VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 25.01.2011 - 15 L 398.10 - asyl.net: M18246
https://www.asyl.net/rsdb/M18246
Leitsatz:

Der Gesetzgeber hat zu erkennen gegeben, dass auch bei der nachträglichen Befristung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 S. 2 AufenthG im Regelfall unverzüglicher Handlungsbedarf besteht, d.h. das Hauptsacheverfahren abzuwarten ist. Für einen Sofortvollzug ist ein besonderes öffentliches Interesse darzulegen.

Schlagwörter: nachträgliche Befristung, Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz, Sofortvollzug, besonderes öffentliches Interesse, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4 S. 1, AufenthG § 84 Abs. 1, AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

[...] Nach summarischer Prüfung im Eilverfahren überwiegt entsprechend der gesetzlichen Regel des § 80 Abs. 1 VwGO das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an dem vom Antragsgegner nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 VwGO angeordneten Sofortvollzug der Verfügung.

Der Gesetzgeber hat durch die allgemeine Regelung des § 84 Abs. 1 AufenthG zu erkennen gegeben, (auch) bei der Beschränkung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Regelfall keinen dem Abwarten der Entscheidung des Hauptsacheverfahrens entgegenstehenden unverzüglichen Handlungsbedarf zu sehen, es damit bei dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu belassen, wonach der Klage aufschiebende Wirkung zukommt. Danach rechtfertigt den Sofortvollzug regelmäßig nicht bereits das den Verwaltungsakt selbst begründende allgemeine öffentliche Interesse (vgl. BVerfGE 35, 382 402>; 38, 52 58>; 69, 220 228>). Deshalb kann auch eine unterstellte offensichtliche Rechtmäßigkeit der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis bzw. der voraussichtlichen Erfolglosigkeit der dagegen erhobenen Klage die Prüfung, ob überhaupt ein besonderes öffentliches Interesse an dem angeordneten Sofortvollzug besteht, nicht ersetzen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. September 1995 - 2 BvR 1179/95 -, NVwZ 1996, 58; und vom 25. Januar 1996 - 2 BvR 2718/95 -, AuAS 1996, 62 und - allgemein - vom 8. April 2010 - 1 BvR 2709/09 - Rn. 1.9).

Ein danach erforderliches besonderes öffentliches Interesse, das die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit hinlänglichem Gewicht stützen könnte, ist weder aus dem Bescheid noch sonst erkennbar, denn der Antragsgegner insoweit darauf verweist, es könne nicht hingenommen werden, dass sich Ausländer, denen die Aufenthaltserlaubnis lediglich zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner erteilt worden sei, noch längere Zeit hier aufhielten, obwohl der ihrer Aufenthaltserlaubnis zu Grunde liegende Zweck, nämlich die Lebensgemeinschaft, nicht mehr bestehe, so stellt der Antragsgegner lediglich die tatbestandsmäßige Voraussetzung der Verkürzung nach § 7 Abs. 2 S. 2 AufenthG dar, wonach gerade eine für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung entfallen sein muss. In der Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzung gleichzeitig ohne weitere Einzelfallprüfung und -begründung ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse zu sehen, würde - nach obigem Maßstab - den Regelungen des Gesetzgebers in § 84 Abs. 1 AufenthG nicht gerecht (vgl. Beschluss der Kammer vom 25. November 2010 - VG 15 L 391.10 -).

Auch unabhängig vom Vorbringen des Antragsgegners ist ein besonderes Interesse, die Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis sofort zu vollziehen, nicht erkennbar. Insbesondere steht nicht zu erwarten, dass [er] der Antragsteller für den Zeitraum des Hauptsacheverfahrens öffentliche Mittel für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes benötigen wird, da er sich augenscheinlich seit Oktober 2008 durchgehend in einem unbefristeten und auch aktuell ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet, aus dem er bedarfsdeckende Einkünfte erzielt. [...]