VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 17.05.2011 - 3 A 2951/09 - asyl.net: M18630
https://www.asyl.net/rsdb/M18630
Leitsatz:

1. Keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak.

2. Keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände für Angehörigen einer sich im Wesentlichen aus Irakern rekrutierenden, aber unter amerikanischem Kommando stehenden, mit Terrorismusbekämpfung befassten militärischen Einheit.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Irak, Yeziden, Gruppenverfolgung, religiöse Verfolgung, politische Verfolgung, Sheikhan, Verfolgungsdichte, erhebliche individuelle Gefahr, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Sicherheitslage, Desertion, Diskriminierung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

Rechtserhebliche Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG drohen dem Kläger einerseits nicht allein deshalb, weil er nach eigener Darstellung Angehöriger der Gruppe der Yeziden des Irak ist.

Dass die Religionsgruppe der Yeziden im Irak keiner asyl- oder flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung ausgesetzt ist, entspricht der ständigen, ganz überwiegenden Rechtsprechung anderer Gerichte (vgl. u.a. OVG Saarlouis, Beschluss vom 26. März 2007 - 3 A 30/07 -, zit. n. juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. März 2007 - 9 LB 373/06 -, zit. n. juris; VG Saarlouis, Urteil vom 12. August 2008 - 2 K 122/08 -, zit. n. juris; VG Braunschweig, Urteil vom 20. Februar 2009 - 2 A 234/08 -, V.n.b.; VG Göttingen, Urteil vom 7. Juli 2009 - 2 A 62/08 -, V.n.b.; VG Sigmaringen, Urteil vom 24. Februar 2010 - A 1 K 3310/09 -, zit. n. juris; VG Ansbach, Urteil vom 24. März 2010 - AN 9 K 09.30433 -, zit. n. juris; VG München, Urteil vom 6. Mai 2010 - M 16 K 09.50517 -, zit. n. juris: VG Ansbach, Urteil vom 8. Juni 2010 - AN 9 K 09.30432 -, V.n.b. und VG Düsseldorf, Urteil vom 1. September 2010 - 16 K 3655/10.A -, V.n.b.; davon insbesondere OVG Lüneburg und VG Sigmaringen mit umfassender Darstellung der Verfolgungssituation und ausführlicher Würdigung aller vorliegenden Erkenntnisse über Anschläge, Übergriffe und Diskriminierungen). Dem schließt sich das hier erkennende Gericht auch in diesem Verfahren, wie schon in anderen Fällen (vgl. u.a. Urteil vom 29. Juli 2010 - 3 A 2861/09 -, V.n.b.) in vollem Umfange an. Dabei macht es sich auf der Grundlage der in dieses Verfahren eingeführten Erkenntnismittel namentlich die Erwägungen zu eigen, mit denen das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 19. März 2007 (9 LB 373/06) zu diesem Ergebnis gelangt (ebenso nochmals u.a. Beschluss vom 23. Mai 2007 - 9 LA 229/06 -, zit. n. juris).

Zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung führt das Gericht a.a.O. unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungs- sowie Bundesverwaltungsgerichts u.a. aus, dass Mitglieder der betroffenen Gruppe Rechtsgutsbeeinträchtigungen erfahren müssten, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten könne, selbst Opfer solcher Maßnahmen zu werden. [...]

Von diesen Grundsätzen ausgehend stellt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg a.a.O. zunächst fest, dass für eine vom irakischen Staat ausgehende Verfolgung religiöser Minderheiten, zu denen auch die Yeziden gehörten, keine Anhaltspunkte vorlägen. Gegenwärtig lasse sich aber auch nicht feststellen, dass Yeziden im Irak als Gruppe wegen ihrer Religion von sog. nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG verfolgt würden. Bei der Beurteilung, ob Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt seien, sei nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst die Zahl der im Irak lebenden Yeziden zu ermitteln. Sie stellten eine religiöse Minderheit dar und machten vermutlich ein bis zwei Prozent der irakischen Gesamtbevölkerung aus. Über ihre genaue Anzahl gebe es - auch angesichts der neuerlichen Fluchtbewegungen - keine zuverlässigen Angaben. Nach den unterschiedlichen Schätzungen (z.B. Lageberichte Irak des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2005 und vom 29. Juni 2006, Stellungnahme des Deutschen Orient-Institut vom 14. Februar 2005) liege ihre Gesamtzahl zwischen 150.000 und 600.000 Personen. Der UNHCR (Auskunft vom Oktober 2005) gehe von 550.000, das Deutsche Orient-Institut von ca. 200.000 bis 250.000, das Yezidische Forum e.V. Oldenburg (Presseinformation vom 30. Dezember 2004 zur Menschenrechtssituation der Yeziden im Irak) sogar von mehr als 600.000 im Irak lebenden Yeziden aus. Auf der Grundlage dieser Erkenntnismittel, die eine genauere Festlegung nicht ermöglichten, erscheine es dem erkennenden Senat angemessen, bei der Bestimmung der Verfolgungsdichte einen in etwa mittleren Wert zugrunde zu legen und daher davon auszugehen, dass zur Zeit noch etwa 400.000 Yeziden im Irak lebten.

Für die Einschätzung der Verfolgungssituation von Yeziden sei bedeutsam, wo ihre Siedlungsgebiete lägen. Um die 90 % der Yeziden lebten in Gebieten, die bis zum dritten Golfkrieg im Jahr 2003 zur zentralirakischen Provinz Niniveh gehört hätten. Etwa 75 wohnten im traditionellen Siedlungsgebiet Jebel Sindjar zwischen Mosul und der syrischen Grenze, ca. 15 % hielten sich im Scheikhan-Gebiet nordwestlich von Mosul auf. Weitere Yeziden lebten schwerpunktmäßig in Mosul und Bagdad. Insgesamt wohnten etwa 10 % der irakischen Yeziden in den kurdisch verwalteten Gebieten des Nordirak, die meisten von ihnen in der Provinz Duhok. Dort lägen auch das Lalischtal, der wichtigste Wallfahrtsort der Yeziden, an dem sich der Schrein von Scheich Adi befinde.

Die traditionellen yezidischen Siedlungsgebiete im ehemaligen Zentralirak hätten bis zum Jahre 2004 noch als relativ sicher gegolten, weil in den dort gelegenen Zentraldörfern ausschließlich Yeziden gelebt hätten und die Gefahr von Anschlägen deshalb gering gewesen sei. Eine Ursache für die inzwischen festzustellende Verschlechterung der Situation und die Zunahme der Angriffe auf Yeziden liege vor allem in den besonderen ethnisch-religiösen Spannungen zwischen Arabern und Kurden, die ihrerseits auf die früheren Vertreibungen von Yeziden und die seinerzeitige Ansiedlung arabischer Siedler zurückzuführen seien. Hinzu komme die wachsende politische Unsicherheit in der Region um Mosul durch die von mehreren Seiten erhobenen Ansprüche auf bestimmte Teilgebiete. Ein zusätzliches Gefährdungspotential von Yeziden aus dem Sindjar und aus dem Scheikhan folge daraus, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen seien, regelmäßig zur Arbeitsaufnahme nach Mosul oder Dohuk zu pendeln, um sich dort länger, teilweise sogar mehrere Wochen aufzuhalten. Vergleichsweise viele Anschläge gegen Yeziden würden deshalb aus Mosul gemeldet.

Trotz dieser allgemein für Yeziden bestehenden Gefährdungslage sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung eine gegen die Yeziden gerichtete Gruppenverfolgung bisher überwiegend verneint worden. [...]

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg fährt sodann fort: Zwar müsste in der Tat - wenn es entscheidungserheblich wäre - bei der Festlegung der genaueren Verfolgungsdichte die Zahl der festgestellten Gewalttaten gegenüber Yeziden noch um die Anzahl der Taten gemindert werden, die nicht politisch-religiös motiviert gewesen seien. Von einer solchen (tatsächlich kaum durchführbaren) Reduzierung sehe der Senat aber ab, weil selbst alle aufgelisteten Gewalttaten gegenüber irakischen Yeziden im Verhältnis zur Gesamtzahl der im Irak lebenden Yeziden letztlich nur einen so geringen prozentualen Anteil ausmachten, dass nicht jeder Angehöriger dieser Gruppe aktuell und konkret mit einer Gefährdung seiner Person rechnen müsse. Die höchstens 200 Referenzfälle stünden zur Gesamtzahl der Yeziden im Irak (etwa 400.000) im Verhältnis von ungefähr 1 : 2000. Nach alledem könne nicht angenommen werden, Yeziden im Irak seien hinsichtlich ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Freiheit einer allgemeinen, nicht an individuelle Verhaltensweisen, sondern an die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft anknüpfende (Gruppen-)Verfolgungsgefahr durch staatliche, staatsähnliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt.

Dem schließt sich das hier erkennende Gericht in Übereinstimmung mit der überwiegenden auch aktuelleren Rechtsprechung anderer Gerichte (vgl. insoweit die oben zitierten Entscheidungen) an. Allerdings geht es u.a. mit dem Verwaltungsgericht Ansbach (s. Urteil vom 8. Juni 2010 - AN 9 K 09.30432 -, V.n.b.) aufgrund der aktuellen Erkenntnislage von inzwischen veränderten Zahlenverhältnissen aus, ohne dass indessen damit im Ergebnis eine abweichende Gesamteinschätzung verbunden wäre. Das Verwaltungsgericht Ansbach stellt am a.a.O. - nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Angaben über die Anzahl der zur Zeit wahrscheinlich im Irak noch lebenden Yeziden in dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2010 - fest, dass sich auf der Grundlage der inzwischen bekannten bzw. bekanntgewordenen Opferzahlen (für die Zeit von 2004 bis 2010 zwischen 600 und 800 yezidische Todesopfer, wobei jedoch nicht durchgehend ein Bezug zur Religionszugehörigkeit nachzuweisen sei) ein Verhältnis der Referenzfälle zur Gesamtzahl der Yeziden im Irak von 1 : 250 ergebe (800: 200.000). Damit seien die Anforderungen an eine Gruppenverfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts derzeit aber nach wie vor nicht erfüllt. Die genannte Anschlagsdichte lasse eine Regelvermutung, wonach jedes Mitglied der yezidischen Religionsgemeinschaft verfolgt werde, nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht habe bei einer - wie hier - größeren Gruppe eine Verfolgungsdichte von etwa einem Drittel als im Ansatz für die Regelvermutung eigener Verfolgung ausreichend angesehen (BVerwG, Urteil vom 30. April 1996 - 9 CE 170.95 -, zit. n. juris). Selbst wenn man eine Verfolgungsdichte von etwa einem Zehntel, wobei 90 % der Gruppe verschont blieben, ausreichen lasse, halte die festgestellte Verfolgungsdichte von 1 : 250 einen sicheren Abstand zum kritischen Bereich. Auch wenn nicht zu verkennen sei, dass sich die Yeziden im Irak als religiöse Minderheit in einer immer noch vergleichsweise schwierigen Lage befänden, ließen die vorliegenden Erkenntnismittel den Schluss auf eine asylrelevante Gruppenverfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu.

Auch diese (aktualisierte) Einschätzung teilt das hier erkennende Gericht.

Die darin zum Ausdruck kommende Lageeinschätzung wird, was namentlich die Situation der Yeziden in dem Gebiet Sheikhan betrifft, zu dem auch der Herkunftsort des Klägers, die Stadt Sheikhan (...), gehört, nicht zuletzt durch die neueren Erkenntnisse des Europäischen Zentrums für kurdische Studien gestützt, das in seiner Stellungnahme vom 17. Februar 2010 an das Verwaltungsgericht München in diesen Zusammenhang mitteilt:

"Der Großteil der Destrikte Scheichan und al-Scheichan gehört zu den Gebieten unter de facto kurdischer Verwaltung - Ausnahme ist der nördliche Teil des Destrikts Scheichan mit dem Lalisch-Tal. Dieser Teil steht unter de jure kurdischer Verwaltung. Grundsätzlich ist die Sicherheitslage im Scheichan besser als im Sindjar: Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass er eine direkte Verbindung zu den de jure kurdisch verwalteten Gebieten aufweist. Auch der UNAMI-Bericht zur Lage in den umstrittenen Gebieten bezeichnet die Sicherheitslage im Scheichan als vergleichsweise stabil - für die Zeit zwischen Oktober 2007 und September 2008 werden nur fünf registrierte Sicherheitsvorfälle genannt. Die Sicherheit wird ausschließlich von Peschmergakräften aufrecht erhalten, die irakische Armee ist im Scheichan nicht präsent.

Wir haben in den diversen Menschenrechtsberichten etc. keine Hinweise darauf gefunden, dass es im Scheichan/al-Scheichan Übergriffe sunnitischer Extremisten auf Yeziden gegeben hat. Auch zu Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und yezidischen Kurden wie am 15. Februar 2007 in der Stadt Ain Sifni (Sheichan) im Anschluss an einen Konflikt zwischen Eheleuten ist es seither nicht mehr gekommen."

Soweit in dieser Stellungnahme des weiteren u.a. einige Yeziden aus dem Zentraldorf Mahat (Mahad) mit den Aussagen zitiert werden, sie würden von den Kurden in Dohuk, Erbil und Sulaimaniya nicht respektiert, sondern wie Bürger zweiter Klasse behandelt, man lasse sie spüren, dass sie sie nicht akzeptierten, schränkt sie den Erkenntniswert der wiedergegebenen Feststellungen zur weitgehenden Stabilität und Verfolgungssicherheit der Yeziden im Sheikhan-Gebiet nach asylrechtlichen Maßstäben nicht ein. Denn derartige Diskriminierungen stellen noch keine asylrechtserheblichen Verfolgungseingriffe dar (so auch Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 24. März 2010 - AN 9 K 09.30433 -, zit. n. juris).

Das Gericht schließt sich ferner auch nochmals den weiteren Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg an, soweit in dem oben zitierten Urteil (Urteil vom 19. März 2007, a.a.O.) im Hinblick auf die Auswirkungen des auf die Yeziden im Irak ausgeübten Verfolgungsdrucks auf ihre Religionsausübungsfreiheit zunächst ausdrücklich auf die gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG für die Feststellung, ob die Voraussetzungen einer Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegen, (u.a.) unmittelbar anzuwendenden Bestimmungen des Art. 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie verwiesen und sodann ausgeführt wird, bei Anwendung der danach geltenden Maßstäbe könne nicht angenommen werden, Yeziden im Irak würden in ihrer Religionsausübung unzumutbar beeinträchtigt. Dass das religiöse Existenzminimum im privaten Bereich durch radikale Muslime nachhaltig beeinträchtigt sei, behaupte der Kläger (der Kläger des seinerzeitigen dortigen Verfahrens, was allerdings genauso für den Kläger des vorliegenden Verfahrens gilt!) nicht. Die von ihm geltend gemachten Störungen bei der öffentlichen Religionsausübung (solche Störungen hat der Kläger des vorliegenden Verfahrens von Anfang an gar nicht geltend gemacht!) lägen nicht vor. Die religiösen Rituale der Yeziden dürften nicht vor den Augen von - aus deren Sicht - Ungläubigen praktiziert werden. Yeziden übten ihre Religion daher nicht in einer öffentlichen, auch Andersgläubigen zugänglichen Weise, insbesondere nicht in äußeren religiösen Handlungen, sondern im Privatbereich aus. Dort würden z. B. auch das Morgen- und Abendgebet abgehalten. Gotteshäuser gebe es ebenso wenig wie eigenständige Gebetsräume in anderen Baulichkeiten. Das Yezidentum spiele sich also überwiegend im Bewusstseins- und Gefühlsbereich ab und sei deshalb sogar als Geheimreligion bezeichnet worden (Gutachten von amnesty international vom 16. August 2005; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 5. März 2007 - 3 A 12/07 -, zit. n. juris). Im übrigen habe der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zum yezidischen Glauben in einer Grundsatzentscheidung schon am 28. Januar 1993 (11 L 513/89) ausgeführt:

Im Mittelpunkt des Glaubens der Yeziden stehe nicht Gott, sondern die Verehrung des Melek Taus, eines in göttliche Ungnade gefallenen Engels, der infolge seiner Reue von Gott wiederaufgenommen worden sei und über die Welt herrsche, weil Gott sich nach Vollendung der Schöpfung von der Welt zurückgezogen habe. Kulthandlung übten die Yeziden, mit Ausnahme des privaten Gebets, zusammen mit der ihnen Kraft Geburt zugeordneten Priester- (Scheich-) Familie aus, der die religiöse Unterweisung und Betreuung der Laien (Muriden) obliege. Gottesdienste würden in den Wohnungen abgehalten, da Kultbauten, mit Ausnahme der Bauten am Grabe des Scheichs Adi, der als Inkarnation des Melek Taus gelte, unbekannt seien. Öffentliche Gebete fänden im Freien und nur in Anwesenheit anderer Yeziden statt; dies geschehe bei Sonnenaufgang, während bestimmter Festperioden, aber auch zu anderen Tageszeiten. Glaubensinhalte, Kulthandlungen und Festriten hielten Yeziden vor Andersgläubigen möglichst geheim. Sie schlössen sich als Glaubensgemeinschaft bewusst gegen Andersgläubige ab. Andererseits täuschten sie in ihrem Bemühen, ihre Religion geheimzuhalten, in Gegenwart von Moslems oder Christen häufig eine Annäherung an deren Religion vor, was jedoch nur möglich sei, solange Gott oder Melek Taus nicht verleugnet werden müssten.

Diesen Ausführungen, so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 19. März 2009 (9 LB 373/06) weiter, sei zu folgen. Demnach entbehre die Annahme des Klägers, dass die Yeziden im Irak wegen drohender Übergriffe von radikalen Muslimen gezwungen seien, ihre Religion nicht mehr in der Öffentlichkeit auszuüben, schon von der Art der üblichen Religionsausübung her weitgehend jeglicher Grundlage. Dass die ohnehin nur sehr eingeschränkte Religionsausübung außerhalb des privaten Bereichs in der Vergangenheit nachhaltig beeinträchtigt worden sei oder in naher Zukunft beeinträchtigt sein würde, lasse sich den vorliegenden Erkenntnismitteln - auch der Auskunft des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 19. März 2007 - nicht entnehmen.

Dem ist auch mit Rücksicht auf das Klagevorbringen in diesem Verfahren nichts hinzufügen.

Die Gefahr, dass der Kläger nach seiner jetzigen Rückkehr in sein Heimatland (namentlich dort in seinen Heimatort) allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Yeziden einer die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllenden politischen Verfolgung (Gruppenverfolgung) ausgesetzt wäre, besteht somit nicht. [...]

Individuelle gefahrerhöhende Umstände liegen in seiner Person nicht vor. Insbesondere kann ein solcher Umstand nicht darin erblickt werden, dass der Kläger nach seinen Angaben seit dem Jahre 2006 Angehöriger einer sich (wohl) im wesentlichen aus Irakern rekrutierenden, aber unter amerikanischem Kommando stehenden, mit Terrorismusbekämpfung befassten militärischen Einheit gewesen ist.

Dabei liegt es zunächst auf der Hand, dass in dem hier erörterten Zusammenhang solche Gefahren nicht in Betracht zu ziehen sind, die dem Kläger in Ausübung seines Dienstes als (zuletzt) Gefreiter der Terrorbekämpfungseinheit drohen bzw. gedroht haben könnten. Denn insoweit ist der Kläger nicht im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG "als Angehöriger der Zivilbevölkerung", sondern als sog. Kombattant (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, NVwZ 2008, 1241 ff.) im Rahmen des (an dieser Stelle nur hypothetisch unterstellten) bewaffneten Konfliktes - ggf. in besonderem Maße - gefährdet (gewesen).

Im übrigen muss das Gericht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht abschließend klären, inwieweit sich die Zusammenarbeit eines irakischen Staatsangehörigen, ggf. auch eines Irakers yezidischen Glaubens, mit US-amerikanischen Stellen (Militär, Wirtschaftsunternehmen, sonstigen im Irak tätigen Institutionen oder Organisationen) grundsätzlich und - ggf. - bei Hinzutreten einer yezidischen Religionszugehörigkeit im Rahmen eines (wie hier vorausgesetzt) die Gruppe der Yeziden als Konfliktpartei betreffenden oder einbeziehenden innerstaatlichen Konfliktes gefahrerhöhend auswirken kann. Darauf kommt es deshalb im Falle des Klägers nicht an, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass er nach einer jetzigen Rückkehr in sein Heimatland (weil ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes ebenso wie ein solcher auf Asylgewährung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stets eine für den Rückkehrfall prognostisch feststellbare rechtserhebliche Gefahrenlage voraussetzt, ist allein hierauf abzustellen!) zu seiner Einheit zurückkehren und dort weiterhin als Soldat, unter amerikanischem Kommando, im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werden würde.

Der Kläger hat selbst geltend gemacht, dass er, nachdem er ab 1. August 2009 für zehn Tage Urlaub bekommen habe und sich also nach seiner Erinnerung spätestens am 11. August 2009 wieder bei seiner Einheit hätte zurückmelden müssen, statt dessen ausgereist und seither dem Dienst in seiner Einheit unerlaubterweise ferngeblieben sei, sich somit der Desertion schuldig gemacht habe. Das Gericht schließt es unter diesen Umständen aus, dass der Kläger, wenn er demnächst nochmals in seine Heimat zurückkehren müsste, freiwillig zur Truppe zurückkehren und darum nachsuchen würde, seinen Dienst dort fortsetzen zu dürfen. Dabei kann es schon angesichts des durch die Desertion auf Seiten seines Dienstherrn wahrscheinlich eingetretenen erheblichen Vertrauensverlustes auch als weitgehend ausgeschlossen gelten, dass er unter diesen Umständen erneut überhaupt als Freiwilliger in das Militär aufgenommen werden, ihm also eine Fortsetzung des eigenmächtig unterbrochenen Dienstes in seiner Einheit oder auch in anderen Truppenteilen ermöglicht werden würde. Vielmehr befürchtet der Kläger wohl zu Recht, dass man ihn nunmehr, nachdem er dem Dienst bereits seit (zum jetzigen Zeitpunkt) annähernd zwei Jahren unerlaubt ferngeblieben ist, nur noch und jedenfalls wegen Desertion belangen würde.

Unter diesen Umständen ist auch nicht zu erwarten, dass der Kläger wegen Zugehörigkeit zu einer unter amerikanischem Kommando oder zumindest in Zusammenarbeit mit den Amerikanern gegen Terroristen eingesetzten Einheit des irakischen Militärs künftig als Privat- oder Zivilperson in exponierter Weise gefährdet wäre. Denn als Aktivist, d.h. als aktiver Kämpfer gegen den Terrorismus, würde er nicht mehr in Erscheinung treten, während ihm andererseits nur aufgrund seines früheren aktiven Einsatzes auf diesem Gebiet, wenn überhaupt, jedenfalls nicht in einer ihn insoweit aus dem Kreise anderer Zivilpersonen im Konfliktgebiet heraushebenden Weise und insbesondere Intensität Gefahren - in seinem Falle z.B. von Seiten irgendwann einmal betroffen gewesener Terroristen - drohen werden. Für letztere Annahme spricht nicht zuletzt der Ablauf eines Zeitraumes von inzwischen fast zwei Jahren seit dem letzten Einsatz des Klägers gegen Terroristen. Dieser soll laut seinen im Rahmen der Bundesamtsanhörung am 23. September 2009 zur Niederschrift gelangten Angaben ungefähr 13 oder 14 Tage vor Beendigung seines Dienstes beim Militär, also etwa Mitte des Monats Juli 2009, stattgefunden haben. Sie hätten nachts aufgrund eines Befehles eine Wohnung überfallen und drei Personen festgenommen.

Im Verlaufe der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im übrigen berichtet, in dem Jahr, in dem er nach Verlegung seiner Einheit von Bagdad nach Mosul dort Dienst getan habe, sei er ähnlich häufig gegen Terroristen im Einsatz gewesen wie zuvor in Bagdad. Hierzu hatte er erklärt, dass die Häufigkeit der Einsätze sehr unterschiedlich gewesen sei; es sei vorgekommen, dass sie in einer Woche zweimal solche Einsätze unternommen hätten, manchmal auch z.B. zwei in einer Nacht. Zu bewaffneten Auseinandersetzungen, zu Einsätzen, in deren Verlauf es also zu Schusswechseln gekommen sei, sei es in dem Jahr, in dem er in Mosul stationiert gewesen sei, insgesamt viermal gekommen. Darin hätten sich ihre Einsätze aber nicht erschöpft. Vielmehr sei es immer wieder vorgekommen, dass sie etwa nachts bestimmte Objekte hätten überfallen müssen, wobei es aber eben nicht immer zu solchen Schießereien gekommen sei.

Dass der Kläger jemals wegen dieser aktiven Teilnahme am Kampf gegen den Terrorismus außerhalb des Dienstes in seiner Einheit von Terroristen oder etwa deren Angehörigen oder Sympathisanten bedroht oder bedrängt worden oder dass ihm aus diesen Kreisen jemals Rache angekündigt worden wäre, hatte er weder im Verlaufe der - gerade auch in dieser Hinsicht sehr umfassend und eingehend gewesenen - Bundesamtsanhörung noch hat er dergleichen in der mündlichen Verhandlung behauptet. Aus den vom Bundesamt seinerzeit protokollierten Aussagen des Klägers ergibt sich nur, dass er einerseits aufgrund seiner yezidischen Religionszugehörigkeit (die er stets habe leugnen müssen und aufgrund deren er immer habe Angst haben müssen, eines Tages von Kameraden in den Rücken geschossen zu werden) und andererseits aus Angst davor, dasselbe Schicksal zu erleiden wie seine beiden im Juni 2009 getöteten Kameraden (mit denen gemeinsam er im Gebiet Shingal "im Kampf gewesen" sei, als sie getötet worden seien, woraufhin sie - die anderen - Angst um sich selbst bekommen hätten, er - der Kläger - habe Angst um sein Leben gehabt, denn der Widerstand und die Terroristen wüssten genau, wer bei diesem Apparat zur Bekämpfung des Terrors arbeite; als die beiden getötet worden seien, habe er sich gedacht, dass auch er bald dran sein würde und deshalb sei er geflohen, ihm könnte jederzeit das gleiche passieren), ausgereist sein wollte. Dabei kann der Kläger allerdings daraus, dass seine Kameraden ums Leben gekommen waren, schwerlich darauf geschlossen haben, die Terroristen könnten nun bald herausfinden, dass auch er zu der Terrorbekämpfungseinheit gehört, und sich womöglich an ihm rächen. Denn wenn es so gewesen ist, dass die Kameraden in einem Kampfeinsatz ums Leben gekommen waren, der zudem - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung im einzelnen nochmals geschildert hat (wobei sich jetzt aber der Vorgang nicht mehr im Gebiet Shingal, sondern in Mosul ereignet haben soll!) - in der Nacht und unter Beteiligung von 80 bis 100 Leuten seiner Einheit und geschätzten sechs oder sieben Terroristen stattgefunden und mit einer wilden Schießerei geendet hatte (die Terroristen hätten blind und wahllos auf sie geschossen, sie - der Kläger und seine Kameraden - hätten selbstverständlich auch zurückgeschossen, der Schusswechsel habe etwa fünf oder sechs Minuten gedauert), so hatte es sich danach also keineswegs um einen gezielt gegen die dabei umgekommenen Kameraden gerichtet gewesenen Racheakt, sondern offenkundig um einen Vorfall gehandelt, von dem jeder einzelne an der Aktion Beteiligte gleichermaßen hätte betroffen sein können, d.h. um einen zu denjenigen Ereignissen gehörenden Zwischenfall, die gleichsam dem allgemeinen "Berufsrisiko" eines im Kampfe gegen Terroristen eingesetzten aktiven Soldaten zuzurechnen sind. Soweit der Kläger also angegeben hatte, er habe befürchtet, ihm könnte nun bald dasselbe passieren, können seine Angaben nur nachvollzogen und dahingehend verstanden werden, ihm sei bei dieser Gelegenheit (erneut) die besondere Gefährlichkeit solcher Einsätze bewusst geworden.

Zwar hatte der Kläger auch schon darauf hingewiesen, dass "der Mord an den beiden" noch nicht aufgeklärt worden sei, womit er möglicherweise - worauf im einzelnen noch einzugehen sein wird - bereits hatte andeuten wollen, dass man ihn dieser Tat bezichtigt habe. Dennoch und ungeachtet dessen hatte er, was im vorliegenden Zusammenhang - soweit also die mögliche Gefahr von Nachstellungen und Vergeltungstaten seitens der von den Antiterroreinsätzen des Klägers betroffenen Terroristen in Rede steht - letztlich entscheidend ist, gegenüber dem Bundesamt auf die Frage der Einzelentscheiderin, was er für den Fall einer jetzigen Rückkehr in sein Heimatland befürchte, geantwortet, das werde eine Katastrophe für ihn werden, "wer weiß, vielleicht werden die Terroristen eines Tages auf mich aufmerksam und werden mich und meine Kinder umbringen". Damit hatte der Kläger unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Terrorgruppen bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus seinem Heimatland jedenfalls noch nicht auf ihn persönlich aufmerksam geworden waren, obwohl er bereits seit dem Jahre 2006 im Antiterrorkampf seiner Einheit eingesetzt gewesen sein will.

Diesem Verständnis seines früheren Vorbringens steht auch nicht etwa entgegen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, seit seiner Ausreise aus dem Irak sei immer wieder nach ihm gefragt worden. Anlässlich der von ihm mit seiner Ehefrau etwa alle zwei Monate geführten Telefonate habe er von ihr erfahren, dass "sie" von Zeit zu Zeit kämen und nach ihm fragten. Wie oft seine Frau aufgesucht werde von diesen Leuten, die sich nach ihm erkundigten, könne er nicht genau angeben. Dies sei unterschiedlich, manchmal etwa alle zwei Monate.

Mit diesen Angaben will der Kläger ersichtlich nicht geltend machen, dass sich etwa doch die Terroristen schon für ihn persönlich (also als Privat- oder Zivilperson) interessiert haben könnten. Vielmehr hat er auf die Frage nach der Identität der sich nach ihm erkundigenden Personen zunächst erklärt, er wisse nicht, wer hinter ihnen stecke, ob sie aus eigenem Antrieb kämen oder ob sie von jemandem geschickt würden. Persönlich kenne er diese Leute nicht, die seine Frau immer wieder aufsuchten. Aus ihren Fragen, die sie dann an seine Ehefrau richteten, könne er aber schließen, dass es sich um Kameraden aus seiner Militärzeit handele. Denn sei erwähnten immer wieder, dass sie seine Kameraden gewesen seien. In Uniform träten die Personen allerdings nicht in Erscheinung, vielmehr seien sie zivilgekleidet. Warum diese Personen sie aufsuchten und wonach sie sie befragten, gebe seine Ehefrau nicht an, sie erzähle aber, dass diese Personen immer wieder versuchten, seine Ehefrau in ein Gespräch zu verwickeln, sie dazu zu veranlassen zu verraten, wo er - der Kläger - sich aufhalte.

Danach deutet nichts darauf hin, dass der Kläger selbst etwa annehmen könnte, von Seiten durch ihn zu Schaden gekommener Terroristen oder deren Angehöriger oder Sympathisanten werde seit seiner Ausreise nach ihm gesucht. Vielmehr neigt der Kläger augenscheinlich selbst zu der Annahme, dass es sich um Personen aus seiner früheren militärischen Einheit oder deren Umfeld handeln könnte. [...]

Dass inzwischen etwa die von seinen früheren Einsätzen als aktiver Soldat betroffen gewesenen Terroristen oder sonstige diesem Lager zuzurechnende Personen zu Hause nach ihm gefragt hätten, wollte der Kläger also auch damit ersichtlich nicht geltend machen.

Nach alledem hat der Kläger - zumindest nach Maßgabe des Ergebnisses sowohl seiner umfassenden persönlichen Anhörung durch das Bundesamt wie auch seiner eingehenden Befragung in der mündlichen Verhandlung - schon für die Zeit vor seiner Ausreise aus dem Irak letztlich selbst gar nicht behauptet und erst recht nicht glaubhaft gemacht, dass er außerhalb des Dienstes in seiner Einheit, d.h. gewissermaßen privat oder persönlich, wegen seines Einsatzes bei der Terrorbekämpfung (und ggf. seiner damit gezeigten Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Amerikanern) auch nur in das Blickfeld terroristischer Kreise (oder etwa auch amerikafeindlicher Kräfte) geraten wäre. Umso mehr muss dies nunmehr, für den Fall einer jetzigen Rückkehr, nachdem der Kläger seinem Dienst in der Terrorbekämpfung schon seit annähernd zwei Jahren gar nicht mehr nachgeht und man sich seiner also in dieser Funktion - wenn schon früher hierdurch gar nicht persönlich aufgefallen - in Kreisen der Terroristen (oder Amerikagegner) schwerlich noch würde "erinnern" können, ausgeschlossen werden, woraus folgt, dass die frühere Ausübung dieser Funktion künftig auch kein gefahrerhöhender Umstand im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mehr darstellen könnte. [...]

Dass im übrigen die für die Annahme einer Gruppenverfolgung mindestens vorauszusetzende Verfolgungsdichte in bezug auf die Yeziden des Irak nicht gegeben ist, ist ausführlich erläutert worden. Hieraus folgt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Falle des Klägers auch nicht deshalb erfüllt sind, weil etwa in seiner Heimat eine von so hohem Gefahrengrad gekennzeichnete außergewöhnliche Situation bestünde, dass praktisch jede Zivilperson (jeder Yezide) allein aufgrund ihrer (seiner) Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Im übrigen sind die Abschiebungsverbotstatbestände des § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG unter dem Gesichtspunkt namentlich einer anlassgeprägten Einzelverfolgung deshalb nicht erfüllt, weil dem Kläger Gefahren oder Rechtsgutsbeeinträchtigungen im Sinne dieser Vorschriften auch sonst jedenfalls nicht mit beachtlicher, d.h. im Zweifel überwiegender, Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Maßstab ist anzuwenden, weil der Kläger insgesamt nicht glaubhaft gemacht hat, bereits einmal Opfer eines Verfolgungseingriffs geworden oder von einem solchen Eingriff unmittelbar bedroht gewesen zu sein, so dass ihm (was den Geltungsbereich des § 60 Abs. 1, 2 und 3 AufenthG betrifft, vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG) die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie nicht zugutekommt, während andererseits der - unter dem Gesichtspunkt eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hier allerdings auch allein noch in Betracht zu ziehende - Abschiebungsschutztatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie oben ausgeführt, stets nur erfüllt sein kann, wenn einem Ausländer die in dieser Vorschrift genannten Rechtsgutsbeeinträchtigungen landesweit und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.

Dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, bereits vor seiner Ausreise wegen seiner Zugehörigkeit zu einer (mit den Amerikanern zusammenarbeitenden) militärischen Antiterroreinheit konkrete Verfolgungseingriffe erlitten zu haben oder hiervon auch nur bedroht gewesen zu sein, ist bereits im Rahmen der vorstehenden Ausführungen zu der (im Ergebnis zu verneinenden) Möglichkeit des Vorliegens persönlicher gefahrerhöhender Umstände im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erläutert worden. Hierauf kann an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden. Was im übrigen die namentlich schriftsätzlich geltend gemachten Drangsalierungen und Diskriminierungen betrifft, welchen der Kläger als Yezide beim "Militär" ausgesetzt gewesen sein will (außer den Hinweisen auf die im allgemeinen schwierige Situation der Yeziden im Irak, die dort "Bürger der neunten Klasse" seien, hatte und hat sich der Kläger auf derartiges in bezug auf sein privates und persönliches Lebensumfeld, insbesondere auf die Lebensumstände in seinem Heimatort ... zu keinem Zeitpunkt berufen!) ist zunächst festzustellen, dass wiederum dieses (also schriftsätzliche) Vorbringen weit über das hinausgeht, was der Kläger in diesem Zusammenhang früher vorgetragen hatte, so dass es ebenfalls, wie schon die schriftsätzlichen Ausführungen zur angeblich bevorstehenden Rache der Terroristen und antiamerikanischer Kreise, wegen der darin liegenden wesentlichen Steigerung des bisherigen Vorbringens als unglaubhaft zu werten ist. Dies kann letztlich aber dahingestellt bleiben. Denn der oben ebenfalls schon erörterte Umstand, dass der Kläger im Falle einer jetzigen Rückkehr in sein Heimatland aller Voraussicht nach nicht erneut zum Militär, namentlich zu seiner früheren Einheit, zurückkehren würde, ist ein stichhaltiger Grund im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, der, selbst wenn der Kläger insoweit als Vorverfolgter ausgereist wäre, gegen eine Verfolgungswiederholung spräche, eine etwa begründete Wiederholungsvermutung also widerlegen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, InfAuslR 2010, 410 ff.).

Nach alledem ist im Falle des Klägers - wie hinsichtlich des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ohnehin - auch im Hinblick auf § 60 Abs. 1 AufenthG jedenfalls der Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" anzuwenden mit der Folge, dass eine Flüchtlingsanerkennung, wie ggf. ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nur geboten wäre, wenn festgestellt werden könnte, dass der Kläger nach einer jetzigen Rückkehr in sein Heimatland voraussichtlich in absehbarer Zeit beachtlich, also überwiegend wahrscheinlich von einem rechtserheblichen Verfolgungseingriff (namentlich etwa von muslimischer Seite oder von Seiten der Terroristen) betroffen wäre. Ein solcher künftiger Eingriff mag nach Lage der Dinge zwar nicht völlig auszuschließen sein, steht dem Kläger nach Maßgabe der aufgezeigten Erkenntnisse über die Sicherheitslage in seiner Heimatregion aber jedenfalls nicht mit einem darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeitsgrad bevor. Zwar kommen Übergriffe gegen Yeziden im Irak - wie oben erläutert - tatsächlich regelmäßig und, absolut betrachtet, auch durchaus zahlreich vor. Gemessen an der Gesamtzahl der yezidischen Bevölkerung im Irak ist hiervon jedoch, wie aufgezeigt, statistisch nur ein Yezide von 250 betroffen. Diese Häufigkeit ist nicht nur nicht geeignet, die Annahme einer Gruppenverfolgung zu rechtfertigen. Sie dokumentiert vielmehr darüber hinaus, dass der einzelne Angehörige der Gruppe der Yeziden ganz deutlich weniger als überwiegend wahrscheinlich von einem konkreten Verfolgungseingriff betroffen ist, sofern nicht Besonderheiten des Einzelfalles ausnahmsweise eine andere Betrachtung gebieten. Solche Besonderheiten liegen im Falle des Klägers - was jedenfalls seine hier allein in Betracht zu ziehende voraussichtliche künftige Lebenssituation betrifft - nicht vor.

Schon im Ansatz nicht flüchtlings- bzw. abschiebungsschutzrechtlich erheblich wäre es dagegen, wenn der Kläger im Falle einer jetzigen Rückkehr in sein Heimatland zum einen wegen Desertion (hier in Form des unerlaubten Fernbleibens von seiner Einheit) und andererseits womöglich wegen des Vorwurfs, für den Tod seiner beiden Kameraden verantwortlich zu sein, belangt werden würde. In beiden Fällen würde es sich nämlich nicht um eine "politische" Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und damit zugleich um einen Fall des § 60 Abs. 6 AufenthG, wonach die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Abs. 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegensteht (vgl. zum Ausschluss auch eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch diese Vorschrift u.a. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. Februar 1995 - 1 S 3202/94 -, AuAS 1995, 186 ff.; VG München, Urteil vom 17. März 1998 - M 6 S 98.70143 -, zit. n. juris; VG Ansbach, Urteil vom 4. Oktober 2001 - AN 5 K 01.30781 -, zit. n. juris), handeln. Dabei sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger in diesem Falle, etwa wegen seiner yezidischen Religionszugehörigkeit, tatsächlich, wie wiederum schriftsätzlich wohl nahegelegt werden soll, einer womöglich verschärften Strafverfolgung und Bestrafung unterzogen, also mit einem sog. Politmalus belegt werden würde, was ggf. eine abweichende Betrachtungsweise rechtfertigen könnte. Erkenntnisse darüber, dass Yeziden im Irak generell im Rahmen eines Strafverfahrens im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen benachteiligt werden, liegen jedenfalls nicht vor.

Nur am Rande ist dennoch anzumerken, dass der Kläger nach Einschätzung des Gerichts mit einer Strafverfolgung wegen Tötung seiner Kameraden auch ohnehin nicht zu rechnen hätte. Dass ihm eine solche Tat ernstlich angelastet worden wäre, hatte er weder gegenüber dem Bundesamt noch hat er dergleichen in der mündlichen Verhandlung behauptet. Schon im Rahmen der Bundesamtsanhörung hatte der Kläger vielmehr darauf hingewiesen, dass "der Mord an den beiden noch nicht aufgeklärt worden sei". Davon, dass er wegen dieses Ereignisses schon konkret in Verdacht geraten wäre, wie er schriftsätzlich hat vortragen lassen, war dagegen nicht die Rede gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dann zwar zunächst erklärt, man habe ihm "das ganze in die Schuhe geschoben". Allerdings sei nicht nur er, sondern es seien auch andere vernommen worden, man habe sie vernommen, um die Vorgänge aufzuklären. Als er ausgereist sei, seien die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen gewesen. Man habe aber nicht wissen können, was sich daraus ergeben würde.

Namentlich aufgrund dieser letzteren Äußerungen bezweifelt das Gericht nicht, dass der Kläger - wenn überhaupt - nicht mehr und nicht weniger als andere an der seinerzeitigen Aktion beteiligt gewesene Angehörige seiner Einheit gleichsam nur routinemäßig, in der Tat zur (in solchen Fällen stets gebotenen und üblichen) weiteren Sachaufklärung befragt worden war, ohne dass man ihn indessen persönlich beschuldigt hätte, die Tat begangen zu haben. Gegen die Annahme, dass gegen ihn tatsächlich ein solcher Vorwurf erhoben worden sein könnte, spricht vor allem der Umstand, dass der Kläger in der Folgezeit augenscheinlich mit keinerlei Beschränkungen (Arrest, Ausgehverbot oder sonstigen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit) überzogen worden war, vielmehr statt dessen sogar noch Urlaub erhalten hatte. Das Gericht ist davon überzeugt, dass so nicht verfahren worden wäre, insbesondere die Gewährung eines Urlaubs nicht in Betracht gekommen wäre, wenn auch nur ansatzweise der Verdacht bestanden hätte, der Kläger könnte tatsächlich seine Kameraden getötet haben. Dies bedarf keiner weiteren Erörterung. [...]