VG Frankfurt/Oder

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 31.08.2011 - 7 L 235/11.A [ASYLMAGAZIN 2011, S. 389] - asyl.net: M18986
https://www.asyl.net/rsdb/M18986
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Italien, weil nicht Italien, sondern Griechenland nach der Dublin II-VO zuständig ist. Auch wenn Italien auf das Übernahmeersuchen nicht geantwortet hat, greift die sog. Zustimmungsfiktion des Art. 20 Abs. 1 Bst. c Dublin II-VO hier nicht, da in dem Ersuchen an Italien der Hinweis auf den Reiseweg über Griechenland fehlte, wovon das BAMF spätestens seit der Anhörung des Antragstellers auch Kenntnis hatte. Die vollständigen Angaben zum Reiseweg gehören zu den erforderlichen Angaben bei einem Wiederaufnahmegesuch. Liegt eine Verletzung dieser Obliegenheiten aus Art. 20 Abs. 1 Bst. a Dublin II-VO vor, so kann die Fiktionswirkung des Art. 20 Abs. 1 Bst. c Dublin II-VO nicht greifen.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Italien, Griechenland, Refoulement, Abänderungsantrag, Zustimmungsfiktion, Anhörung
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 5, VwGO § 80 Abs. 7 S. 1, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1 S. 1, VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1 Bst. c, VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1 Bst. a, VO 343/2003 Art. 17 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Der Zulässigkeit des Antrags steht auch § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Der dort vorgesehene Ausschluss des Rechtswegs über § 80 VwGO gilt nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, soweit hier von Bedeutung, nur für den Fall der Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG), was hier nicht gegeben ist. Dies gilt umso mehr, als das BVerfG sogar im Falle der Anwendbarkeit des § 27a AsylVfG Anlass für eine Untersuchung gesehen hat, ob und ggf. welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der VO (EG) Nr. 343/2003 - sog. Dublin II-VO - zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist (vgl. etwa BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09 -, juris).

Der Antrag ist auch begründet. Die Voraussetzungen von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 27a AsylVfG für eine Abschiebung des Antragsteilers nach Italien liegen nicht vor, weil Italien für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig ist und der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag jedenfalls aus den im Bescheid vom 16. März 2011 genannter Gründen nicht unzulässig ist.

Zuständig für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers ist nach derzeitigem Kenntnisstand Griechenland. Dies ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Dublin II-VO, da der Antragsteller nach seinen Angaben, die bislang nicht in Zweifel gezogen wurden, auf seinem Reiseweg aus einem Drittstaat (Türkei) kommend erstmals die Grenze eines Mitgliedstaates (Griechenland) illegal überschritten hat. An dieser Zuständigkeitsbestimmung ändert sich auch nichts mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) der Dublin II-VO. Zwar hat die Bundesrepublik Deutschland unter dem 22. Februar 2011 ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet, das innerhalb der gegebenen Frist von 14 Tagen nicht beantwortet wurde. Der Eintritt der Fiktionswirkung des Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) der Dublin II-VO und damit der Begründung einer Zuständigkeit von Italien setzt aber voraus, dass in dem Wiederaufnahmegesuch Hinweise enthalten sind, aus denen der ersuchte Mitgliedstaat entnehmen kann, dass er zuständig ist (Art. 20 Abs. 1 Buchst. a) der Dublin II-VO). Dies kann sinnvoll nur dahin verstanden werden, dass die entsprechenden Hinweise richtig und vollständig sind.

An letzterem fehlte es in dem Wiederaufnahmegesuch vom 22. Februar 2011 Dort ist lediglich der für sich genommen zutreffende Hinweis enthalten über den Treffer in der Eurodac-Datenbank betr. die Registrierung des Antragstellers in Italien, nicht jedoch der Hinweis auf den übrigen Reiseweg, insbesondere über die Ersteinreise in Griechenland. Dass die vollständige Angabe des Reisewegs zu der erforderlichen Angaben bei einem Wiederaufnahmegesuch gehört, zeigt das hierbei gemäß Art. 17 Abs. 3 Satz 2 der Dublin II-VO in Verbindung mit den hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen zu verwendende Formular; dieses weist eine Rubrik "Reiseweg" aus, die im konkreten Fall des Antragstellers nicht ausgefüllt wurde. Damit war für die italienischen Behörden aus dem Wiederaufnahmegesuch nicht ersichtlich, dass Griechenland im vorliegenden Fall möglicherweise für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig ist.

Der vorstehenden Bewertung steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt des Wiederaufnahmegesuchs am 22. Februar 2011 der Antragsteller anlässlich einer polizeilichen Erstvernehmung am 21. Februar 2011 selbst noch keine vollständigen Angaben zu seinem Reiseweg gemacht hatte, so dass die Angaben im Wiederaufnahmegesuch zu diesem Zeitpunkt noch dem Kenntnisstand des Bundesamtes entsprachen. Spätestens aber mit der Anhörung des Antragstellers am 2. März 2011 und den dort gemachten Angaben war dem Bundesamt deutlich, dass nach dem Reiseweg des Antragstellers eine Zuständigkeit Griechenlands für die Bearbeitung des Asylantrags zumindest ernsthaft in Betracht kam. Die Angaben im Wiederaufnahmegesuch hätten daher jedenfalls ergänzt werden müssen, da die Italien gesetzte Frist für die Beantwortung erst am 8. März 2011 auslief, möglicherweise kam hier auch eine Rücknahme des Wiederaufnahmegesuchs in Betracht. Liegt damit eine Verletzung der Obliegenheiten aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. a) der Dublin II-VO vor, so kann die Fiktionswirkung des Art. 20 Abs. 1 Buchst, c) der Dublin II-VO nicht eingreifen (so auch Bay. VG Aasbach, Beschluss vom 9. März 2011 - AN 11 E 11.30089 -. n. v.; siehe auch Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl. 2009, Anm. K 11 zu Art. 19).

Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass einer Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland - ungeachtet des Umstandes, dass ein Austausch des Zielstaates im Bescheid vom 16. März 2011 rechtlich nicht möglich ist - der vom Bundesministerium des Innern verfügte befristete generelle Abschiebungsstopp von Drittstaatsangehörigen entgegensteht. [...]