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VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 14.03.2011 - 8 K 901/10 - asyl.net: M18389
https://www.asyl.net/rsdb/M18389
Leitsatz:

Aufenthaltserlaubnis trotz Trennung innerhalb der zweijährigen Ehebestandszeit wegen der Integration der Tochter. Nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann eine besondere Härte auch vorliegen, wenn das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Gemeinschaft lebenden Kindes beeinträchtigt wird. Das Kindeswohl ist nicht nur bei Misshandlungen und Demütigungen beeinträchtigt, sondern auch dann, wenn die weitgehende Integration in Deutschland und die schulische Entwicklung eine Aufenthaltsbeendigung unzumutbar erscheinen lassen.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Ehebestandszeit, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Kindeswohl, Integration, besondere Härte, Verlängerungsantrag, Zumutbarkeit, Verwurzelung, Sicherung des Lebensunterhalts
Normen: AufenthG § 31 Abs. 1, AufenthG § 31 Abs. 2 S. 2, EMRK Art. 8 Abs. 1, AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 31 Abs. 4, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 32 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 34 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin zu 1) dürfte nach dem neuen Vortrag zur besonderen Integration der Klägerin zu 2) im Schriftsatz vom 22.11.2010 und nach den dazu eingereichten Belegen einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG haben. Aus den Gründen des Beschlusses des beschließenden Gerichts vom 10.11.2010 hat die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin zu 1) und Herrn ... zwar nicht zwei Jahre bestanden. Von dem zweijährigen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft dürfte aber gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG abzusehen sein, denn dies ist zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich. Diese besondere Härte ergibt sich aus der besonderen Integration der Klägerin zu 2) in Deutschland. Eine besondere Härte liegt gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht. Dies ist allerdings nicht auf die Beeinträchtigung der eigenen Belange des Ehegatten beschränkt: Nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG a.E. zählt zu den schutzwürdigen Belangen in diesem Sinne auch das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes. Da sich die Regelung in diesem Halbsatz auf beide Fälle des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG beziehen dürfte, wird das Wohl des Kindes nicht nur bei Misshandlungen oder Demütigungen beeinträchtigt, sondern auch dann, wenn eine weitgehende Integration des Kindes in die deutsche Gesellschaft sowie dessen schulische Entwicklung eine Aufenthaltsbeendigung als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 17. 2. 2009 - 19 Cs 09.95 - juris, Rdn. 14 m.w.N.).

Nachdem Nachweise für die Integration der Klägerin zu 2) vorgelegt worden sind, dürfte sich die Aufenthaltsbeendigung für die Klägerin zu 2) - auch unter der Berücksichtigung der hierbei einfließenden Schutzwirkungen des Art. 8 Abs. 1 EMRK als unzumutbar darstellen. Insbesondere die Schulzeugnisse der Klägerin zu 2), die das Gymnasium ... besucht, zeigen eine gelungene Integration und Verwurzelung in Deutschland. Die Klägerin zu 2) würde aller Voraussicht nach in ihrer Entwicklung nachhaltig gestört, wenn sie Deutschland zusammen mit ihrer Mutter verlassen müsste.

Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht zunächst nur für ein Jahr ergibt sich aus § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Bei dieser ersten Verlängerung würde nach § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Inanspruchnahme von Leistungen nach SGB II oder SGB XII nicht entgegenstehen. Bei der weiteren Verlängerung nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG werden sowohl die Klägerin zu 1) als auch die Beklagte aber zu beachten haben, dass diese Verlängerung dann die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (für die Bedarfsgemeinschaft) verlangt.

Erhält die Klägerin zu 1) die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels, hat die Klägerin zu 2) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bzw. auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG.

Die mit der Klage primär angefochtene Befristungsentscheidung dürfte jedoch aus den Gründen des Beschlusses vom 10.11.2010 rechtmäßig sein. Der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck (hier: § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) steht dem nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. 6. 2009 - 1 C 11.08 -, InfAuslR 2009, 440).

Vor dem Hintergrund, dass die Klage gegen die Befristungsentscheidung erfolglos sein dürfte und die Nachweise für die Integration der Klägerin zu 2) erst nach der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2010 eingereicht worden sind, erscheint es sachgerecht, den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. [...]