VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 14.03.2011 - 4 A 86/10 - asyl.net: M18381
https://www.asyl.net/rsdb/M18381
Leitsatz:

Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK kommt für das im Jahr 2000 in Deutschland geborene Kind in Betracht. Die Täuschungshandlungen der Eltern dürfen ihm nicht schematisch zugerechnet werden, da die Ausländerbehörde ihnen diese erst 2 1/2 Jahre nach Kenntnis vorgehalten und somit ein gewisses Vertrauen geschaffen hat. Eine dauerhafte Trennung von den in Deutschland lebenden Geschwistern könnte zudem das Kindeswohl beeinträchtigen. Die Beklagte wird, ggf. unter Einschaltung des Jugendamtes, zu überprüfen haben, wie schwerwiegend die Folgen der Aufenthaltsbeendigung für das Kind wären.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, faktischer Inländer, Integration, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Täuschung über Identität, Kindeswohl, Ermessen, Vertrauensschutz
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, EMRK Art. 8, GG Art. 6
Auszüge:

[...]

Die Kläger haben gegen den Bekagten einen Anspruch auf Neuentscheidung ihrer Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG - andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht -, weil der Beklagte von seinem ihm eingeräumten Ermessen nur unzureichenden Gebrauch gemacht hat.

Nach § 25 Abs. 5 AufenthG Satz 1 kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist.

Für die Klägerin zu 3. besteht ein rechtliches Ausreisehindernis aus Art. 8 EMRK, das wegen ihrer familiären Bindung aus Art. 6 GG auch ihre Eltern begünstigt. Sie wurde Deutschland geboren und hat sich in die hiesigen Verhältnisse integriert. Die Besonderheiten des Einzelfalles verbieten es, zu ihren Lasten schematisch auf ihr jugendliches Alter und auf die Zurechnung des Verhaltens ihrer Eltern abzustellen. Sie hat selbst hat keine Täuschungshandlungen begangen. Der Beklagte hat erst 2 1/2 Jahre, nachdem er von der Täuschungshandlung erfahren und somit ein gewisses Vertrauen geschaffen hat, die angefochtene Verfügung erlassen. Zudem ist hier zu bedenken, dass fast alle Geschwister der Klägerin zu 3. in der näheren Umgebung wohnen, die Schwester sogar in der elterlichen Wohnung, und dass eine dauerhafte Trennung der Geschwister zur Beeinträchtigung des Kindeswohles führen kann.

Das führt allerdings noch nicht dazu, dass sich das dem Beklagten eingeräumte Ermessen auf Null dergestalt verdichtet, dass den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist. Vielmehr ist für eine abschließende Entscheidung des Beklagten einerseits zu berücksichtigen, dass die Kläger zu 1. und 2. sich ohne weiteres Pässe besorgen können sowie dass die Kläger von öffentlichen Mitteln leben. Andererseits wird der Beklagte - ggf. unter Einschaltung des Jugendamtes - zu überprüfen haben, ob die Folgen der Aufenthaltsbeendigung für die Klägerin zu 3. so schwerwiegend sind, dass sie die Versagungsgründe überwiegen. [...]