VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 31.03.2011 - W 7 K 10.30164 - asyl.net: M18712
https://www.asyl.net/rsdb/M18712
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK für einen Tschetschenen, da ihm in der Russischen Föderation die Einberufung zum Wehrdienst bevorsteht. Rekruten haben in der russischen Armee nach wie vor unter dem System der sog. "Dedowschtschina" zu leiden, müssen also mit Misshandlung durch Vorgesetzte oder ältere Rekruten rechnen. Davor ist gegenwärtig kein ausreichender Schutz gewährleistet.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Russische Föderation, Tschetschenen, Verfolgungsgrund, Militärdienst, Folter, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1, EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Diese Gefahr droht jedoch dem Kläger bei einer Rückkehr in die Russische Föderation, da er dann mit einer Einberufung zum Wehrdienst rechnen muss. Das Gericht hält insoweit an seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung fest.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er bislang nicht einberufen worden sei, weil er als Student wie üblich zurückgestellt worden sei. Bei einer Rückkehr wird er aber wehrpflichtig, da die allgemeine Wehrpflicht für Männer im Alter zwischen 18 und 28 Jahren besteht. Da der Kläger sich bei einer Rückkehr zunächst um eine Registrierung bemühen muss, wird den Behörden auch bekannt, dass er sich wieder in der Russischen Föderation befindet und der Zurückstellungsgrund des Studiums weggefallen ist. Rekruten haben aber in der russischen Armee nach wie vor unter dem System der sog. "Dedowschtschina" zu leiden, müssen also mit einer Misshandlung durch Vorgesetzte oder ältere Rekruten rechnen. Dies ergibt sich u.a. aus sämtlichen in das Verfahren eingeführten Lageberichten des Auswärtigen Amtes.

Daraus geht hervor, dass jüngere Rekruten von älteren Soldaten und Vorgesetzten unterdrückt und häufig geschlagen und misshandelt werden. Die Rekruten haben teilweise massive Verletzungen zu erleiden, die in Einzelfällen sogar zum Tod geführt haben. Den Rekruten wird oftmals ärztliche Hilfe verweigert. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen in der russischen Armee ist ausreichender Schutz vor den Foltermaßnahmen der älteren "Kameraden" nicht gewährleistet. Nach der Auskunftslage wird das Problem der "Dedowschtschina" von den zuständigen Militärstaatsanwaltschaften nicht in ausreichendem Maße und mit der nötigen Konsequenz verfolgt.

Beim Kläger liegt somit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vor. Die Beklagte war daher zu dessen Feststellung zu verpflichten und der Bescheid vom 14. Juli 2010 im tenorierten Umfang aufzuheben. [...]