VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 22.03.2011 - 4 V 185/11 - asyl.net: M18513
https://www.asyl.net/rsdb/M18513
Leitsatz:

Der Widerspruch gegen die Kosten der Abschiebung hat aufschiebende Wirkung. Wenn das Finanzamt die Zwangsvollstreckung trotz erhobenen Widerspruchs androht, ist dies der Stadt als Rechtsträgerin beider Behörden zuzurechnen. Die fehlende Unterrichtung des Finanzamts durch die Ausländerbehörde über eingelegte Rechtsbehelfe mit Suspensiveffekt kann als Organisationsmangel nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Widerspruch, Suspensiveffekt, faktische Vollziehung, Organisationsmangel, vorläufiger Rechtsschutz
Normen: VwGO § 80 Abs. 1, VwGO § 80 Abs. 5, VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, VwGO § 80 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller konnte zum maßgeblichen Zeitpunkt des als "erledigend" empfundenen Ereignisses - des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2011 - die Feststellung begehren, dass sein Widerspruch gegen den Bescheid der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin vom 04.11.2010 über die Festsetzung der Abschiebungskosten aufschiebende Wirkung hatte. Wird ein Verwaltungsakt vollzogen, obwohl der Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat, so ist gegen diese sog. "faktische Vollziehung" analog § 80 Abs. 5 VwGO der Antrag statthaft, dass dem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Behörde ohne Vollziehungsanordnung eines Vollziehungsrechts berühmt oder sonst die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 VwGO und deshalb die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage verneint (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 80 Rn. 29 f.; Kirste, DÖV 2001, 397 (398); Gersdorf, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 80 Rn. 156; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.01.1974 - IV 9/74). So liegt der Fall hier.

Dem Widerspruch des Antragstellers kam nach § 80 Abs. 1 VwGO Suspensiveffekt zu, weil die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht angeordnet worden war und die aufschiebende Wirkung auch nicht von Gesetzes wegen entfallen ist. Die Kosten der Abschiebung gehören nicht zu den öffentlichen Abgaben und Kosten i.S. von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO und stellen auch keine Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO dar (vgl. nur OVG Hamburg, Beschl. v. 04.05.2000 - 3 Bs 422/98 = NVwZ Beil. 2000, 148 m.w.N).

Es lag zudem ein Fall faktischer Vollziehung vor, da das Finanzamt Bremen-Mitte mit Schreiben vom 15.02.2011 die Zwangsvollstreckung aus dem Festsetzungsbescheid vom 04.11.2010 angekündigt und den Antragsteller unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hat. Die Antragsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, dass der Suspensiveffekt nicht von ihrer Ausländerbehörde, sondern von dem Finanzamt verkannt worden ist. Sie ist Rechtsträgerin beider Behörden und muss sich das Handeln auch des Finanzamtes zurechnen lassen. Will sie verhindern, dass das Finanzamt in Unkenntnis von der Widerspruchseinlegung den suspendierten Verwaltungsakt vollzieht, muss sie dafür Sorge tragen, dass die Ausländerbehörde das Finanzamt entsprechend unterrichtet. Unterbleibt diese Unterrichtung, kann der Organisationsmangel nicht zu Lasten des Antragstellers gehen. Der Kostentragungspflicht steht schließlich nicht entgegen, dass, wie die Antragsgegnerin meint, das Gericht nicht für den begehrten Feststellungsausspruch zuständig gewesen ist. Zum einen folgt die Zuständigkeit der Kammer bereits unproblematisch daraus, dass sich der Antragsteller in der Sache gegen die Vollziehung eines Bescheides der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin über die Festsetzung von Abschiebungskosten, mithin eine originär ausländerrechtliche Materie, richtet. Zum anderen ist ein Verweis des Rechtsstreits nach übereinstimmender Erledigungserklärung gar nicht mehr möglich, so dass das Gericht seine Kostenentscheidung ohne Berücksichtigung der Zuständigkeitsvorschriften zu treffen hat (Musielak, ZPO, 7, Aufl. 2009, § 91a ZPO, Rn. 11; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 161 Rn. 15 a.E. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 20. EL 2011, § 161 Rn. 23). [...]