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VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 14.02.2011 - A 7 K 4516/10 - asyl.net: M18437
https://www.asyl.net/rsdb/M18437
Leitsatz:

Eilrechtsschutz für Klage gegen Einstellung des Asylverfahrens durch das BAMF wegen fehlender Mitwirkung (Vorhalt manipulierter Fingerkuppen eines Flüchtlings aus Somalia).

Schlagwörter: Asylverfahren, Asylverfahrensrecht, Fingerabdrücke, Mitwirkungspflicht, vorläufiger Rechtsschutz, Suspensiveffekt, Somalia, Rücknahmefiktion, Einstellung, Abschiebungsandrohung, Aufenthaltsgestattung, Erlöschen, Reiseweg, Dublin II-VO, Anhörung
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 1, AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 7, AsylvfG § 33 Abs. 1, AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 3, AsylVfG § 36 Abs. 3, AsylVfG § 36 Abs. 4, AsylVfG § 24 Abs. 1 S. 3
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist sowohl in Bezug auf die Einstellung des Asylverfahrens als auch auf die Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand Januar 2010, § 33 Rn. 43). Auch gegen die Verfahrenseinstellung ist in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U.v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 -, DVBl 1995, 875; OVG NRW, U.v. 11.7.1997 - 21 A 461/96.A -, zit. nach juris; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz; 7. Aufl., § 33 Rn. 34 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand Juni 2010, Bd. 3, § 33 AsylVfG, Rn. 31, § 32 AsylVfG Rn. 32 ff.). Die Anfechtungsklage hat gemäß § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, weil das Bundesamt seine Entscheidung auf §§ 33 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylVfG gestützt hat.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers ist zulässig. Für den Antrag besteht im vorliegenden Fall auch ein Rechtsschutzinteresse, auch wenn ein konkreter Abschiebezielstaat in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes noch nicht bestimmt ist und die Abschiebungsandrohung deswegen keinen vollstreckbaren Inhalt besitzt.

Der Antragsteller kann sich jedoch auf die Rechtsbeeinträchtigungen durch die Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 AsylVfG berufen. Gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erlischt die Aufenthaltsgestattung des Antragstellers im Falle der Rücknahme des Asylantrags mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts. Diese Vorschrift erfasst nicht nur die gewillkürte Antragsrücknahme, sondern auch die fingierte Rücknahme gemäß § 33 AsylVfG. Für den Eintritt der Erlöschenswirkung ist das Wirksamwerden der Entscheidung des Bundesamtes nach § 33 AsylVfG entscheidend (vgl. Hailbronner, a.a.O., Bd. 4, § 67 AsylVfG, Rn. 15).

Der Antrag ist auch begründet.

Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden gerichtlichen Entscheidung kommt es auf eine Interessenabwägung an. Abzuwägen sind das private Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs und das gesetzlich vermutete besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts. Das Gewicht dieser gegenläufigen Interessen wird vor allem durch die summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, aber auch durch die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und der sofortigen Vollziehung andererseits bestimmt. Bei der Abwägung auf Grund summarischer Erfolgsprüfung gilt nach ständiger Rechtsprechung, dass das Suspensivinteresse umso größeres Gewicht hat, je mehr der Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat, und dass umgekehrt das Vollzugsinteresse umso mehr Gewicht hat, je weniger Aussicht auf Erfolg der Rechtsbehelf hat (vgl. BVerwG, B.v. 12.11.1992, DÖV 1993, S. 432; s.a. VGH BW, B.v. 13.3.1997, VBlBW 1997, S. 390). Die für unbeachtliche oder als offensichtlich unbegründete Asylanträge geltende Vorschrift des § 36 Abs. 3 und 4 AsylVfG hinsichtlich des Verfahrens und des Prüfungsmaßstabs eines Eilverfahrens vor Gericht gelten im vorliegenden Verfahren nicht (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 33 Rn. 43).

Im vorliegenden Fall ist mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache auszugehen. Nach summarischer Prüfung dürfte der angegriffene Bescheid im Klageverfahren keinen Bestand haben, weil das Bundesamt nicht zutreffend von § 33 AsylVfG Gebrauch gemacht haben dürfte.

Gemäß § 33 Abs. 1 AsylVfG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. In der Aufforderung ist der Ausländer auf die nach Satz 1 eintretende Folge hinzuweisen. Die Vorschrift hat strengen Ausnahmecharakter. Daher müssen zum einen zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Asylbewerber an der Fortführung des Asylverfahrens kein Interesse mehr hat (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 33 AsylVfG Rn. 8; Marx, a.a.O., § 33 Rn. 3 ff.; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 33 Rn. 11 ff.). Solche Anhaltspunkte sind insbesondere dann gegeben, wenn der Asylbewerber Mitwirkungspflichten verletzt hat. Zum anderen hat ein Asylbewerber das Verfahren nur dann nicht mehr im Sinne von § 33 AsylVfG betrieben, wenn er die gegebenen Zweifel innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist nicht ausgeräumt hat. Nur wenn beide Voraussetzungen gegeben sind, kann von einer willkürfreien, durch Sachgründe gerechtfertigten Beschränkung des Zugangs des Ausländers zum weiteren Verfahren gesprochen werden (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 33 AsylVfG Rn. 6).

Die formellen Voraussetzungen für eine Aufforderung nach § 33 Abs. 1 AsylVfG dürften vorliegen. Das Bundesamt hat den Antragsteller mit Schreiben vom 31.8.2010 konkret zur Abgabe verwertbarer Fingerabdrücke und schriftlicher Darlegungen zum Reiseweg sowie zur Stellung eines Asylantrags in einem anderen Staat aufgefordert. Zudem wurde der Antragsteller auf die Folgen des Nichtbetreibens länger als einen Monat sowie die Entscheidung über Abschiebungsverbote nach Aktenlage hingewiesen. Dieses Schreiben ist dem Antragsteller auch ausgehändigt worden.

Die materiellen Voraussetzungen dürften für die Anwendung von § 33 Abs. 1 AsylVfG jedoch nicht vorliegen. Das Bundesamt stützt die Entscheidung zur Einstellung des Verfahrens auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 und 7 AsylVfG.

Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG ist der Ausländer verpflichtet, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören nach § 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG auch Angaben zum Reiseweg und Aufenthalten in anderen Staaten. Nachdem das Asylverfahrensrecht grundsätzlich die persönliche Anhörung des Ausländers im Asylverfahren vorsieht (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG), dürfte jedoch sehr zweifelhaft sein, ob das Bundesamt vom Antragsteller, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zur mündlichen Auskunftserteilung zu geben, eine schriftliche Darlegung fordern durfte (vgl. hierzu auch VG Ansbach, B.v. 16.11.2010 - AN 2 S 10.30438 -, zit. nach juris). Insbesondere hätte es nahelegen, den Antragsteller, der am 1 zur Asylantragstellung und am 31.8.2010 zur erkennungsdienstlichen Behandlung erschienen war, schon anlässlich dieser Termine mündlich zu seinem Reiseweg und einer bereits erfolgten Asylantragstellung in anderen Staaten zu befragen. Stattdessen wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 31.8.2010 zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert.

Soweit sich das Bundesamt auf § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG gestützt hat, dürfte zwar grundsätzlich eine Aufforderung, sich auswertbare Fingerabdrücke abnehmen zu lassen, zulässig sein. Voraussetzung hierfür dürfte jedoch sein, dass ein hinreichender Manipulationsverdacht besteht und die Fingerabdrücke deswegen nicht verwertbar waren. In der Akte findet sich hierzu der Vermerk vom 31.8.2010, nachdem die Fingerkuppen Veränderungen aufwiesen und voraussichtlich nicht auswertbar seien. Zur Ursache wurde ausgeführt, dass Veränderungen durch eine Verletzung oder Erkrankung der Haut, aber auch durch eine Manipulation hervorgerufen worden sein könnten. Diese Ausführungen dürften für die Feststellung eines hinreichenden Manipulationsverdachts nicht ausreichen.

Ob danach eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Antragsteller überhaupt vorliegt, die den Schluss auf ein Entfallen des Sachbescheidungsinteresses zulässt, kann offen bleiben. Denn es ist in keiner Weise erkennbar, dass der Antragsteller der Aufforderung nicht innerhalb der Frist nachgekommen ist. Er hat zwar nur erneut seine Fingerabdrücke abgegeben. Eine schriftliche Stellungnahme zum Reiseweg, wie vom Bundesamt gefordert, hat er nicht abgegeben. Allerdings war wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Betreibensaufforderung der Umstand, dass Veränderungen an den Fingerkuppen des Antragstellers festgestellt worden sind. Daher dürfte hier die Teilerfüllung einer von mehreren geforderten Mitwirkungshandlung ausreichen (vgl. Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., 2011, § 33 AsylVfG Rn. 6; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 33 Rn. 30). Vorliegend ist der Antragsteller der Aufforderung zur Abgabe von Fingerabdrücken nachgekommen. Der Vorwurf, er habe trotz Aufforderung durch das Bundesamt nur unzureichend mitgewirkt, ist nicht nachvollziehbar, da die Akte des Bundesamts keine Unterlagen bzw. insoweit aussagekräftige Angaben über die Abnahme der Fingerabdrücke enthält. Dieser lässt sich nicht entnehmen, ob ein hinreichender Verdacht auf Manipulation der Fingerkuppen besteht. Über den erneuten Termin zur Abgabe von Fingerabdrücken gibt es einen Vermerk vom 29.9.2010. Aus diesem ergibt sich jedoch lediglich, dass die erkennungsdienstlichen Behandlungen vom 11.8.2010, 31.8.2010 und 22.9.2010 wegen unzureichender Qualität der Fingerabdrücke nicht hätten ausgewertet werden können. Es finden sich weder Angaben zum Verlauf der Behandlung noch zum Verdacht der Manipulation der Finger durch den Antragsteller. [...]