung zu behandeln sind, bekannt ist. Gleichwohl hat er die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes erfolgten Gesetzesänderungen, insbesondere das Richtlinienumsetzungsgesetz nicht zum Anlass genommen, eine ausdrückliche Regelung zu treffen, sondern - wie gezeigt - deutlich gemacht, dass die Fortbestandsfiktion bei verspäteten Anträgen nicht eintritt. Hiervon abgesehen verdeutlicht auch die, wie dargelegt, hier nicht unmittelbar einschlägige Vorschrift des § 85 AufenthG, dass der Gesetzgeber ausdrückliche Regelungen trifft, um Härten Rechnung zu tragen, die sich aus einem verspäteten Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ergeben (vgl. dazu BT-Drs. 15/420, S. 97).

d) Der Ausschluss der Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner Geltungsdauer führt nicht zu unbilligen Konsequenzen. [...]

Da die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich das weitere Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen für den bisherigen Aufenthaltstitel voraussetzt, wird ein verspäteter Verlängerungsantrag vielfach ohne weiteres zu einer Neuerteilung des Aufenthaltstitels führen, etwa wenn die eheliche Lebensgemeinschaft, wegen der der bisherige Aufenthaltstitel erteilt worden war, nach wie vor besteht. Aus der verspäteten Antragstellung folgende Unterbrechungen im rechtmäßigen Aufenthalt können, sofern es bei späteren Entscheidungen darauf ankommt, nach § 85 AufenthG außer Betracht gelassen werden. Sollte der Ausländer schutzwürdige Bindungen an die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland in einem Umfang entwickelt haben, die eine Aufenthaltsbeendigung als mit Art. 8 Abs. 1 EMRK unvereinbar erscheinen ließen, kommt die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht.

Demgegenüber besteht kein gewichtiger Grund, den in eigenen Angelegenheiten unsorgfältig handelnden Ausländer vor den Folgen dieser Nachlässigkeit zu schützen (so aber Nr. 81.4.2.3 AVwV-AufenthG). Soweit gleichwohl zur Vermeidung der damit verbundenen Konsequenzen, wie vorstehend erwähnt, eine verspätete Antragstellung unter der Voraussetzung eines inneren, insbesondere engen zeitlichen Zusammenhanges für unschädlich gehalten wird, ist dem entgegenzuhalten, dass dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt, weil mangels gesetzlicher Vorgaben unklar ist, wann ein solcher Zusammenhang noch angenommen werden kann (nach Auffassung des VGH München und des OVG Bautzen, jew. a.a.O.: bis zu eine Woche nach Ablauf der Geltungsdauer der zu verlängernden Aufenthaltserlaubnis; vgl. auch VG Darmstadt, Beschluss vom 29. August 2005 - 5 G 1234/05 - InfAuslR 2005, 467: 11 Tage noch ausreichend), und jegliche damit einhergehende richterrechtliche Abgrenzung nicht überzeugend erklären kann, warum eine aus Nachlässigkeit auch diese zeitliche Grenze wiederum nur geringfügig überschreitende Verspätung zu allen daraus folgenden Konsequenzen soll führen dürfen. Insoweit ist die Situation der einer Stichtagsregelung vergleichbar, deren Anwendung regelmäßig zur Folge hat, dass derjenige, der den Stichtag nicht eingehalten hat, von den damit verbundenen Vergünstigungen ausgeschlossen ist; die damit einhergehende Härte im Einzelfall führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit des Stichtagerfordernisses (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 17. September 2002 - 3 B 2/02 -, juris, Rz. 3 m.w.N.).

e) Ob - was allerdings naheliegt - einem Ausländer im Einzelfall die verspätete Stellung des Verlängerungsantrages nicht als Verletzung seiner Obliegenheitspflicht entgegengehalten werden darf, wenn er an der rechtzeitigen Antragstellung unverschuldet verhindert gewesen ist, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner näheren Betrachtung. Denn die Klägerin hat, auch nachdem das Verwaltungsgericht sie darauf hingewiesen hatte, dass die Überschreitung der "Ablauffrist" der Aufenthaltserlaubnis von ihr zu vertreten sein dürfte und sie zu ergänzendem Vortrag aufgefordert hatte, keinerlei Gesichtspunkte geltend gemacht, die den Schluss rechtfertigen könnten, sie sei ohne eigenes Verschulden daran gehindert gewesen, das Visum noch vor Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Dagegen spricht schon ihre lapidare Mitteilung, den Ablauf (der Geltungsdauer) der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis "übersehen" zu haben. [...]