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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 - asyl.net: M18574
https://www.asyl.net/rsdb/M18574
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wegen Rückkehrgefährdung aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in der afghanischen Provinz Ghazni. Keine Gruppenverfolgung von Hazara wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder aus religiösen Gründen.

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Afghanistan, Hazara, Glaubhaftmachung, Widerspruch, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, religiöse Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Asylrelevanz, Schiiten, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Ghazni, erhebliche individuelle Gefahr, Sicherheitslage, Gefährdungsdichte, interne Fluchtalternative, Zumutbarkeit, Existenzminimum
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c, RL 2004/83/EG Art. 8
Auszüge:

[...]

1. Dem Kläger steht der begehrte Anspruch auf Flüchtlingszuerkennung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, den Bedrohungen des § 60 Abs. 1 AufenthG durch relevante Akteure ausgesetzt zu sein, solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch nicht drohten und auch bei einer Rückkehr nicht zu befürchten sind. [...]

b. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Flüchtlingszuerkennung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Volksstamm der Hazara zu. Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften ist davon auszugehen, dass in Afghanistan eine Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara nicht stattfindet, so dass vorliegend dem Kläger eine diesbezügliche Verfolgung weder im Zeitpunkt der Ausreise drohte noch derzeit droht oder beachtlich wahrscheinlich ist. [...]

Das Auswärtige Amt (ständige Lageberichterstattung vom 7.3.2008, vom 3.2.2009, vom 28.10.2009, vom 27.7.2010 und zuletzt vom 9.2.2011) berichtet zur Situation der Hazara in Afghanistan, ihr Anteil betrage ca. 19 % der Gesamtbevölkerung. Die afghanische Verfassung schütze sämtliche ethnische Minderheiten. Das Parteiengesetz verbiete die Gründung politischer Parteien entlang ethnischer Grenzen. In der Regierung seien alle großen ethnischen Gruppen vertreten. Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft habe sich die Situation auch für die traditionell diskriminierten Hazara insgesamt verbessert, obwohl die hergebrachten Spannungen in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestünden und auch immer wieder auflebten. Die Hazara seien in der öffentlichen Verwaltung zwar noch immer stark unterrepräsentiert, was aber eher eine Folge der früheren Marginalisierung als eine gezielte Benachteiligung neueren Datums sei.

Nach der Darstellung der Minderheit der Hazara im ÖIF-Länderinfo von Februar 2010 stellen die Hazara, die 9 % der Bevölkerung Afghanistans ausmachen und einen 19 %-Anteil an Schiiten zählen, gegenüber den Paschtunen und Tadschiken in doppelter Hinsicht, nämlich ethnisch und religiös, eine Minderheit dar. Seit dem 19. Jahrhundert seien die Hazara meist von einer paschtunischen Elite beherrscht, benachteiligt und unterdrückt worden. Erst mit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen im Zuge der kommunistischen Machtergreifung Ende 1970 sei es den Hazara gelungen, eine gewisse Autonomie und schließlich auch eine gemeinsame politische Führung zu erlangen. Nach dem Sturz der Taliban seien die Hazara immer in den verschiedenen Regierungen Präsident Hamid Karsais vertreten gewesen. Aktuell bestehe der größte Konflikt der Hazara in der ungelösten Frage der Weiderechte der Nomaden im Hazarajat, wo es alljährlich zu bewaffneten Auseinandersetzungen komme. Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 habe es keine Angriffe der Taliban auf Schiiten allgemein mehr gegeben und die Hazara seien nicht mehr aus ethnischen und religiösen Motiven von den Taliban verfolgt worden. [...]

3. Der Kläger kann sich jedoch auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG berufen, da er im Falle seiner Rückkehr an seinen Heimatort als Angehöriger der Zivilbevölkerung im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre und eine interne Schutzmöglichkeit für ihn nicht besteht. [...]

Nach eigenen Angaben des Klägers war er vor seiner Ausreise aus Afghanistan im Distrikt ... in der Provinz Ghazni im Dorf ... wohnhaft. Hierauf ist in diesem Zusammenhang abzustellen, weil dem Kläger in erster Linie eine Rückkehr dorthin zuzumuten wäre. Es ist davon auszugehen, dass in der Herkunfts-/Heimatregion des Klägers - Provinz Ghazni, Distrikt ... ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt stattfindet (a.). Der innerstaatliche Konflikt verdichtet sich nach Auffassung des Gerichts für den Kläger auch zu einer erheblichen individuellen Gefahr (b.). Schließlich kann der Kläger auf Grund der individuellen Gegebenheiten keinen internen Schutz finden (c.).

a. Bei entsprechend wertender Betrachtung der in das Verfahren eingeführten Auskünfte zur Sicherheitslage in der Herkunfts-/Heimatregion des Klägers - Provinz Ghazni, Distrikt ... - ist vom Vorliegen eines innerstaatlichen Konflikts dort auszugehen.

Bei der Auslegung, wann ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG zu berücksichtigen. Es sind zudem die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und das Zusatzprotokoll II von 1977 heranzuziehen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen kennzeichnend sind, und damit über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen, wobei sich aber der innerstaatliche Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken muss und es daher vielmehr genügt, dass bewaffnete Gruppen Kampfhandlungen in einem Teil des Hoheitsgebiets durchführen (BVerwG vom 24.6.2008, vom 5.2.2009, vom 14.7.2009 und vom 27.4.2010, zitiert nach juris).

Über die Voraussetzungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im oben genannten Sinn in Afghanistan allgemein und speziell in der Herkunfts-/Heimatregion des Klägers berichten die Auskunftsstellen wie folgt:

Nach dem Auswärtigen Amt (Lageberichte vom 3.2.2009, vom 28.10.2009, vom 27.7.2010 und zuletzt vom 9.2.2011) variiert die Sicherheitslage in Afghanistan regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Während im Südwesten, Süden und Südosten des Landes Aktivitäten regierungsfeindlicher Kräfte gegen die Zentralregierung und die Präsenz der internationalen Gemeinschaft die primäre Sicherheitsbedrohung darstellen würden, seien dies im Norden und Westen häufig Rivalitäten lokaler Machthaber, die in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt seien. Über 90 % aller sicherheitsrelevanter Zwischenfälle im Land würden sich auf zwei der 34 Provinzen beschränken, nämlich Helmand und Kandahar. Internationale Truppen der ISAF sowie des US-Anti-Terror-Kommandos OEF würden die radikalislamistischen Gruppierungen vor allem im Süden (Helmand, Kandahar, Uruzgan) und Osten (Kunar, Khost, Paktika, Paktia) des Landes bekämpfen. Die Infiltration islamistischer Kräfte (u.a. Taliban) aus dem pakistanischen Siedlungsgebiet der Paschtunen nach Afghanistan halte an, das Rekrutierungspotential in afghanischen Flüchtlingslagern auf pakistanischem Territorium wie auch in Teilen der paschtunischen Bevölkerung im Süden und Osten Afghanistans scheine ungebrochen.

Im "Afghanistan Update" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2010 ist dargelegt, dass sich seit Beginn der Offensive im Süden Afghanistans die Situation dort drastisch verschlechtert habe. In Helmand, Kunar, Ghazni, Kandhar und Khost sei die Sicherheitslage am schlechtesten. Die Lage in der Provinz Ghazni, insbesondere in den dortigen Distrikten Jaghori und Malistan, wird in der Auskunft vom 6. Oktober 2009 beschrieben. Nach dem Bericht der D-A-CH Kooperation Asylwesen von Juni 2010, der Auskunft über die Sicherheitslage in Afghanistan allgemein und speziell in den Provinzen Balkh, Herat und Kabul gibt, hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Jahren verschlechtert. Der Schwerpunkt der Kampfhandlungen liege dabei im Süden und Osten des Landes. Ein weiterer Bericht der D-A-CH Kooperation Asylwesen von März 2011 beschäftigt sich speziell mit der Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar. Danach habe die Gewalt in Afghanistan im Jahresvergleich um 64 % weiter zugenommen. Bemerkenswert sei die Zunahme um 234 % in der Provinz Ghazni. Ghazni sei nach Erkenntnissen des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) im Jahr 2010 mit 1540 Angriffen Aufständischer noch vor Kunar (1457), Helmand (1387) und Kandahar (1162) die Provinz gewesen, in der sich die meisten Angriffe ereignet hätten. [...] Der UNHCR vertrete die Auffassung, dass in Teilen von Ghazni ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt solchen Ausmaßes vorliege, dass von einem Zustand der "allgemeinen Gewalt" ('"generalized violence") auszugehen sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der zivilen Opfer, der Häufigkeit der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der Zahl der Vertriebenen. In den überwiegend paschtunisch besiedelten Distrikten Ghazni (Zentrum), Gelan, Ab Band, Muqur, Qarabagh und vor allem Andar komme es häufiger zu Angriffen und Anschlägen.

Nach dem UNHCR (Stellungnahme vom 30.11.2009 an BayVGH) sei die gegenwärtige Lage in Afghanistan durch einen sich intensivierenden bewaffneten Konflikt gekennzeichnet. Der Süden und Südosten Afghanistans (insbesondere Helmand und Kandahar) sei nach wie vor am stärksten von schweren Kämpfen betroffen. In der Provinz Ghazni habe sich der operative Einfluss der Taliban verstärkt, wo willkürliche Exekutionen durch die Aufständischen als auch zivile Opfer durch regierungsnahe Kräfte gemeldet würden.

Eine Wertung dieser Auskunftslage führt nach Auffassung des Gerichts dazu, dass in der Herkunfts-/Heimatregion des Klägers - Provinz Ghazni, Distrikt ... - vom Vorliegen eines innerstaatlichen Konflikts im oben genannten Sinne auszugehen ist.

b. Der Kläger ist von dem bewaffneten Konflikt in der Provinz Ghazni - Distrikt ... nach Überzeugung des Gerichts auch individuell bedroht.

Für eine individuelle Bedrohung sollen allgemeine mit dem bewaffneten Konflikt im Zusammenhang stehende Gefahren entsprechend dem Erwägungsgrund 26 der QRL und nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG allein nicht genügen (BT-Drks. 16/5065). Nach der unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Auslegung (BVerwG aaO) beachtlichen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 17.2.2009, zitiert nach juris) kann das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Ausländers (selbst bei entsprechenden allgemeinen Gefahren) ausnahmsweise aber dann als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Es muss also - auch unionsrechtlich - eine insoweit auch individuell besonders exponierte Gefahrensituation vorliegen (Hailbronner § 60 AufenthG RdNr. 183; BVerwG vom 27.4.2010, zitiert nach juris). Es muss sich diese Gefahr In der Person des Ausländers daher vergleichbar der Situation bei der Gruppenverfolgung verdichtet haben, was sich aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen selbst oder ausnahmsweise auch bei Eintritt der bezeichneten außergewöhnlichen Situation ergeben kann; bei letzterer Betrachtung ist auf die Herkunftsregion des Ausländers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehrt (EuGH vom 17.2.2009 und BVerwG vom 14.7.2009, zitiert nach juris). Für die Feststellung dieses Abschiebungsverbots gelten nach Abs. 11 ebenfalls die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL.

Um die Gefahrendichte in der jeweiligen Herkunfts-/Heimatregion feststellen zu können, bedarf es einer annäherungsweisen quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Es ist eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG vom 27.4.2010, zitiert nach juris).

Die Einschätzung, dass in Teilen der Provinz Ghazni vom Vorliegen eines innerstaatlichen Konflikts auszugehen ist, kann nach aktuellen Berichten der UNAMA und der ANSO bestätigt werden.

Nach UNAMA wurden in der Südostregion, zu der die Provinz Ghazni zählt, im Jahr 2009 im Zusammenhang mit dem dargestellten bewaffneten Konflikt insgesamt 366 getötete Zivilisten, im ersten Halbjahr 2010 insgesamt 221 getötete Zivilisten und im Jahr 2010 insgesamt 513 getötete Zivilisten gemeldet. Sie erreichen damit zwar nicht die Höchstzahlen aus der Südregion, stellen jedoch die zweithöchsten Zahlen in Afghanistan dar. Nach dem Bericht der AIHRC über die ersten sieben Monate des Jahres 2010 wurden insgesamt 1325 solcher ziviler Zwischenfälle gemeldet, davon 238 in der Ostregion und 701 in der Südregion. Nach dem dritten bzw. vierten Quartalsbericht der ANSO hat die Zahl der Angriffe Aufständischer in der Provinz Ghazni in diesem Zeitraum in Bezug zum Vergleichszeitraum auch von 406 auf 1106 (Steigerung um 172 %) bzw. von 461 auf 1540 (Steigerung um 234 %) weiter drastisch zugenommen und stellt nunmehr den Höchstwert in den afghanischen Provinzen dar. Nach den zweiwöchentlichen Berichten der ANSO sind diese Zahlen auf die Anschläge zurückzuführen, die vor allem in den Distrikten Ghazni, Andar, Dih Jak und Khogyani, aber auch im Distrikt Qarah Bagh, verübt wurden. Die Provinz Ghazni wird daher als "extremely insecure" (äußerst unsicher) eingestuft. Ausgenommen hiervon sind nur die Distrikte, die ausschließlich oder überwiegend von Hazara bewohnt werden wie vor allem Malistan und Jaghori. Hierzu gehört der Distrikt Qara Bagh aber nicht. In Anbetracht einer amtlich geschätzten Gesamtbevölkerung in der Provinz Ghazni von über 1.080.000 (nach anderen Angaben 1.111.300) Menschen, davon über 132.000 Menschen im Distrikt Qara Bagh, kann nach der aktuellen Situation dort eine konkrete individuelle Gefahr durch die bloße Anwesenheit dort nicht ausgeschlossen werden.

Eine obergerichtliche Rechtsprechung in der Sache hierzu ist ersichtlich nicht vorhanden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat einen diesbezüglichen Antrag eines afghanischen Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt (BayVGH, Beschluss vom 14.1.2011, zitiert nach juris)

c. Auf Grund der hier vorliegenden individuellen Gegebenheiten ist schließlich nicht davon auszugehen, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit besteht.

Sofern einem Schutzsuchenden ein Ausweichen in eine sichere Region seines Heimatlandes auf Grund seiner persönlichen Umstände möglich und zumutbar ist, kann er auf internen Schutz nach Art. 8 und Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG verwiesen werden. Der Schutzsuchende muss am Zufluchtsort aber eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlichen zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Das gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Darüber hinaus ist erforderlich, dass das Zufluchtsgebiet für den Schutzsuchenden erreichbar ist (BT-Drks. 16/5065 S. 185; BVerwG vom 31.8.2006 und vom 29.5.2008, zitiert nach juris).

Eine solch interne Schutzmöglichkeit ist nach Auffassung des Gerichts unter Bewertung der Auskunftslage nur dann zumutbar und möglich, wenn der Schutzsuchende auch außerhalb seiner Herkunftsregion auf familiäre oder stammesbezogene Verbindungen zurückgreifen kann. So führt das Auswärtige Amt aus, dass ein Ausweichen einer Person im Land vor einer maßgeblichen Gefährdung maßgeblich von dem Grad ihrer sozialen Vernetzung sowie von der Verwurzelung im Familienverband oder Ethnie abhängt (ständige Lageberichterstattung, zuletzt vom 9.2.2011). Der UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative grundsätzlich nicht gegeben ist. Bei Verfolgung durch lokale Kommandeure und bewaffnete Gruppen seien diese oftmals in der Lage, ihren Einfluss auf Grund ihrer Verbindungen zu mächtigeren Akteuren auch auf zentraler Ebene über die lokalen Gebiete hinaus auszudehnen, wobei staatliche Behörden größtenteils keinen Schutz gewährleisten können. Vielmehr stellen erweiterte Familien- oder Gemeinschaftsstrukturen innerhalb der afghanischen Gesellschaft die vorwiegende Mittel für Schutz, wirtschaftliches Überleben sowie Zugang zu Wohnmöglichkeiten dar, weshalb eine Umsiedlung voraussetze, dass solche tatsächlichen Verbindungen dort bestünden (Stellungnahme von Januar 2008, vom 10.11.2009 und vom 30.11.2009 an BayVGH). Nach der Schweizerischen Flüchtlingshilfe seien ein gutes Familiennetz sowie zuverlässige Stammes- oder Dorfstrukturen die wichtigste Voraussetzung, um bei einer Rückkehr sicher und auch wirtschaftlich überleben zu können. Sozialversicherungen existierten in Afghanistan nicht. Oftmals stießen Rückkehrer wegen nicht gelöster Landfragen auf erhebliche Probleme (Updates vom 21.8.2008, vom 11.8.2009 und vom 11.8.2010).

Vorliegend ist dem Kläger eine interne Schutzmöglichkeit nach diesen Grundsätzen nicht möglich und nicht zumutbar, weil er außerhalb seiner Heimatregion nach eigenen Angaben keine Verwandte hat. Da verwandtschaftliche Beziehungen des Klägers außerhalb seiner Herkunfts-/Heimatregion nicht ersichtlich sind, müsste er ohne verwandtschaftliche und stammesbezogene Unterstützung leben, so dass eine Existenzsicherung nicht möglich erscheint. [...]