Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (rezidivierende paranoide Psychose). Das Gesundheitssystem Aserbaidschans ist in einem relativ schlechten Zustand. Es besteht kein funktionierendes staatliches Krankenversicherungssystem; eine kostenlose medizinische Versorgung gibt es nur auf dem Papier. Kostengünstige Ersatzmedikation wird aus Russland, der Türkei oder Pakistan eingeführt, ist jedoch oftmals von minderwertiger Qualität.
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Dem Antrag wird entsprochen, als festgestellt wird, dass die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Aserbaidschan vorliegen. [...]
Der Antragsteller leidet gemäß des psychologisch-psychotraumatolgischen Fachgutachtens der TraumaTransformConsult GmbH vom 28.02.2011 an einer rezidivierenden paranoiden Psychose mit Verdacht auf andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Das Gutachten wurde nach Durchführung und Auswertung eines diagnostischen Gespräches und Durchführung mehrerer zur Absicherung notwendiger Tests erstellt und ist dabei auch auf die im Erstverfahren festgestellten Widersprüche bzw. Ungereimtheiten eingegangen.
Das Gesundheitssystem Aserbaidschans ist in einem relativ schlechten Zustand.
Krankenhäuser befinden sich in erster Linie in Baku. Dies gilt ebenfalls für Spezialkliniken wie Kinderkrankenhäuser, Herzkliniken und psychiatrische Einrichtungen.
Die hygienischen Verhältnisse dort sind oft noch unzureichend.
Die gesundheitliche Versorgung außerhalb der größeren Städte beschränkt sich in der Regel auf eine ambulante Versorgung. Die Regierung ist bestrebt, durch neue Krankenhäuser - auch außerhalb größerer Städte - und moderne Ausstattung eine Verbesserung herbeizuführen. Noch dringender ist aber die Verbesserung der Ausbildung des Klinikpersonals. Es besteht kein funktionierendes staatliches Krankenversicherungssystem; eine kostenlose medizinische Versorgung gibt es nur auf dem Papier. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt (was den Krankentransport und die Aufnahme in ein staatliches Krankenhaus einschließt); mittellose Patienten werden minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen "auf eigenen Wunsch" entlassen, wenn sie die Behandlungskosten nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder durch die Familie.
Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildet sich derzeit ein privater medizinischer Sektor heraus, der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet und mit privaten Krankenversicherungen kooperiert.
Der größte Teil der Bevölkerung kann sich eine solche medizinische Versorgung jedoch nicht leisten.
Alle einschlägigen auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente sind erhältlich oder können beschafft werden. Kostengünstigere Ersatzmedikation wird aus Russland, der Türkei oder Pakistan eingeführt, ist jedoch oftmals von minderwertiger Qualität (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, 13.10.2011, Gz.: 508-516.80/3 AZE).
Es ist daher davon auszugehen, dass bei der gegenwärtig sehr angespannten medizinischen Versorgungssituation in Aserbaidschan eine hinreichende Versorgung des Antragstellers mit Medikamenten und Behandlungen nicht zu erwarten ist, so dass ihm bei Rückkehr nach Aserbaidschan gegenwärtig und auf absehbare Zukunft eine gravierende Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation drohen würde bzw. sogar Lebensgefahr bestehen würde. Eine Rückführung würde zudem (zusätzlich) gemäß Gutachten vom 28.02.2011 auf Grund der generalisierten Verfolgungsängste zu einer Eskalation der Symptomatik führen, wobei eine psychische Dekompensation einschließlich suizidaler Handlungsimpulse nicht auszuschließen sind.
Im vorliegenden Fall kann es im Übrigen dahingestellt bleiben, ob die dem Antragsteller in Aserbaidschan zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente ausreichen, um die drohende erhebliche Gesundheitsverschlechterung abzuwenden.
Vielmehr ist in seinem Falle unter Berücksichtigung der eingerichteten Betreuung zu erwarten, dass er nach Rückkehr in den Herkunftsstaat bereits erhebliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Alltagsprobleme hätte. Erschwerend kommt hinzu, dass er auf Grund des langjährigen Auslandsaufenthaltes (Ausreise 2004) kaum noch auf einen familiären Rückhalt zurückgreifen kann. Die Ehefrau lebt von ihm getrennt und ist zudem ebenfalls erkrankt, so dass auch diesbezüglich keine Unterstützung zu erwarten ist.
Daher ist davon auszugehen, dass es ihm nicht gelingt, sich ein zum Leben notwendiges wirtschaftliches Existenzminimum zu verschaffen und darüber hinaus die Medikamente und notwendigen Behandlungsmaßnahmen selbst zu finanzieren.
Somit ist festzustellen, dass ihm nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG droht. [...]