OVG Mecklenburg-Vorpommern

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Zitieren als:
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 03.03.2011 - 2 L 145/10 - asyl.net: M18800
https://www.asyl.net/rsdb/M18800
Leitsatz:

Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird durch § 27 Abs. 3 S. 1 AufenthG nicht verdrängt.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Familiennachzug, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Berufungszulassungsantrag, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Sicherung des Lebensunterhalts, Ausweisungsgrund, Schengen-Visum, Besuchsvisum, Aufenthaltszweck, Kontingentflüchtlinge, Beweiswürdigung,
Normen: AufenthG § 27 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 1a, GG Art. 6, VwGO § 108 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Kläger begehren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 9. Juni 2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Zwar habe die Beklagte trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sich nicht auf diese Vorschrift gestützt und insoweit auch kein Ermessen ausgeübt. Es fehle aber an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG. Der Lebensunterhalt des Klägers sei nicht gesichert, weil er ihn nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne. Auch läge ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 a AufenthG vor, weil der Kläger bei der Beantragung eines Schengen-Visums bewusst falsche Angaben über seinen Aufenthaltszweck gemacht habe. Ein Ausnahmefall, aufgrund dessen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen wäre, liege nicht vor. Im Hinblick auf den Schutz des Art. 6 GG sei dem Kläger eine Rückkehr mit seiner Familie nach Weißrussland zumutbar Die Kläger hätten sich nicht ausreichend um die Sicherung ihres Lebensunterhalts bemüht.

Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. [...]

Die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung, die Versagung habe nicht auf die allgemeine Erteilungsregelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützt werden können, weil diese in Fällen eines Familiennachzugs durch § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verdrängt werde, vermag an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung keine Zweifel zu begründen. Weder aus der Systematik der Vorschriften selbst noch aus ihrem Sinn und Zweck lässt sich das behauptete Exklusivitätsverhältnis herleiten. Vielmehr gilt die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, die auf die Sicherung des Lebensunterhalts des nachziehenden Ausländers, nicht auf die Einkünfte desjenigen, zu dem der Familiennachzug stattfindet (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), abstellt, grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit oder Anwendung des Ausschlussgrundes nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand Okt. 2010, § 27 Rn. 74). Denn auch § 27 Abs. 3 AufenthG wird nicht dadurch verdrängt, dass in den gesetzlich geregelten Fällen zwingende (§§ 28 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3, 29 Abs. 4, 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AufenthG) oder fakultative Ausnahmen (§§ 28 Abs. 1 S. 4, 30 Abs. 3, 33 Satz 1 AufenthG) von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts des nachziehenden Familienangehörigen vorgesehen sind (vgl. Dienelt, in: Renner, AusländerR, 9. Aufl. 2011, § 27 Anm. 27.3.6). Vielmehr wird, wenn der Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch die Ehefrau bereits bei der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt wurde, er nicht zusätzlich noch von § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 20/09 -, zit. nach juris Rn. 27).

Auch mit seinem Vorbringen, das erstinstanzlich Gericht habe die Regelungssystematik der Absätze 1 und 3 des § 5 AufenthG verkannt, dringt der Kläger nicht durch. Soweit er sich in diesem Zusammenhang auf das bereits behandelte Spezialitätsverhältnis zu § 27 Abs. 3 AufenthG bezieht, wird dem - aus den oben ausgeführten Gründen - nicht gefolgt. Auch die Überlegungen zu atypischen Fällen i.S. des § 5 Abs. 1 AufenthG helfen nicht weiter, denn - wie klägerseits ausdrücklich eingestanden wird - wird auch von ihm nicht behauptet, dass ein atypischer Fall hier vorliege. Im Übrigen erschließt sich dem Senat auch die behauptete Ermessensunterschreitung durch die Beklagte nicht. Wenn auch mit teilweise unpräzisen Formulierungen hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 16. Juli 2007 im mittleren Absatz umfangreiche Erwägungen zum Absehen von den Erfordernissen der Regelerteilungsvoraussetzungen angestellt.

Auch bedurfte es keiner weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Ermessenserwägungen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, nachdem bereits die Versagung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als tragfähig anerkannt worden ist. Die mangelnde Entscheidungserheblichkeit wird auch in dem angefochtenen Urteil auf Seite 9 angeführt.

Der weitere Einwand, dem Kläger könne nicht entgegengehalten werden, dass Ehefrau und Kind als Kontingentflüchtlinge von der Möglichkeit Gebrauch machen, in Deutschland Wohnsitz zu nehmen, genügt dem Darlegungserfordernis nach § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. Eine Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen zur Zumutbarkeit sowohl für den Kläger als auch für seine Familie, die familiäre Lebensgemeinschaft gemeinsam im Herkunftsland fortzusetzen, und die Annahme, eine Verletzung von Rechten aus Art. 6 GG scheide aus, findet nicht statt. Auch die Einwände des Klägers gegen die Abschiebungsandrohung verfangen dementsprechend nicht. Soweit sich der Kläger gegen die Ausführungen im angegriffenen Urteil zum Vorliegen eines Ausweisungsgrundes (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) wendet, ist die gerichtliche Überzeugungsbildung gemessen an dem Zulassungsvorbringen nicht zu beanstanden. [...]