VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 31.01.2011 - 2 A 39/10 - asyl.net: M18434
https://www.asyl.net/rsdb/M18434
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung eines Iraners, der in Deutschland zum christlichen Glauben konvertiert ist. Ausnahmsweise steht § 28 Abs. 2 AsylVfG einer Flüchtlingsanerkennung im Falle einer behaupteten Konversion nicht entgegen, wenn der Glaubenswechsel nicht nur vordergründig und "auf dem Papier" (Taufschein) vollzogen wird, sondern eine ernsthafte Hinwendung zum (hier) christlichen Glauben vorliegt. Das Gericht hält die Einlassung des Klägers vorliegend jedoch für ein Lippenbekenntnis zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels.

Schlagwörter:
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 28 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zuerkannt werden. [...]

Auf Nachfluchtgründe, denen § 28 AsylVfG nicht entgegensteht, kann sich der Kläger ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Soweit er angibt, zum christlichen Glauben konvertiert zu sein, hält das Gericht diese Einlassung für ein ergebnisorientiertes Lippenbekenntnis zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels. Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil der Kläger sich auf einen Glaubenswechsel beruft, den er erst in Deutschland - also nach seiner Ausreise - vollzogen hat. Eine Ausnahme, die ein Abweichen von § 28 Abs. 2 AsylVfG zulässt, ist im Falle einer behaupteten Konversion dann anzuerkennen, wenn der Glaubenswechsel nicht nur vordergründig und "auf dem Papier" (Taufschein) vollzogen wird, sondern eine ernsthafte Hinwendung zum (hier) christlichen Glauben vorliegt (vgl. OVG Koblenz, Urt. vom 29.08.2007 - 1 A 10074/06 -, juris; VGH Kassel, Urt. vom 18.09.2008 - 8 UE 858/06.A -, juris; VG Düsseldorf, Urt. vom 07.07.2010 - 16 K 6522/09.A -, juris; VG Würzburg, Urt. vom 20.08.2009 - W 8 K 08.30148 -, juris; VG Augsburg, Urt. vom 14.04.2009 - Au 6 K 08.30098 -,juris; VG Lüneburg, Urt. vom 29.12.2008 - 1 A 154/06 -, juris; VG Freiburg, Urt, vom 21.11.2008 - A 5 K 1106/08 -, juris; Renner, AuslR 8. Aufl., § 28 AsylVfG Rn 17).

Beruft sich ein Asylsuchender auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei im Bundesgebiet zu einer in seinem Herkunftsland angefeindeten Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht. Erst wenn der Glaubenswechsel die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise prägt, kann ihm nicht angesonnen werden, in seinem Heimatland auf die angenommene Religion zu verzichten, um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen. Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist, lässt sich nicht allgemein beschreiben. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungsverfahren und gegebenenfalls des gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Hat er - wie hier - eine christliche Religion angenommen, genügt es im Regelfall nicht, dass er lediglich formal zum Christentum übergetreten ist, indem er getauft wurde. Andererseits kann grundsätzlich nicht verlangt werden, dass der Konvertierte so fest im Glauben steht, dass er bereit ist, in seinem Herkunftsland für den Glauben selbst schwere Menschenrechtsverletzungen hinzunehmen. Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich unter anderem nach der Persönlichkeit und intellektuellen Disposition des Asylsuchenden (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 -, BVerwGE 120, 16; OVG Münster, Beschl. vom 30.07.2009 - 5 A 982/07.A -, juris; VGH Kassel, Urt. vom 26.07.2007 - 8 UE 3140/05.A -, juris; OVG Saarland, Urt. vom 26.06.2007 - 1 A 222/07 -, InfAuslR 2008, 183; VGH München, Urt. vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, DÖV 2008, 164).

Bei Anlegung der genannten Maßstäbe hat der Kläger das Gericht nicht davon zu überzeugen vermocht, einen ernsthaften Glaubenswechsel vollzogen zu haben, der seine religiöse Identität prägt. Soweit er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, er sei bereits als Jugendlicher am christlichen Glauben interessiert gewesen, war sein Vortrag unglaubhaft. Die Schilderung, er sei an einem Haus vorbeigekommen und, als ihn ein Freund drauf hinwies, dass es sich um eine christliche Kirche handele, von einen seltsamen erhabenen Gefühl ergriffen worden, erscheint völlig abwegig. Der Kläger ist als Moslem in einem Land aufgewachsen, in welchem der Islam Staatsreligion ist. Ein überzeugendes Motiv, wieso er plötzlich am Christentum interessiert gewesen sein soll, hat er nicht plausibel gemacht. Auch wäre zu erwarten, dass seine Eltern ihm kaum mit Nachsicht begegnet wären, wenn er ihnen von einem solchen Interesse berichtet hätte. Seinen diesbezüglichen Vortrag hat er in der mündlichen Verhandlung noch einmal gesteigert und behauptet, er habe die Kirche in seiner Heimatstadt mehrmals vergeblich aufgesucht und sie jedes Mal verschlossen vorgefunden. Gleiches gilt für seine Behauptung, alle Buchläden ihn Ahwaz aufgesucht zu haben, um eine persisches Exemplar der Bibel zu erhalten. Seinen behaupteten Glaubenswechsel in Deutschland hält das Gericht ebenfalls nicht für eine ernsthafte Konversion. Es ist gerichtsbekannt, dass die Zahl der Iraner steigt, die versuchen, sich durch eine Konversion den erhofften Aufenthaltstitel zu verschaffen. Dem entsprechen die Angaben des als Zeugen geladenen Pastors ..., der ausgesagt hat, dass zunächst nur ein einzelner Iraner Interesse an einem Glaubenswechsel bekundet habe und die Gruppe im Laufe der Zeit immer größer geworden sei. Der Kläger hat sich jedoch nicht in ... taufen lassen, was nahegelegen hätte und wo Taufen ebenfalls vorgenommen werden, sondern in der ...-Kirche in Hannover, bei einer Gemeinde also, zu der er nach eigenen Angaben keinen weiteren Kontakt hat. Dem Gericht ist aus anderen Verfahren durch Vernehmung des Pastors ... als Zeuge bekannt, dass die iranische christliche Gemeinde in Hannover eine Internetseite besitzt, auf dem ein Taufkurs "online" absolviert werden kann. Danach findet dann in Hannover eine "Prüfung" statt, an die sich am gleichen Tag die Taufe von 20 bis 50 Personen anschließt. Die bei der Prüfung gestellten Fragen, werden nur sehr sporadisch und in geringem Umfang etwas variiert, so dass auch Personen, die mit dem Christentum nicht weiter vertraut sind, eine einfache Möglichkeit geboten wird, eine Taufurkunde zu erhalten. Der Kläger hat dies im Ergebnis bestätigt und angegeben, nur einmal, nämlich aus Anlass seiner Taufe in Hannover gewesen zu sein. Die Taufe erfolgte zudem zu einem relativ frühen Zeitpunkt, so dass das Gericht unter Würdigung aller Umstände davon überzeugt (ist), dass treibendes Motiv für einen Glaubenswechsel der Erhalt eines Aufenthaltstitels war. Gleiches gilt für die Besuche der Bibelstunden, die als ergebnisorientiertes Wohlverhalten verstanden werden können. Der als Zeuge geladene Pfarrer hat zwar angegeben, die Teilnehmer der Bibelstunde erschienen ihm interessiert; dass er den Kläger für einen überzeugten Christen halte, hat er jedoch nicht behauptet und ausgeführt, er könne nicht in die Menschen hineinsehen. Auch wenn der Kläger den Lebensweg Christi auf Erden zu schildern wusste, sagt dies zu seinen wahren Überzeugungen nichts aus. Nachvollziehbare Gründe für seinen Glaubenswechsel hat er nicht dargelegt. Vielmehr hat er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, er sei kein sehr religiöser Mensch und habe während seines gesamten Lebens im Iran nur während eines Monats beim Militär gebetet. [...]