VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 17.03.2011 - 6 K 1259/10.A - asyl.net: M19030
https://www.asyl.net/rsdb/M19030
Leitsatz:

1. Eine Asylanerkennung scheidet aus, da Griechenland als Mitgliedstaat der EU als sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a AsylVfG gilt. Hieran hat sich auch durch die im Rahmen von Dublin-Verfahren aufgeworfenen Aspekte von Standards griechischer Asylverfahren und der Unterbringung von Asylbewerbern nichts geändert.

2. Die Provinz Kandahar gehört zu den unter Sicherheitsaspekten kritischsten Provinzen Afghanistans, ein Großteil der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle konzentriert sich nach der Auskunftslage auf diese Provinz. Das Gericht lässt ausdrücklich offen, ob in der Provinz Kandahar, der Heimatregion der Kläger, ein bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG herrscht, denn die Kläger können als Eheleute im Raum Kabul internen Schutz gemäß Art. 8 QRL finden.

3. Für die Klägerin zu 2. liegt aber ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor, da sie in Anbetracht der Trennung von dem Kläger zu 1. (ihrem Ehemann) als alleinstehende Frau mit einem Kleinkind zurückkehren müsste. Unter den gegenwärtigen Umständen in Afghanistan erscheint dies nicht möglich; zudem ist nicht ersichtlich, wie sie in dort ihren Lebensunterhalt für sich und ihr Kind sichern soll.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Afghanistan, Abschiebungsverbot, Dublin II-VO, sichere Drittstaaten, Griechenland, Kandahar, Kabul, Gefährdungsdichte, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Sicherheitslage, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Existenzminimum, alleinstehende Frauen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylVfG § 26a, AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

Eine Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG scheidet bereits aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides, auf die Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylVfG), aus. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass Griechenland als Mitgliedstaat der Europäischen Union als sicherer Drittstaat i.S.d. § 26a des AsylVfG gilt. Hieran hat sich auch durch die im Rahmen der Zuständigkeitsfragen nach dem Dublin-II-Abkommen aufgeworfenen Aspekten nach den Standards griechischer Asylverfahren und der Unterbringung von Asylbewerbern nichts geändert.

Die Kläger, die sich auf dieselben Asylgründe berufen, haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 AsylVfG. [...]

Das Bundesamt hat in seiner angegriffenen Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Asylgründe der Kläger zum einen eine Anknüpfung an ein Asylmerkmal vermissen lassen und zum anderen wegen Oberflächlichkeit und Substanzlosigkeit als unglaubhaft zu bewerten sind. Diese Ausführungen macht sich das Gericht zu eigen und nimmt gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die Begründung in der Bundesamtsentscheidung Bezug. Lediglich ergänzend sei zudem darauf hingewiesen, dass es angesichts der vorgetragenen überhasteten Ausreise aus Afghanistan merkwürdig erscheint, dass die Kläger die benötigten hohen Geldmittel für ihre Ausreise sowohl von Verwandten in Afghanistan als auch von solchen in Deutschland haben rechtzeitig aufbringen können. [...]

Die Kläger haben zunächst keinen Anspruch auf Feststellung eines vorrangig zu prüfenden Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 in der geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dient der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchstabe c der Qualifikationsrichtlinie.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht trotz geringfügig abweichender Formulierung den Vorgaben des Art. 15 Buchstabe c der Qualifikationsrichtlinie. [...]

Ausgehend von diesen rechtlichen Rahmenbedingungen lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob in der Heimatregion der Kläger, nämlich der Provinz Kandahar, ein bewaffneter Konflikt in dem beschriebenen Ausmaß herrscht. Denn hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Provinz Kandahar zu einer unter Sicherheitsaspekten kritischsten Provinzen Afghanistans gehört und sich nach der Auskunftslage ein Großteil der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle auf diese Provinz konzentriert (vgl. Lageberichte des AA vom 27. Juli 2010 und vom 9. Februar 2011 (Stand: Februar 2011); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 11. August 2010; UNHCR, Gutachterliche Stellungnahme für den Bayerischen Gerichtshof vom 30. November 2009).

Ob sich hieran im Zuge der militärischen Operationen der ISAF im letzten Jahr Wesentliches geändert hat, kann dahinstehen. Denn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kann nicht angenommen werden, weil im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt die Kläger als Eheleute jedenfalls im Raum Kabul internen Schutz gemäß Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie finden können. Auch in Anbetracht der dort herrschenden Lebensbedingungen besteht hier eine relative Sicherheit. [...]

In Anbetracht der beruflichen Ausrichtung des Klägers zu 1. als KFZ-Mechaniker ist es ihm und seiner Familie auch möglich, in Kabul das Existenzminimum zu sichern. Zudem ist bei den Klägern aus besonderen Gründen auch keine erhöhte Gefahrenlage anzunehmen.

Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Absätze 2 und 3 AufenthG ergeben sich keine Anhaltspunkte. Gegenteiliges haben auch die Kläger nicht vorgetragen.

Gleiches gilt auch für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Die Kläger können sich nur bezogen auf die Klägerin zu 2. auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Nach dieser Bestimmung steht einem Ausländer Abschiebungsschutz zu, wenn für ihn im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. [...]

Eine den Anforderungen des Satzes 1 der Vorschrift unmittelbar genügende individuelle, gerade also in den persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen der Kläger angelegte Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ist jedenfalls vorliegend für den Kläger zu 1. zu verneinen. Insoweit wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Bezogen auf die Klägerin zu 2. ist hingegen eine extreme Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bejahen. Denn in Anbetracht der Trennung von dem Kläger zu 1. als ihrem Ehemann ist davon auszugehen, dass sie als alleinstehende Frau mit einem Kleinkind in ihr Heimatland zurückkehren müsste. Unter den gegenwärtigen Umständen in Afghanistan erscheint dies angesichts ihres Geschlechts und der Lebenssituation nicht möglich. Zudem ist nicht ersichtlich, wie die Klägerin zu 2) in Afghanistan den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind sichern soll. [...]