VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 26.05.2011 - 21 K 2034/11.A - asyl.net: M18838
https://www.asyl.net/rsdb/M18838
Leitsatz:

Asylanerkennung wegen politischer Verfolgung in Syrien. Eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG ist trotz Einreise über Griechenland gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG möglich, da das BAMF für die Bundesrepublik Deutschland das Selbsteintrittrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ausgeübt hat.

Schlagwörter: Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Syrien, Kurden, politische Verfolgung, Griechenland, Dublinverfahren, sichere Drittstaaten, Selbsteintritt
Normen: VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, GG Art. 16a Abs. 1, AsylVfG § 26a Abs. 1 S. 3 Nr. 2, AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. März 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Dieser hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG und gemäß § 3 Abs. 4 AsylVfG auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). [...]

In Anwendung dieser Maßstäbe und unter Würdigung der beigezogenen Verfahrensakten sowie des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Anspruchs auf Asyl erfüllt, weil er Syrien im August 2010 aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen hat.

Das Gericht geht hierbei von folgendem Sachverhalt aus: Der Kläger studierte an der Universität in ... das Fach ... und warb gemeinsam mit kurdischen und arabischen Studenten unter der Studentenschaft für Verständnis zwischen den Volksgruppen und für gleiche Chancen für Kurden und Araber. Am 6. November 2009 wurde er vom Geheimdienst aus seiner Wohnung abgeholt und eine Woche inhaftiert. Dabei wurde er verhört und gefoltert. Bei den Prüfungen im Dezember 2009 fiel er in allen Fächern durch. Der Dekan der Universität teilte ihm mit, dass dies auf Anweisung des Geheimdienstes geschehen sei. Er sollte eine Liste derjenigen Kommilitonen machen, die an den Diskussionen teilgenommen hätten. Am 16. März 2010 organisierte er um 10.55 Uhr während einer Vorlesung eine Schweigeminute für die Opfer von Halabja. Danach warnte ihn ein Freund, dass der Geheimdienst auf ihn warte. Er versteckte sich zunächst bei Verwandten, bis sein Vater über Kontakte die Ausreise organisierte.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien bereits politische Verfolgung erlebt und deshalb das Land verlassen hat. Es ist nicht feststellbar, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung sein Verfolgungsschicksal widerspruchsfrei vorgetragen, das nach der Überzeugung des Gerichtes den Tatsachen entspricht. Er war in der Lage, auf Nachfragen und Vorhalte in der mündlichen Verhandlung angemessen zu reagieren, und vermochte den Eindruck zu vermitteln, dass er die von ihm vorgetragenen Geschehnisse tatsächlich erlebt hat. Zu diesem Eindruck trägt auch bei, dass der Kläger nicht nur widerspruchsfrei vorgetragen hat, sondern sein Vorbringen frei war von Steigerungen oder Übertreibungen. Des weiteren konnte er vermeintliche Widersprüche sachlich aufklären. Dies gilt für die Dauer der Inhaftierung und die Verhöre ebenso wie zur Situation seines Vaters. Er erklärte auch, dass er die ärztliche Bescheinigung über seinen Vater organisiert und von dem Arzt in ... per Email zugeschickt bekommen habe. Des weiteren räumte er ohne Umschweife ein, dass er ein einziges Mal die Unwahrheit gesagt habe, nämlich als er bei der Befragung durch das Bundesamt verneinte, bei der Einreise kontrolliert worden zu sein. Er legte nachvollziehbar dar, dass er Furcht vor einer Abschiebung nach Griechenland oder zurück nach Syrien hatte. Das Gericht hält das Vorbringen des Klägers insgesamt für glaubhaft.

Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG trotz Einreise über Griechenland ist gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG möglich, da das Bundesamt das Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung ausgeübt hat (vgl. Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, Kommentar, § 26a, Rdnr. 18; Funke/Kaiser, Gemeinschaftskommentar AsylVfG, § 26a, Rdnr. 120). [...]