OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 03.12.2001 - 3 R 4/01 - asyl.net: M1830
https://www.asyl.net/rsdb/M1830
Leitsatz:

Zur Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung; keine extreme allgemeine Gefährdungslage in der Demokratischen Republik Kongo.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Oppositionelle, Prediger, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, UDPS, Demonstrationen, Machtwechsel, Überwachung im Aufnahmeland, ANR, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Zeugenaussage Okito, Zwangsrekrutierung, Ermordung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Versorgungslage, Extreme Gefahrenlage, allgemeine Gefahr, medizinische Versorgung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Der Kläger zu 1) hat kein Recht auf Abschiebungsschutz aufgrund der von ihm betriebenen Exilpolitik, der sich bei Mitgefährdung auf die übrigen Familienangehörigen erstrecken kann.

Nach der Überzeugung des Senats hat der Kläger zu 1) als einfaches Mitglied der UDPS ohne herausgehobene Funktion und ohne herausragende Einzelaktionen nicht das Profil eines Exilpolitikers gewonnen, der von dem Regime im Kongo bei seiner Rückkehr als ernsthafte Bedrohung angesehen wird. Nach dem Persönlichkeitseindruck des Senats in der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu 1) eine überlegte und redegewandte Persönlichkeit, ihm ist aber seine theologisch verstandene Predigertätigkeit wichtiger als ein politisches Amt, und gerade deshalb ist er letztlich nicht zu einer Profilierung als Politiker gelangt. Nach der Rechtsauffassung des Senats werden aber nur profilierte Exilpolitiker bei ihrer Rückkehr in den Kongo als Bedrohung angesehen und verfolgt.

Die Grenzziehung des Senats ergibt sich im einzelnen aus der Betrachtung der Verfolgungslage für die oppositionellen Inlandspolitiker im Kongo und auf dieser Grundlage für die oppositionellen Exilpoliker im Fall ihrer Rückkehr.

Nach der Würdigung des Senats kann im Kongo interne Parteiarbeit ohne Öffentlichkeitswirkung nach wie vor geleistet werden. Die Duldung der internen Parteiarbeit ohne Öffentlichkeitswirkung im Kongo schließt die passive Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei mit ein. Eine beachtliche Verfolgungsgefahr läßt sich für die einfache Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei im Kongo selbst nicht feststellen. Dagegen stimmt das Erkenntnismaterial im wesentlichen darin überein, dass die Verfolgungsschwelle im Kongo mit politischer Aktivität in der Öffentlichkeit überschritten wird, wobei die Schwellenhöhe etwas unterschiedlich angesetzt wird. Amnesty International geht in den Festnahmefällen von der Schwelle der Ausübung von Grundrechten durch engagierte Menschen aus. Sowohl das Institut für Afrika-Kunde als auch UNHCR gehen von einer etwas höheren Schwelle aus. Nach der Einschätzung des Instituts für Afrika-Kunde bedeutet offene politische Opposition im Kongo ein beträchtliches Verfolgungsrisiko, insbesondere eine Kritik an der Regierung. Auch nach Auffassung von UNHCR wurden insbesondere Kritiker gezielt Opfer von Verhaftungen. Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes löst politische Aktivität insbesondere in Form der Organisation von Demonstrationen und Parteiveranstaltungen staatliche Einschüchterung mit vorübergehenden Verhaftungen und Mißhandlungen aus.

Der Senat hält es nach Auswertung des Erkenntnismaterials für hinreichend sicher, dass die Schwelle zu einem beachtlichen Verfolgungsrisiko zwischen passiver Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei im Kongo und aktiver Mitgliedschaft im Sinne öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten verläuft. Oberhalb dieser Schwelle wird eine Verfolgungsgefahr von dem gesamten vorliegenden neueren Erkenntnismaterial bejaht.

Einschlägig ist im vorliegenden Fall die Oppositionspartei UDPS. Die UDPS wird als die bedeutendste Oppositionspartei im Kongo angesehen. Die UDPS ist im Kongo in besonderem Maße Zielgruppe der Repression. Die passive Mitgliedschaft in der UDPS im Kongo ist zwar nicht als gefährlich anzusehen. Leiter und prominente Mitglieder der UDPS gehen aber ein ernstes Risiko von Gefängnis, Folter und Tod ein.

Nach allem genügt im Kongo aktive öffentlichkeitswirksame Opposition insbesondere von Führungskräften zur Überschreitung der Verfolgungsschwelle, nicht aber passive Opposition.

Im nächsten Schritt ist die Verfolgungsschwelle nun für die Exilpolitik zu bestimmen. Die Gefährdung von oppositionellen Exilpolitikern wird im Erkenntnismaterial nach der insofern übereinstimmenden Einschätzung des Auswärtigen Amtes, amnesty international und des Institutes für Afrika-Kunde auf der Grundlage der Gefährdung von Inlandspolitikern im Kongo eingeschätzt.

Nach der Überzeugung des Senats liegt die Schwelle der beachtlichen Verfolgungsgefahr in der Exilpolitik bei einer öffentlichkeitswirksamen profilierten Tätigkeit im Sinne eines eigenen Gesichts.

Die in der Rechtsprechung zum Kongo weitgehend übereinstimmend anerkannte Verfolgungschwelle einer profilierten oder gleichbedeutend exponierten Exiltätigkeit stimmt mit der überwiegenden Einschätzung im Erkenntnismaterial überein.

Nach allem hält der Senat ein zwar nicht prominentes, aber doch profiliertes Engagement in der Exilpolitik im Sinne der Verfolgungsschwelle für erforderlich und ausreichend. Die Notwendigkeit einer Profilierung hat neben der bereits dargelegten Öffentlichkeitsschwelle eine eigenständige Bedeutung, wie an dem Beispiel einer Demonstrationsteilnahme im Exil klar erkennbar ist. Die Demonstrationsteilnahme hat von der Konfliktträchtigkeit und der kämpferischen Haltung her im Kongo selbst und im westlichen Exil eine andere Bedeutung. Im Kongo werden Demonstrationen sowohl unter Laurent Kabila als auch jetzt unter Joseph Kabila gewaltsam aufgelöst. Im Konfliktfall werden Demonstrationen im Kongo blutig unterbunden. Deshalb mag die Teilnahme schon als schlichter Mitläufer an einer Demonstration gegen das Kabilaregime im Kongo selbst als Beweis für eine erhebliche Kampfbereitschaft und damit als Profilierung anzusehen sein. Dies ist aber auf das westliche Ausland und insbesondere deutsche Verhältnisse im Exil nicht übertragbar. Wie allgemein bekannt ist, führen friedliche Demonstrationen in Deutschland regelmäßig zu keinem Konflikt mit der Staatsgewalt. Der bloße Teilnehmer an einer solchen Demonstration bleibt ungeachtet der Öffentlichkeit im allgemeinen unbekannt.

Zusammenfassend geht der Senat davon aus, dass die Exilpolitik vom kongolesischen Staat generell ernst genommen wird, wenn sie sowohl öffentlichkeitswirksam als auch profiliert im Sinne eines eigenen Gesichts ist. Für die Führungsebene im Exil der Bundes- und Landesvorsitzenden der im Kongo wesentlichen Oppositionsparteien ist dies regelmäßig der Fall. Sie treten eindeutig aus der Masse der politisch interessierten Asylbewerber heraus. Eine weitergehende generelle Einschätzung der Gefährdung durch Exilpolitik ist nicht möglich, vielmehr muss die Exilpolitik übereinstimmend mit der Würdigung des Auswärtigen Amtes immer im Einzelfall beurteilt werden.

Mit der vom Senat dargelegten Schwelle einer profilierten Exilpolitik ist die Gefährdungskette nicht abgeschlossen. In einem weiteren Schritt muss es beachtliche Gründe dafür geben, dass die derart profilierte Exilpolitik dem kongolesischen Staat auch bekannt wird. Deshalb ist als weiteres Glied in der Kette der Gefährdung die Auslandsaufklärung des kongolesischen Staates in den Blick zu nehmen.

Nach dem derzeit vorliegenden Erkenntnisstand stehen der Regierung des Kongo für die Nachrichtenbeschaffung über profilierte Exilpolitiker in Deutschland im wesentlichen zwei wirksame, aber nicht flächendeckende Wege zur Verfügung: Zum einen der Auslandsnachrichtendienst des Geheimdienstes ANR und zum anderen private Zuträger.

Unterhalb der Schwelle einer profilierten Exilpolitik besteht kein ausreichendes Interesse des kongolesischen Staates an der Masse politisch interessierter Asylbewerber und scheidet auch wegen der nicht flächendeckenden Arbeitsweise des Auslandsnachrichtendienstes und des Zuträgersystems eine beachtliche Beobachtungswahrscheinlichkeit aus. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung kann der Kläger zu 1) als einfaches UDPS-Mitglied nicht als profilierter Exilpolitiker im Sinne eines eigenen Gesichs angesehen werden, der bei seiner Rückkehr in den Kongo vom Regime als Bedrohung empfunden würde. Die bloße Mitgliedschaft in der UDPS wird von dem Kabilaregime sowohl im Kongo als auch in der Exilopposition geduldet. Sie wird nicht als akutes Bedrohungspotential angesehen, so dass auch kein Ausforschungsinteresse an der politischen Einstellung einfacher Mitglieder der Exilopposition besteht. Deren Kenntnis wird nicht benötigt, um die neuesten Tendenzen der Exilopposition zu erfahren.

Den Klägern steht aber auch nicht insgesamt Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG mit Blick auf die allgemeine Behandlung abgelehnter Asylbewerber im Kongo zu. Nach der im wesentlichen übereinstimmenden Rechtsprechung einschließlich des Bundesverfassungsgerichts führt die Asylantragstellung allein nicht schon zur beachtlichen Verfolgungsgefahr für die Rückkehrer.

Zu einer grundlegenden Neudiskussion einer generellen Gefährdung sämtlicher in die Demokratische Republik Kongo zurückkehrender Asylbewerber hat die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat besprochene Okito-Aussage vor dem VGH Baden-Württemberg im Jahr 2000 geführt.

Bei einer objektiven Würdigung des Aussageninhalts des Zeugen Okito spricht aber alles dafür, dass es das von ihm geschilderte geheime generelle System der Zwangsrekrutierung oder Exekutierung der abgeschobenen Asylbewerber weder unter Mobutu noch unter Kabila gegeben hat. Dies gilt für den gesamten Zeitraum des Aussageninhalts, der ausdrücklich bis August 1999, der Ausreise des Zeugen aus dem Kongo begrenzt ist.

Im aktuellen Entscheidungszeitraum (Dezember 2001) ist die Rückkehrerbehandlung nach glaubwürdigen neueren Quellen aus dem Jahr 2001 eindeutig anders als vom Zeugen geschildert. Die Praxis der Flughafenvernehmung hat sich im Jahr 2001 geändert. Nach Feststellungen einer neutralen Stelle - des Flüchtlingshilfswerks UNHCR - ist die Praxis der Behandlung der Rückkehrer aus Europa in einem entscheidenden Punkt geändert: Das Flughafenverfahren der langwierigen Verhöre am Flughafen selbst ist in der neuesten kongolesischen Praxis nunmehr durch eine Vernehmung der Rückkehrer aus Europa im Stadtzentrum ersetzt. "Die große Mehrheit der Rückkehrer aus Europa wird durch Staatssicherheitsbeamte aus den abschiebenden Staaten begleitet. Soweit die abgeschobenen Personen mit einem Passersatzdokument einreisen, werden sie aufgefordert, den DGM Kimazieere im Stadtzentrum aufzusuchen, um dort ihre Einreiseformalitäten zu erledigen und Familienangehörige zu benachrichtigen. Während dieses Verfahrens werden die betreffenden Personen in der DGM Kinmaziere manchmal für mehrere Tage in Gewahrsam genommen, können das Gebäude jedoch verlassen, sobald die kongolesische Staatsangehörigkeit bestätigt worden ist. UNHCR sind keine Berichte bekanntgeworden, wonach es in der DGM Kinmaziere zu Misshandlungen von Rückkehrern gekommen sei, allerdings gibt es immer wieder Beschwerden über die dortige Verpflegung." Weiter wird ausdrücklich mitgeteilt, dass die Angaben von Herrn Okito über die Zuführung der Rückkehrer an die Geheimdienste durch UNHCR nicht bestätigt werden können.

Dies deckt sich im Ergebnis mit den Feststellungen des Auswärtigen Amtes in seinem Lagebericht vom 5.5.2001, das ebenfalls feststellt, dass die aus Europa Abgeschobenen unbehelligt bleiben und zu ihren Familienangehörigen gelangen. Auch die Europäische Union konnte das Verschwinden von Rückkehrern nicht bestätigen.

Den Klägern steht auch nicht hilfsweise Abschiebungsschutz mit Blick auf eine Extremgefahr nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zu.

Die dem Senat vorliegende aktuelle Dokumentation spricht für die Richtigkeit der zum Kongo ergangenen Rechtsprechung, wonach eine individuelle Extremgefahr mit Ausnahme des VG Aachen verneint wird. Die Dokumente belegen zwar eine katatrophale wirtschaftliche und soziale Situation mit den Mangelerscheinungen der Unterernährung und unzureichender medizinischer Versorgung sowie mit Lebensmittelknappheit. Sie belegen aber nicht, dass ein nach Kinshasa zurückkehrender Ausländer dem baldigen sicheren Hungertod ausgesetzt ist.

Aufgrund der Reformen von Joseph Kabila hat sich die Wirtschaft im Sommer 2001 etwas erholt, davon profitiert aber nur die Hauptstadt Kinshasa. Auch bei vorsichtiger Einschätzung dieser Anstrengungen ist jedenfalls mit einer weiteren Verschlechterung der Ernährungslage in Kinshasa gegenwärtig nicht zu rechnen. Es kommt also auf die Folgen der gegenwärtigen Nahrungsmittelknappheit an. Nach der sachkundigen Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks UNHCR leiden ingesamt etwa 2 Millionen Kongolesen in lebensbedrohlicher Weise unter dieser Lebensmittelknappheit. Bezogen auf eine gesamte Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo von rund 50 Millionen bedeutet dies, dass rund 4 % der Bevölkerung des Kongo der Gefahr des Verhungerns ausgesetzt sind.

Es liegt auf der Hand, dass dies ein humanitär untragbarer Zustand ist, der von der Weltöffentlichkeit nicht hingenommen werden dürfte. Ebenso deutlich ist aber, dass die hier entscheidungserheblichen Voraussetzungen der strengen Rechtsprechung für eine individuelle Extremgefahr nicht erfüllt sind.

Eine andere Betrachtung gilt weitgehend für Asylbewerber, die bereits in Deutschland an schweren Erkrankungen leiden. Zusammenfassend ergibt sich aus dem Dokumentationsmaterial, dass wegen der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Situation im Kongo eine unzureichende medizinische Versorgung besteht. Eine solche unzureichende medizinische Versorgung genügt aber nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht für die Feststellung, dass gesunde rückkehrende Asylbewerber dem sicheren Tod oder der schwersten Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgeliefert würden.