OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 02.11.2001 - 1 Bf 242/98.A - asyl.net: M1806
https://www.asyl.net/rsdb/M1806
Leitsatz:

1. Ein während der Regierungszeit Mobutu aus Zaire ausgereister Asylbewerber ist bei seiner Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo seit der Herrschaftsübernahme durch Josef Kabila auch dann nicht der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt, wenn er exilpolitische Aktivitäten für den Tshisekedi-Flügel der "Union für Demokratie und sozialen Fortschritt" (UDPS) entfaltet hat.

2. Die desolate wirtschaftliche und Versorgungslage in der Demokratischen Republik Kongo trifft nahezu die gesamte Bevölkerung. Sie bewirkt keine allgemeine extreme Gefahrenlage. Abschiebungsschutz aufgrund verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG muss deshalb regelmäßig nicht gewährt werden. (Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Haft, Folter, Glaubwürdigkeit, Vorverfolgung, Herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Machtwechsel, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, UDPS, Überwachung im Aufnahmeland, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Grenzkontrollen, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Medizinische Versorgung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Selbst wenn der Kläger vorverfolgt ausgereist sein sollte, kommt hier der auf Vorverfolgte grundsätzlich anwendbare "herabgestufte" Prognosemaßstab, der an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung hohe Anforderungen stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. 7. 1980, a.a.O. S. 360), nicht zum Tragen. Es fehlt an einem inneren Zusammenhang zwischen der geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung. Erst diese Verknüpfung rechtfertigt es unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, dem Asylsuchenden den Nachweis drohender Verfolgungswiederholung zu erleichtern oder ihm unter erleichterten Voraussetzungen vor erneuter Verfolgung Schutz zu bieten (BVerwG, Urt. v. 18.2.1997, BVerwGE Bd. 104 S. 97). Für die Beurteilung, ob mit einem Wiederaufleben der Verfolgung bei einer Rückkehr in die Heimat zu rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung besteht, sind insbesondere die fortbestehenden oder veränderten politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat sowie die Gerichtetheit der erlittenen und der befürchteten Verfolgungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urt. v. 18.2.1997, a.a.O.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze besteht der die Herabstufung des Prognosemaßstabs rechtfertigende innere Zusammenhang zwischen Vorverfolgung und befürchteter Rückkehrverfolgung hier nicht. Aus dem Vortrag des Klägers lassen sich allenfalls Hinweise entnehmen, er habe sich von der damaligen Staatsmacht der Regierung Mobutu wegen seiner Weigerung, sich an Wahlaktivitäten zu beteiligen, verfolgt gesehen. Nach seiner Ausreise hat sich der Kläger nach seinen Angaben erstmalig überhaupt politisch betätigt und ist der UDPS (...) beigetreten. Außerdem hat der Kläger an einer Reihe von Demonstrationen in der Bundesrepbulik Deutschland teilgenommen, die gegen die Regierung Mobutu gerichtet waren. Auch nach dem Sturz Mobutus durch Laurent Desiré Kabila ist der Kläger nach seinem eigenen Vortrag zur Regierung in Opposition geblieben, indem er sich dem regierungskritischen Flügel der UDPS des Etienne Tshisekedi angeschlossen habe. Weitere Aktivitäten, außer der Mitgliedschaft in diesem Flügel der UDPS, hat der Kläger nicht dargelegt. Einen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten des Klägers gegen das Regime Mobutu und später gegen das Regime Kabila mit seiner politischen Haltung in der Heimat lässt sich schwerlich konstruieren. Die Anwendung eines herabgestuften Prognosemaßstabs kommt deshalb nicht in Betracht.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Allein die Stellung und Aufrechterhaltung eines Asylantrages sowie ein langjähriger Auslandsaufenthalt begründen nicht die Gefahr einer Verfolgung seitens der heutigen Machthaber.

Ob die Demokratische Republik Kongo überhaupt wirtschaftlich und tatsächlich dazu in der Lage ist, gegen sie gerichtete exilpolitische Aktivitäten durch einen Auslandsgeheimdienst registrieren zu lassen, erscheint äußerst fraglich. Der UNHCR hat hierzu keine konkreten Erkenntnisse. Das Auswärtige Amt geht jedenfalls davon aus, dass die bloße Mitgliedschaft zum Beispiel in einem Regionalverband der UDPS im Ausland oder die bloße Teilnahme an einer Kundgebung gegen die Regierung nicht geeignet sei, kongolesische Sicherheitsdienste auf die betreffende Person aufmerksam zu machen (Lagebericht vom 05.05.2001, S. 18).

Es ist mithin davon auszugehen, dass auch nach Bekanntwerden einer exilpolitischen Tätigkeit in der Demokratischen Republik Kongo dem Kläger bei seiner Rückkehr keine Verfolgungsmaßnahmen drohen. Die zahlreichen schweren Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Republik Kongo, von denen übereinstimmend berichtet wird, knüpfen nach wie vor an die oppositionelle Betätigung im Inland und nicht im Ausland an. Auch der Regierung des Josef Kabila dürfte es vorrangig darum gehen, im Inland nicht an Ansehen und Einfluss zu verlieren und gleichzeitig im westlichen Ausland Unterstützung zur Abwendung der desolaten wirtschaftlichen Situation zu erhalten. Daher dürfte das Augenmerk auch weiterhin auf den Ausschluss publikumswirksamer Aktivitäten von Oppositionspolitikern im Inland, nicht aber um Auslandsaktivitäten gehen, die der Bevölkerung in der Demokratischen Republik Kongo ohnehin kaum bekannt werden.

Auch wenn die Menschenrechtslage in der Demokratischen Republik Kongo ebenso desolat ist wie die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und der Gesundheitssektor, ergibt sich noch keine extreme Gefahrenlage für den Kläger.

Das vom Kläger eingereichte Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie (...), wonach sich der Kläger seit Januar 1999 in regelmäßiger nervenärztlicher Mitbehandlung wegen einer reaktiven Reaktion im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit multiplen funktionellen Störungen befindet, ist zu wenig aussagekräftig, als dass darauf weitere Ermittlungen hinsichtlich der Frage des Abschiebeschutzes aus gesundheitlichen Gründen gestützt werden müssten. Dem Attest selber ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger bei seiner Abschiebung aus medizinischen Gründen in Leibes- und Lebensgefahr geraten könnte. Abgesehen davon ist nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 05.05.2001 eine psychiatrische Abteilung im Universitätskrankenhaus Kinshasa vorhanden, die nach europäischem Standard arbeitet. Gegebenenfalls könnte der Kläger darauf verwiesen werden.