OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.03.2011 - 3 B 8.08 - asyl.net: M18575
https://www.asyl.net/rsdb/M18575
Leitsatz:

Versagung der Erteilung eines Visums zum Familliennachzug wegen Verstoßes gegen den ordre public im Sinne des § 109 Abs. 1 Nr. 4 Fam FG. Der nachzugswillige 15-Jährige wurde in dem ghanaischen Sorgerechtsverfahren, in welchem das Sorgerecht auf den Vater übertragen wurde, nicht angehört.

Schlagwörter: Kindernachzug, Visumsverfahren, Visum, Aufenthaltserlaubnis, Ghana, ordre public, Anhörung, Sorgerechtsverfahren, Sorgerecht, Kindeswohl, alleiniges Sorgerecht, rechtliches Gehör, besondere Härte,
Normen: AufenthG § 6 Abs. 4, AufenthG § 32 Abs. 3, AufenthG § 104 Abs. 3, FamFG § 108 Abs. 1, FamFG § 109 Abs. 1 Nr. 4, MSA Art. 7 S. 1, MSA Art. 16, ESÜ Art. 7, ESÜ Art. 10 Abs. 1 Bst. a, FamFG § 159, GG Art. 6 Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 103 Abs. 1, KSÜ Art. 23 Abs. 2 Bst. b, EGBGB Art. 21
Auszüge:

[...]

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Kläger im Ergebnis zu Unrecht stattgegeben. Nach der der Beurteilung des Senats für das Nachzugsbegehren jeweils zugrundezulegenden Sach- und Rechtslage kann der Kläger kein Visum zum Familiennachzug nach § 6 Abs. 4 AufenthG beanspruchen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Der von ihm angefochtene Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug gemäß § 32 Abs. 3 AufenthG. Nach dieser Bestimmung ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Außerdem müssen zusätzlich die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels erfüllt sein (§ 5, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

a) Das Nachzugsbegehren ist insoweit nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz (AuslG) zu prüfen. Der Vater des Klägers - an dessen Vaterschaft angesichts des Abstammungsgutachtens vom 13. Juli 2005 keine Zweifel bestehen - hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten und der Kläger selbst ist vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn, das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, BVerwGE 133, 329 [332], Rn. 9). [...]

bb) Die Anerkennung der Entscheidung des Circuit Court richtet sich nicht nach dem Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 - ESÜ - (BGBl II 1990, S. 206, 220) oder dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 - KSÜ (BGBl. II 2009, S. 602, 603), das das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 - MSA - (BGBl II 1971, S. 217, 218) ablösen soll. Denn Ghana ist nicht Vertragsstaat dieser Übereinkommen (vgl. Statustabelle unter www.hcch.net und die Aufstellung der Vertragsstaaten unter www.bundesjustizamt.de).

cc) Die Anerkennung des Ausspruchs des ghanaischen Gerichts richtet sich demgemäß nach §§ 108, 109 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG - vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586), welche die Anerkennung ausländischer Entscheidungen sowie Anerkennungshindernisse normieren und die die bis zum 31. August 2009 gültige entsprechende Regelung in § 16a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FGG - abgelöst haben. Diese gehen der Regelung des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vor, der in Fällen wie dem vorliegenden als allgemeine zivilprozessuale Vorschrift nicht mehr anwendbar ist, seitdem speziellere Vorschriften auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit bzw. in Familiensachen bestehen (vgl. OVG Berlin Brandenburg, Urteil vorn 29. September 2010 - OVG 12 B 21.09 -, juris Rn. 19).

Nach § 108 Abs. 1 FamFG werden ausländische Entscheidungen - abgesehen von Entscheidungen in Ehesachen - anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ist die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgeschlossen, wenn die Anerkennung der Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. [...]

Aus den angeführten Regelungen ergibt sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen grundsätzlich im Bundesgebiet anerkannt werden müssen. Die Vorbehaltsklausel des ordre public kommt nur im Ausnahmefall zum Tragen, so dass bei der Prüfung, ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, Zurückhaltung geboten ist. Ein Anerkennungshindernis wegen Verstoßes gegen den ordre public kann danach nicht schon dann angenommen werden, wenn die ausländische Entscheidung nicht überzeugend erscheint oder ein deutsches Gericht nach deutschem Recht anders entschieden hätte (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 21). Das Erfordernis einer "offensichtlichen Unvereinbarkeit" schließt es grundsätzlich aus, dass Gerichte oder Behörden eines Vertragsstaates die ausländische Entscheidung auf ihre materielle Richtigkeit hin ("révision au fond") überprüfen.

Nach alledem liegt ein Verstoß gegen den deutschen ordre public erst vor, wenn das Ergebnis in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 22 f., m.w.N.).

Eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts kommt sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht in Betracht. Aus verfahrensrechtlichen Gründen kann einer ausländischen Entscheidung die Anerkennung dann zu versagen sein, wenn das Verfahren von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung nicht mehr von einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden kann. In materiell-rechtlicher-Hinsicht ist zu prüfen, ob die Entscheidung in der Sache selbst gegen rechtliche Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung verstößt. Prüfungsmaßstab sind in beiden Fällen vor allem auch die Grundrechte. Überträgt man dies auf ausländische Sorgerechtsentscheidungen, so kann ein Verstoß gegen den ordre public insbesondere dann gegeben sein, wenn das Ergebnis der ausländischen Sorgerechtsentscheidung mit den Grundwerten des deutschen Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist. Hierzu zählt vor allem das Wohl des Kindes, dessen Beachtung einen wesentlichen und unverzichtbaren Grundsatz des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts bei allen Entscheidungen über das Sorgerecht darstellt. Insoweit handelt es sich im Übrigen nicht nur um einen wesentlichen Grundsatz der deutschen Rechtsordnung, sondern zugleich um ein im Völkervertragsrecht verankertes Prinzip. So gingen z.B. die Konventionsstaaten des ESÜ davon aus, dass ein Anerkennungshindernis im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a ESÜ vor allem dann angenommen werden kann, wenn die Sorgerechtsentscheidung das Wohl des Kindes offensichtlich verletzt. Schließlich ist die Berücksichtigung des Kindeswohls im Aufenthaltsrecht auch gemeinschaftsrechtlich geboten. Die Regelungen zum Kindernachzug in Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl L 251/12) stellen ausdrücklich und maßgeblich hierauf ab (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn 24 ff., m.w.N.).

Das Ergebnis der ghanaischen Sorgerechtsentscheidung ist danach unter ordre-public-Gesichtspunkten greifbar unangemessen, weil sie das Wohl des Klägers in einer Art und Weise übergeht, die mit einem tragenden Verfahrensgrundsatz des deutschen Kindschaftsrechts nicht einmal ansatzweise vereinbar ist. Das deutsche Recht sieht in § 159 FamFG (bis zum 31. August 2009 in § 50b FGG) grundsätzlich eine obligatorische Anhörung des Kindes im gerichtlichen Sorgerechtsverfahren vor. Hierbei handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Zivilgerichte der Absicherung des Kindeswohles dient und die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, seine Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG sowie seinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) schützt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 29, unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 1968 - 1 BvL 20/63 u.a. -, BVerfGE 24, 119, 144; BVerfG, Beschluss vom 23. März 2007 - 1 BvR 156/07 -, BVerfGK 10, 519, 522 f.; BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 2 BvR 1206/98 -, BVerfGE 99, 145, 156, 163 f.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. Juli 2009 - 13 UF 54/09 -, FamRZ 2010, 44). Danach ist es von Verfassungs wegen geboten, den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1992 - XII ZB 18/92 -, BGHZ 120, 29, 35).

Im Einzelnen sehen die deutschen Verfahrensvorschriften folgendes vor: Grundsätzlich ist ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, vor Erlass einer Sorgerechtsentscheidung anzuhören, es sei denn, dass schwerwiegende Gründe gegen eine Anhörung sprechen (§ 159 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FamFG). Hat das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist es persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (§ 159 Abs. 2 FamFG). Auch insoweit kann von der Anhörung nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden (§ 159 Abs. 3 FamFG). Unterbleibt die Anhörung nur wegen Gefahr im Verzug, so ist sie unverzüglich nachzuholen (§ 159 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Entsprechendes galt nach § 50b FGG. Die besondere Bedeutung der Anhörung manifestiert sich schließlich auch darin, dass die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung bei gebotener Tatsachenermittlung eine persönliche Anhörung vor dem beauftragten Richter nicht für ausreichend hält, weil sich der gesamte Spruchkörper einen entsprechenden Eindruck verschaffen müsse (BGH, Beschluss vom 28. April 2010, XII ZB 81/09 -, BGHZ 185,- 272 [286] Rn. 40).

Nichts anderes ergibt sich für die deutsche Rechtsordnung aus einschlägigen materiell-rechtlichen Vorschriften. So regelt beispielsweise § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass einem Antrag auf Sorgerechtsübertragung bei Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben ist, wenn nicht das Kind, sofern es das 14. Lebensjahr vollendet hat, widerspricht. Es kommt hinzu, dass auch die Sorgerechtsübertragung bei elterlichem Einvernehmen gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB unter dem Vorbehalt des § 1671 Abs. 3 BGB steht, wonach das Kindeswohl eine abweichende Entscheidung gebieten kann. Im Übrigen muss das Kind wegen der es selbst betreffenden (Grund-)Rechte auch dann im gerichtlichen Verfahren angehört werden, wenn sich die Eltern einig sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 30 f., m.w.N.).

Gemessen daran hat der Circuit Court in Accra den nach deutschem Recht erforderlichen verfahrensrechtlichen Mindeststandard, der eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung garantieren soll, nicht einmal im Ansatz eingehalten. Es hat die Entscheidung über das alleinige Sorgerecht des Vaters des Klägers innerhalb kürzester Zeit - nämlich noch am Tage des Antrages - getroffen, ohne den damals bereits fünfzehnjährigen Kläger persönlich anzuhören. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dessen Anhörung vor einer anderen sachkundigen zuständigen Stelle erfolgt ist oder ausnahmsweise (z.B. im Hinblick auf sein geringes Alter) entbehrlich gewesen wäre. Ganz im Gegenteil erscheint hier - unter Berücksichtigung von § 159 FamFG bzw. § 50b FGG eine persönliche Anhörung geradezu unabdingbar, weil der über fünfzehnjährige Kläger, der zuvor zunächst mit der Mutter, später mit der Familie des Vaters, insbesondere seiner Tante, in seiner Heimat gelebt hatte und dort erzogen und geprägt worden war, nun in ein gleichsam fremdes Land zu dem ihm weniger bekannten Vater übersiedeln sollte, der wiederum die ghanaische Heimat bereits acht Jahre nach der Geburt des Klägers (1997) endgültig verlassen hatte. Statt des Klägers waren bei der gerichtlichen Anhörung nur die Tante und ein diese vertretender Rechtsanwalt persönlich anwesend. Der Entscheidung wurde nach ihrem Wortlaut lediglich die - nicht dokumentierte - Anhörung des Rechtsanwalts zugrunde gelegt; eine weitere Begründung enthält die gerichtliche Entscheidung nicht.

Anders als der Kläger meint, wird seine fehlende Anhörung nicht durch seine Äußerungen gegenüber Mitarbeitern der Botschaft der Beklagten in Accra kompensiert. Abgesehen davon, dass es sich nicht um eine sachkundige Stelle mit entsprechend ausgebildetem Personal handelt, war das Sorgerecht zu diesem Zeitpunkt bereits dem Vater zugesprochen. Die Anhörung muss jedoch, wenn sie die Rechte des Kindes wahren soll, vor einer Entscheidung über das Sorgerecht stattfinden. Aus demselben Grund reicht auch die nachträgliche Befragung des Kindes durch das Verwaltungsgericht im Visumverfahren nicht aus (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 33).

Dass die Anhörung des Kindes nicht nur im deutschen Sorgerechtsverfahren eine elementare Verfahrensgarantie darstellt, deren Nichteinhaltung ein Anerkennungshindernis begründet, zeigen auch weitere völkerrechtliche bzw. gemeinschaftsrechtliche Regelungen.

Gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. b KSU kann die Anerkennung einer von den Behörden eines Vertragsstaats getroffenen Maßnahme versagt werden, wenn sie, außer in dringenden Fällen, im Rahmen eines Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens getroffen wurde, ohne dass dem Kind die Möglichkeit eingeräumt worden war, gehört zu werden, und dadurch gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze des ersuchten Staates verstoßen wurde. Wie der erläuternde Bericht zu dem Übereinkommen verdeutlicht, beruht der Versagungsgrund mangelnder Anhörung des Kindes auf Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, dessen Vertragsstaat auch Ghana ist (vgl. die Aufstellung unter treaties.un.org). Danach wird dem Kind entsprechend seinem Alter und seiner Reife insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen es berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder durch eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden. Der erläuternde Bericht stellt zutreffend fest, dass es sich der Sache nach um eine Spezialvorschrift des verfahrensrechtlichen ordre public handelt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 35 f. m.w.N.). Eine fast wortgleiche Regelung enthält die - allerdings nur EU-Mitgliedstaaten (bis auf Dänemark) bindende - Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung. der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338/1 vom 23. Dezember 2003) - so genannte Brüssel-II-a-VO - in ihrem Art. 23 lit. b. Wie sich aus Erwägungsgrund 19 der Verordnung ergibt, soll die Verordnung allerdings nicht zum Ziel haben, die diesbezüglich geltenden nationalen Verfahren zu ändern. Damit könnte wohl auch eine Anhörung vor einer Verwaltungsbehörde oder einer sonstigen kompetenten Stelle ausreichen.

Im Übrigen bestimmt auch das ghanaische Recht in Sec. 45 Abs. 2 lit. c Children's Act, dass das Family Tribunal bei der Entscheidung über das Sorge- und Umgangsrecht auch die Meinung des Kindes zu berücksichtigen habe, vorausgesetzt, sie wurde unbeeinflusst geäußert. [...]

dd) Für eine andere gerichtliche Entscheidung - als diejenige vom 11. Mai 2004 -, die für eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater des Klägers anerkannt werden könnte, oder für eine dahingehende Vereinbarung zwischen den Eltern des Klägers ist nichts vorgetragen.

ee) Auch für ein unbeschadet der gerichtlichen Entscheidung vom 11. Mai 2004 bestehendes alleiniges Sorgerecht des Vaters (bereits) nach ghanaischem Verfassungs- und Gesetzesrecht bzw. Gewohnheitsrecht ist nichts dargelegt oder ersichtlich.

(1) Das ghanaische Gesetzesrecht, das nach Art. 21 EGBGB insoweit zur Anwendung kommt (vgl. Gutachten Wanitzek, S. 15), ermöglicht in Sec. 43. ff. Children's Act zwar eine gerichtliche Sorge- und Umgangsrechtsregelung (vgl. Gutachten Wanitzek, S. 52 ähnlich Sec. 22 Abs. 2 Matrimonial Causes Act), sieht im Children's Act aber grundsätzlich ein gemeinsames Sorgerecht der Eltern vor, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder zusammenleben (Sec. 5 und 6 Children's Act).

Soweit der Kläger geltend macht, aus Art. 28 der ghanaischen Verfassung ergebe sich, dass die Eltern ihr Sorgerecht aufgeben könnten, und dies sei seitens der Mutter hier geschehen, weshalb es auf die Gerichtsentscheidung nicht ankomme, ist ihm nicht zu folgen. Art. 28 Abs. 1 lit. a der ghanaischen Verfassung lautet: "Das Parlament hat die notwendigen Gesetze zu erlassen, um sicherzustellen, dass jedes Kind ein Recht auf das gleiche Maß an besonderer Sorge, Hilfe und Unterhalt von seinen natürlichen Eltern erhält, das notwendig für seine Entwicklung ist, es sei denn, die Eltern haben rechtmäßig und rechtswirksam ihre dem Kind gegenüber bestehenden Rechte und Pflichten aufgegeben." Der Wortlaut der Verfassungsnorm spricht danach von natürlichen Eltern und (dem Erfordernis) einer rechtmäßigen und rechtswirksamen Aufgabe ihrer dem Kind gegenüber bestehender Rechte und Pflichten zur Adoption etwa (vgl. Sec. 75 Abs. 1 lit. a Children's Act, wonach alle Rechte und Pflichten der [natürlichen] Eltern erlöschen). Es erschließt sich daraus indes nicht, dass die Aufgabe des mütterlichen Sorgerechts allein durch konkludentes Handeln rechtmäßig und rechtswirksam wäre; hierfür führt der Kläger auch keine speziellere Norm an. Dies gilt umso mehr, als das ghanaische Recht, das insbesondere mit dem Children's Act der Umsetzung dieses Verfassungsauftrages dient (vgl. Wanitzek in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Ghana, Stand Januar 2007, S. 25), gerade die Möglichkeit der Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil vorsieht (vgl. Sec. 43 ff. Children's Act) und der Vater eben dieses Instrument einer gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich des Klägers in Anspruch genommen hat. Auch aus der vom Kläger ergänzend herangezogenen Norm des Sec. 45 Abs. 2 lit. b des Children's Act ergibt sich nichts anderes. Denn Sec. 43, 45 des Children's Act befassen sich gerade mit der Sorgerechtsbeantragung bei Gericht. Nach Sec. 45 Abs. 2 lit. b Children's Act habe das Family Tribunal auch zu berücksichtigen, dass es für ein Kind vorzuziehen ist, bei den Eltern zu sein; es sei denn, seine Rechte werden beständig von den Eltern missachtet. Für die zulässige - rechtmäßige und rechtswirksame - Option einer konkludenten Aufgabe des mütterlichen Sorgerechts ist daraus nichts ersichtlich.

(2) Ein alleiniges Sorgerecht des Vaters folgt auch nicht aus dem Gewohnheitsrecht (Stammesrecht). Unbeschadet der Frage, ob überhaupt Raum für die Anwendung ghanaischen Gewohnheitsrechts besteht, geht der Kläger selbst nach seiner Beschreibung des Stammesrechts der ethnischen Gruppe der Ga davon aus, dass das Sorgerecht grundsätzlich, wenn auch mit Übergewicht beim Vater, zwischen den Eltern geteilt ist. Denn er betont, dass es - neben dem Bestimmungsrecht des Vaters bzw. (eines männlichen Mitglieds) seiner Familie - "Aufgabe und Recht" der Mutter sei, sich um die Erziehung zu kümmern sowie um alles, was mit "Respekt" zu tun habe. Zudem macht er selbst darauf aufmerksam, dass der Vater bei Verschwinden der Kindesmutter lediglich das alleinige "Aufenthaltsbestimmungsrecht" innehabe; im Übrigen trägt er vor, nicht sein Vater allein habe das Sorgerecht für ihn innegehabt, sondern wegen dessen Abwesenheit die Familie des Vaters, insbesondere der Bruder des Großvaters, der es auf die Tante des Klägers übertragen habe. Ein alleiniges Personensorgerecht des Vaters ohne die gerichtliche Entscheidung behauptet der Kläger somit selbst nicht.

2. Dem Kläger kommt auch kein Anspruch aus § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG zu. Danach kann abweichend von § 20 Abs. 2 Nr. 1 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Eltern - wie hier - nicht miteinander verheiratet sind. Auch diese Vorschrift ist über § 104 Abs. 3 AufenthG weiterhin anwendbar. Sie gewährt zwar nur einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung. Dennoch ist sie gegenüber der Anspruchsregelung in § 32 Abs. 2 AufenthG hier günstiger, da sie abgesehen von der - aufgrund rechtzeitiger Antragstellung eingehaltenen - Altersgrenze von 16 Jahren (vgl. § 20 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) von keinen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O. [339], Rn. 24).

Bei der Ermessensentscheidung hat die Behörde die familiären Belange, namentlich das Wohl des nachzugswiliigen Kindes, sachgerecht abzuwägen mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen, insbesondere den einwanderungs- und integrationspolitischen Belangen der Bundesrepublik Deutschland. Für die Frage, welches Gewicht den familiären Belangen des Kindes und den geltend gemachten Gründen für einen Nachzug in die Bundesrepublik zukommt, ist die Lebenssituation des Kindes im Heimatland von wesentlicher Bedeutung. Zur maßgeblichen Lebenssituation gehört u.a., ob ein Elternteil im Heimatland lebt, inwieweit das Kind seine soziale Prägung im Heimatland erfahren hat, inwieweit das Kind noch auf Betreuung und Erziehung angewiesen ist, wer das Kind im Heimatland betreut hat und dort weiter betreuen kann und wer das Sorgerecht für das Kind hat. Bedeutsam ist vor allem auch das Alter des Kindes. Für Kinder, die 14 oder 15 Jahre alt sind, hat die elterliche Betreuung typischerweise nicht mehr das gleiche Gewicht wie für jüngere Kinder. Auch integrationspolitisch ist das Alter relevant: Je jünger die Kinder bei ihrem Nachzug sind, desto eher wird eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse gelingen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 - 1 C 22.96 -, Buchholz 402.240 § 20 AuslG 1990 Nr. 4, S. 19 f.). Bei der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens ist vorliegend die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers zugrundezulegen, später eintretende Sachverhaltsänderungen zu Gunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O. [344], Rn. 37). Unter Würdigung dieser Umstände und angesichts der einem Nachzugsbegehren widerstreitenden einwanderungs- und integrationspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland ist gegen die Entscheidung der Beklagten, von der Voraussetzung des § 20 Abs. 2 Nr. 1 AuslG nicht abzusehen und damit einen Nachzug nicht zuzulassen, im Rahmen der nach § 114 Satz 1 VwGO eröffneten gerichtlichen Überprüfung nichts zu erinnern.

Die Beklagte hat im Remonstrationsbescheid vom 26. Mai 2005 - und damit kurz nach dem 16. Geburtstag des Klägers - ausgeführt, der Kläger habe sein gesamtes bisheriges Leben in Ghana verbracht und sei ausschließlich von ghanaischen Lebensverhältnissen geprägt. Mit seinem Vater habe er - wenn überhaupt - nur für eine sehr kurze Zeit zusammengelebt. Ansonsten kenne er den Vater nur von Besuchsaufenthalten. Eine persönliche Beziehung zum Vater müsse erst völlig neu aufgebaut werden, wobei für den Antragsteller der Wechsel in einen fremden Kulturkreis hinzukäme. Die Betreuung in Ghana sei weiterhin gewährleistet, zumal angesichts seines Alters von 16 Jahren ohnehin ein stetig abnehmender Betreuungsaufwand erforderlich sei. Ein Verbleib des Klägers in gewohnter Umgebung erscheine danach besser für sein Wohl. Die Beklagte ist auch - wie gezeigt - zu Recht davon ausgegangen, dass der Vater nicht in einer im deutschen Rechtskreis anerkennungsfähigen Weise allein Sorgeberechtigter des Klägers wäre. Dieser hat sein Sorgerecht nach seiner endgültigen Ausreise im Jahre 1997, als der Kläger acht Jahre alt war, auch nicht alleine ausgeübt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O. [339], Rn. 25 a.E.), sondern an seine Familie delegiert. [...]

3. Der Kläger vermag sein Nachzugsbegehren auch nicht auf § 20 Abs. 4 AuslG zu stützen. Danach kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn das Kind die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG) oder es auf Grund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist (§ 20 Abs. 4 Nr. 2.AuslG). Insoweit enthält das Aufenthaltsgesetz keine günstigere Regelung. Denn ein Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 2 AufenthG setzt - wie § 32 Abs. 3 AufenthG - voraus, dass beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen, und ein Ermessensanspruch nach § 32 Abs. 4 AufenthG hängt von den gleichen materiell-rechtlichen Voraussetzungen ab wie § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG. § 20 Abs. 4 AuslG kommt hier gegenüber der Ermessensregelung des § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG auch eine eigenständige Bedeutung zu, da die Vorschrift auch für minderjährige Kinder nach Vollendung des 16. Lebensjahrs gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O. [340], Rn. 27). Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung ist die Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O. [344], Rn. 37). [...]