LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.04.2011 - L 20 AY 170/10 B ER, L 20 AY 171/10 B - asyl.net: M18675
https://www.asyl.net/rsdb/M18675
Leitsatz:

1. Unabweisbar gebotene Leistungen bei Aufenthalt unter Verstoß gegen räumliche Beschränkung gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG sind in der Regel Mittel, um so schnell wie möglich an den rechtmäßigen Aufenthaltsort zurückkehren zu können. Ein Ausnahmefall liegt jedoch bei Reiseunfähigkeit vor, insoweit entspricht die Höhe der Leistungen denjenigen des § 1a AsylbLG, d. h. Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG abzüglich des Taschengeldes und angesichts der ersichtlichen Behandlungsbedürftigkeit Krankenhilfe gemäß § 4 AsylbLG.

2. Zur örtlichen Zuständigkeit nach § 10a AsylbLG.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Verteilungsverfahren, örtliche Zuständigkeit, Reisefähigkeit, unabweisbar gebotene Leistungen, Taschengeld,
Normen: AsylbLG § 11 Abs. 2, AsylbLG § 1a, AsylbLG § 4, SGG § 86b Abs. 2 S. 2, AsylbLG § 10a Abs. 1, AsylVfG § 50 Abs. 4, AsylbLG § 10a Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist in dem aus der Tenorierung ersichtlichen Umfang auch begründet. Lediglich in diesem Umfang liegen die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG vor, sind mithin ein Anordnunganspruch und -grund im Sinne von §§ 86b Abs. 2 S. 4. SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht worden.

1. Zeitraum vom 15.09.2010 bis 31.03.2011

Für diesen Zeitraum geht der Senat davon aus, dass der Antragsteller nach Erschöpfung der Kapazitäten für das Bundesland Nordrhein-Westfalen ("Königsteiner Schlüssel") im so genannten "EASY'"-Verfahren der Aufnahmeeinrichtung Zirndorf (so die durch das Sozialgericht beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge telefonisch eingeholte Auskunft) zugewiesen wurde. Dabei weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer ordnungsgemäßen Verteilung bzw. Zuweisung sich die örtliche Zuständigkeit nach § 10a Abs. 1 AsylbLG bestimmt. Angesichts des Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin kommt gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG für den Fall, dass der Antragsteller sich außerhalb des ihm zugewiesenen Aufenthaltsortes aufhält, lediglich die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe durch die für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde (hier die Antragsgegnerin) in Betracht.

Insoweit ist das Sozialgericht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu Recht davon ausgegangen, dass - angesichts der Zusage der Antragsgegnerin, bis Ende November 2010 Leistungen gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG zu gewähren - jedenfalls ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht war. Die (zeitlich) weitergehende Verpflichtung durch den Senat trägt dem eingetretenen Zeitablauf Rechnung. Im Übrigen hält der Senat es für geboten, die im Fall des Antragstellers "unabweisbar gebotene Hilfe" näher zu konkretisieren. Mag in der Regel diejenige Hilfe ausreichen, die dem Leistungsberechtigten mangels eigener Mittel und Möglichkeiten zu gewähren ist, um so schnell wie möglich an den rechtmäßigen Aufenthaltsort zurückkehren zu können (vgl. etwa Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 11 Rn. 10), liegt wegen der zunächst streitigen, zwischenzeitlich aber glaubhaft gemachten Reiseunfähigkeit vorliegend ein begründeter Ausnahmefall (vgl. hierzu Hohm a.a.O.) vor, der eine darüber hinausgehende Leistungspflicht begründet. Der Senat hält insoweit Sachleistungen im Umfang der gemäß § 1a AsylbLG zu gewährenden Leistungen (mithin Leistungen gemäß § 3 AsyIbLG abzüglich des insoweit zu gewährenden Barbetrages/Taschengeldes) sowie - angesichts der ersichtlichen Behandlungsbedürftigkeit - Krankenhilfe gemäß § 4 AsylbLG für erforderlich. Hingegen vermag der Senat hinsichtlich einer Unterbringung des Antragstellers schon eine Eilbedürftigkeit nicht nachzuvollziehen. Dies ergibt sich bereits aus der zur Glaubhaftmachung seines Begehrens vorgelegten Erklärung seiner Schwester, der Antragsteller könne mietfrei bei ihr wohnen.

2. Zeitraum ab 01.04.2011

Ausweislich der Mitteilung der Bezirksregierung Arnsberg vom 01.04.2011 wurde der Antragsteller aufgrund der ihm attestierten Dauerreiseunfähigkeit und des Angewiesenseins auf die Unterstützung durch die Familie erneut in das Verteilungsverfahren einbezogen und nach Nordrhein-Westfalen verteilt. Daher spricht Einiges dafür, dass eine ggf. zuvor erfolgte Zuweisung nach Zirndorf hinfällig geworden ist. Das landesinterne Verteilungsverfahren gemäß 50 Asylverfahrensgesetz (AsyIVfG) ist noch nicht abgeschlossen, die Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde (vgl. § 50 Abs. 4 AsylVfG) steht noch aus. Insoweit dürfte im Grundsatz die Vorschrift des § 10a Abs. 1 S. 2 AsylbLG greifen, wonach im Übrigen die Behörde zuständig ist, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält.

Der Senat hält jedoch unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes höhere Leistungen als solche entsprechend 1a AsylbLG (vgl. II. 1.) nicht für geboten. In einem Hautsacheverfahren wird - neben den ausländerrechtlichen Fragen - u.a. noch zu prüfen sein, ob sich der Antragsteller im Sinne von 1a Nr. 1 AsylbLG in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben hat, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass das Asylverfahren des Antragstellers erst noch durchzuführen sein wird.

Auch eine ggf. erforderliche Folgenabwägung (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05) geht insoweit unter Berücksichtigung der bekannten Umstände des Einzelfalls einstweilen zu Lasten des Antragstellers aus. Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass insoweit zum einen die unklare ausländerrechtliche Situation und zum anderen die nur eingeschränkt aussagekräftige Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes Berücksichtigung gefunden haben, und diese Überlegungen somit nicht ohne Weiteres auf Bewilligungszeiträume nach erfolgter (neuerlicher) Zuweisung zu übertragen sein werden.

Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin Leistungen entsprechend der durch den Senat ausgesprochenen Verpflichtung bei gleichbleibenden Verhältnissen schon zur Vermeidung weiterer (Folge-) Verfahren auch über den 30.04.2011 hinaus erbringen wird. [...]