VG Darmstadt

Merkliste
Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 17.11.2011 - 6 K 1563/09.DA - asyl.net: M19254
https://www.asyl.net/rsdb/M19254
Leitsatz:

Der Anspruch auf Zahlung der Kosten aus einer Abschiebung verjährt gem. § 20 Abs. 1 S. 1 2. Alt. VwKostG nach vier Jahren. Neben der sechsjährigen Zahlungsverjährung nach § 70 Abs. 1 AufenthG ist diese ergänzend anwendbar.

Schlagwörter: Abschiebung, Abschiebungskosten, absolute Festsetzungsverjährung, sechsjährige Zahlungsverjährung, Auslandsaufenthalt, Meldepflicht, Verjährungsunterbrechung
Normen: VwKostG § 20 Abs. 1 S. 1 2. Alt., AufenthG § 70 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Denn der Anspruch der Beklagten auf Erstattung der mit Leistungsbescheid vom 07.10.2009 festgesetzten Abschiebungskosten nach §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 und 3 AufenthG ist nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG i.V.m. § 70 Abs. 2 AufenthG verjährt und damit nach § 20 Abs. 1 Satz 3 VwKostG erloschen. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG verjährt de Anspruch auf Zahlung der Kosen unabhängig von der ab Fälligkeit zu bestimmenden Frist spätestens mit Ablauf des vierten Jahres nach der Entstehung.

Die vierjährige absolute Festsetzungsverjährung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG ist neben der sechsjährigen Zahlungsverjährung nach § 70 Abs. 1 AufenthG ergänzend anwendbar. Sie wird nicht durch § 70 Abs. 1 AufenthG als lex specialis ausgeschlossen, da sich der Anwendungsbereich beider Verjährungsvorschriften nicht deckt. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Argumentation des Bay. VGH (Urt. v. 06.04.2011 - 19 BV 10.304 , Juris) und des VGH Bad.-Württ. (Urt. v. 30.07.2009 - 13 S 919/09 -, Juris) an (so auch ausführlich unter Darstellung der systematischen, teleologischen und historischen Auslegung VG Münster, Urt. v. 05.05.2011 - 8 K 61/10 -, Juris).

§ 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG und § 70 Abs. 1 AufenthG haben jeweils einen eigenständigen Bezugsrahmen. § 70 Abs. 1 AufenthG stellt nach seinem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitraum nach Fälligkeit der Forderung ab, die mit Bekanntgabe der Kostenentscheidung gemäß § 17 VwKostG eintritt, während die allgemeine Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG eine absolute Verjährungsfrist - anknüpfend an den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung nach § 11 Abs. 1 VwKostG - unabhängig von der Fälligkeit des Anspruchs vorgibt. Die aufenthaltsrechtliche Vorschrift erfasst damit als lex specialis nur die Zahlungsverjährung (bezüglich der Ansprüche nach § 37 Abs. 1 und 2 AufenthG); sie enthält keine Regelung der auf einen anderen Zeitpunkt abstellenden Festsetzungsverjährung.

Diese Auffassung steht auch im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Sie findet ihre Stütze in den Gesetzesmaterialien zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 83 Abs. 4 Satz 3 AuslG. Mit Art. 2 Nr. 14 des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26.05.1992 ist Abs. 4 des § 83 AuslG eingefügt worden; Abs. 4 Satz 3 AuslG entspricht § 70 Abs. 1 AufenthG. Laut Begründung des Gesetzentwurfs war der neue Absatz eine notwendige Ergänzung, um die Beitreibung von Zurückweisungs-, Zurückschiebungs- und Abschiebungskosten, insbesondere von Beförderungsunternehmen, zu erleichtern (BT-Drucksache 12/2002 S. 46). Mit der Wahl des Begriffs der Beitreibung brachte der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck, dass nur der Zeitraum für die Vollstreckung nach Fälligkeit des Anspruchs verlängert werden sollte. Die Auffassung, § 70 Abs. 1 AufenthG enthalte eine einheitliche sechsjährige Verjährungsfrist sowohl für die Zahlungs- als auch für die Festsetzungsverjährung, ist - wie oben ausgeführt - weder mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar noch ist eine derartige Auslegung im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers geboten,

Die Vorschrift des § 70 Abs. 1 AufenthG ist nach Sinn und Zweck von Verjährungsregelungen auch nicht dahingehend zu verstehen, dass zwar für die genannten Erstattungsansprüche die Zahlungsverjährung nicht bereits nach drei Jahren wie in § 20 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VwKostG vorgesehen, sondern erst nach sechs Jahren eintritt, § 70 Abs. 1 AufenthG aber eine abschließende Spezialregelung darstellt, die eine Festsetzungsverjährung ausschließt (Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: März 2010, II-§ 70, Rn. 6; vgl. auch Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen v. 04.11.2009 - 15-39 22.01-5; a.A. Hess. VGH, B. v. 18.01.2011 - 5 A 1302/10.Z - (als obiter dictum), Juris). Sinn und Zweck von Verjährungsregelungen sprechen gegen eine umfassende Regelung der Verjährung mit Sperrwirkung. Zu Recht ist hierzu ausgeführt worden, würde § 70 Abs. 1 AufenthG für die in § 67 Abs. 1 und 2 AufenthG genannten Kosten die ergänzende Anwendbarkeit einer gesetzlichen Regung der Festsetzungsverjährung sperren, so könnte die Behörde ohne konkrete zeitliche Schranke bis zur Grenze der Verwirkung Kostenansprüche geltend machen; der Beginn der Zahlungsverjährung wäre weitgehend dem Belieben der Behörde anheim gestellt. Diese Vorgehensweise wäre mit rechtstaatlichen Grundsätzen und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 23 Abs. 3 GG) nicht vereinbar. Denn auch das Rechtsinstitut der Verwirkung ist in ausländerrechtlichen Verfahren der Kostenhaftung als Korrektiv ungeeignet, da der Ausländer in der Regel nicht eine für die Verwirkung erforderliche Vermögensdisposition aufgrund eines von der Behörde geschaffenen Vertrauenstatbestandes getroffen hat (Bay. VGH, Urt. v. 06.04.2011 a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.07.2009, a.a.O.). So verhält es sich auch bei der im Sozialhilfebezug stehenden Klägerin. Die Festsetzungsverjährung soll entsprechend dem Sinn und Zweck von Verjährungsvorschriften nach einem bestimmten Zeitablauf dem Rechtsfrieden dienen und Rechtssicherheit herstellen. Nach einer bestimmten Zeit soll der Anspruchsverpflichtete die Sicherheit haben, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BVerwG, Urt. v. 24.02.2005 - 3 C 35.04 - Juris). Das Rechtsinstitut der Verjährung erfordert klar definierte Verjährungsvorschriften. Der Rückgriff auf § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG als absolute Fristbestimmung ist daher aus rechtsstaalichen Gründen sogar geboten.

Auch systematische Gründe sprechen nicht gegen eine ergänzende Anwendung der vierjährigen - gegenüber der sechsjährigen Zahlungsverjährung - kürzeren Festsetzungsverjährung. Die oben genannten Entscheidungen, denen die Kammer folgt, verweisen zutreffend auf die abgabenrechtlichen Vorschriften der §§ 169 Abs. 2 Satz. 1, 228 Satz 2 AO, die unterschiedlich lange Verjährungsfristen für die Festsetzung und Zahlung vorsehen. Dem öffentlichen Recht ist eine gegenüber der Zahlungsverjährung kürzere Festsetzungsverjährung also nicht fremd.

Über § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist das VwKostG grundsätzlich anwendbar, soweit das AufenthG keine abweichenden Vorschriften enthält. Zu den Auslagen im Sinne des § 1 Abs. 1 VwKostG gehören auch die Abschiebungskosten (BVerwG, Urt. v. 14.06.2005 - 1 C 15.04 - Juris). Wie oben ausgeführt, schließt der begrenzte Geltungsbereich des § 70 Abs. 1 AufenthG eine ergänzende Anwendung des § 20 Abs. 1 2. Alt. VwKostG daher nicht aus.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der mit Leistungsbescheid vom 07.10.2009 gehend gemachte Erstattungsanspruch für die Kosten der Abschiebung der Klägerin am 22.07.2004 nach § 66 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 1 AufenthG in Höhe von 17.812,95 EUR nach § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. VwKostG verjährt. Nach § 11 Abs. 1 VwKostG entsteht der Anspruch, wenn die gebührenpflichtige Handlung beendet ist, so dass zu diesem Zeitpunkt die Festsetzungsverjährung zu laufen beginnt. Im Falle der Abschiebung ist dies der Zeitpunkt, zu dem der Ausländer den Behörden seines Heimatstaates übergeben wird (Funke-Kaiser in GK-AufenthG, a.a.O., Rn. 8). Die Klägerin wurde am 22.07.2ü04 in die Türkei geflogen. Gleichzeitig mit den Entstehen des Erstattungsanspruchs wurde dieser gemäß § 70 Abs. 2 AufenthG jedoch unterbrochen, da sich die Klägerin im Ausland aufhielt. Nach der genannten Vorschrift, die auch auf die Festsetzungsverjährung Anwendung findet (Hess. VGH. B. v. 18.01.2011, a.a.O.), wird die Verjährung von Ansprüchen nach den §§ 66 und 69 AufenthG neben den Fällen des § 20 Abs. 3 VwKostG unterbrochen, solange sich der Kostenschuldner nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthalt im Bundesgebiet deshalb nicht festgestellt werden kann, weil er einer gesetzlichen Meldepflicht oder Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist. Hier endete die Unterbrechung der Verjährung nicht erst mit der förmlichen Anmeldung der Klägerin in der Asylbewerberunterkunft in der ... am 03.01.2005, sondern bereits mit der Mitteilung der vorübergehenden Wohnanschrift "c/o ..., Darmstadt" mit Schreiben ihres Bevollmächtigten an die Ausländerbehörde der Beklagten. Dieses Schreiben, in dem für die Klägerin die Erteilung einer Duldung beantragt wurde, ist der Beklagten per Telefax am 29.12.2004 zugegangen. Abzustellen ist auf den tatsächlichen Aufenthalt, der der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 28.12.2004 bekannt gemacht wurde, nicht auf den formalen Meldestatus, sofern der Aufenthaltsort bekannt ist (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG a.a.O., Rn. 13). So stellt das Gesetz für die Verjährungsunterbrechung auf die fehlende Feststellbarkeit des Aufenthalts ab; diese muss wiederum kausal auf einer Verletzung der Meldepflicht beruhen. Mit der Angabe der Anschrift "c/o ..." war der Aufenthaltsort der Klägerin jedoch bekannt. Eine Verletzung der Meldepflicht ist daher unbeachtlich. Folglich begann nach § 20 Abs. 4 VwKostG eine neue Verjährung mit Ablauf des 31.12.2004, so dass die Forderung zum 31.12.2008 verjährt und damit nach § 20 Abs. 1 Satz 3 VwKostG erloschen ist. [...]