Bei einer Zurückschiebung nach Italien ist überwiegend wahrscheinlich, dass Antragstellern kein Asylverfahren offensteht, welches den rechtlichen Mindeststandards genügt.
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Der Antrag vom 13.10.2011 auf Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist zulässig und in dem sich aus dem Tenor dieses Beschlusses ergebenden Umfang begründet.
Der Zulässigkeit des Antrags steht § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen, obgleich diese Vorschrift darauf abzielt, den vorläufigen Rechtsschutz in Fällen wie dem Vorliegenden auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, vom 13.11.2009 - 2 BvR 603/09 -, vom 08.12.2009 - 2 BvR 2780/09 -, vom 10.12.2009 - 2 BvR 2767/09 - und vom 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, jeweils zitiert nach juris) muss davon im Wege verfassungskonformer Anwendung eine Ausnahme jedenfalls dann gemacht werden, wenn anderenfalls für den Betroffenen kraft höherrangigen Rechts nicht zumutbare Nachteile entstünden, die schwerer wögen als die mit einem vorläufigen Abschiebungsverbot einhergehenden Nachteile für die Bundesrepublik Deutschland.
Das ist hier der Fall. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass den Antragstellern bei ihrer Überstellung nach Italien kein Asylverfahren offensteht, das den rechtlichen Mindeststandards genügt, zu denen auch eine angemessene Unterkunft und Versorgung zählt. Nach den von anderen Gerichten ermittelten Tatsachen (etwa VG Gießen, Beschluss vom 10.03.2011 - 1 L 468/11 -, VG Hannover, Beschluss vorn 12.05.2011 - 1 B 1818/11 -, VG Braunschweig, Beschluss vom 31.05.2011 - 1 B 103/11 -, VG Göttingen, Beschluss vom 08.07.2011 - 2 B 164/11 -, alle zitiert nach juris), ist überwiegend wahrscheinlich, dass den Antragstellern nach einer Überstellung nach Italien kein Asylverfahren offensteht, welches den rechtlichen Mindeststandards genügt. Dort existieren 3000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylsuchenden für jeweils sechs Monate ermöglichen. Im Jahr 2011 haben bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Die Wartelisten für diese Plätze sind lang. Selbst wenn die Flüchtlinge einen dieser Plätze erhalten haben, sind sie nach Ablauf von sechs Monaten sich selbst überlassen. So ist die große Mehrheit der Asylsuchenden ungeschützt, ohne Unterkunft und ohne gesicherten Zugang zu Nahrungsmitteln. Daraus ergibt sich u. a. das Problem, dass die Anmeldung eines festen Wohnsitzes nicht möglich ist. Ein fester Wohnsitz ist jedoch Vorraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Die Antragsgegnerin stellt diese Erkenntnisse in ihrem Schriftsatz vom 14.11.2011 nicht in Frage, sondern äußert sich lediglich umfangreich zu den Lebensbedingungen anerkannter Asylberechtigter in Italien. Darauf kommt es jedoch in diesem Verfahren nicht an.
Das Bundesamt für. Migration Lind Flüchtlinge ist offenbar nicht bereit, vorläufig davon abzusehen, Asylbewerber in Anwendung von § 34a Abs. 1 AsylVfG nach Italien abzuschieben, obwohl mittlerweile zahlreiche andere Gerichte ebenso entschieden haben wie die oben zitierten (vgl. zuletzt VG Düsseldorf, Beschluss vom 29.07.2011 - 21 L 1177/11.A - Asylmagazin Heft 11/2011) und obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte durch Entscheidung vom 19.10.2011 die Überstellung eines Flüchtlings nach Italien vorläufig gestoppt hat (no 64208/11). Mithin muss die Antragsgegnerin daran gehindert werden, so zu verfahren wie sie beabsichtigt. Dass eine Abschiebung der Antragsteller nach Italien in Aussicht genommen ist, ergibt sich daraus, dass die weitere Bearbeitung des Falles dem Referat 431 - Dublin-Referat - in Dortmund übertragen worden ist. Die Antragsgegnerin hat dieses auch nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich - mit Schriftsätzen vom 20.10.2011 - vorgetragen, ein Bescheid sei noch nicht gefertigt worden, wonach eine Überstellung der Antragsteller nach Italien erfolgen solle. Da eine entsprechende Abschiebungsanordnung den betroffenen Ausländern in Anwendung von § 31 Abs. 1 S. 4 und 5 AsylVfG voraussichtlich erst auf dem Weg zum Flughafen zugestellt würde und sie mithin keine reale Möglichkeit mehr hätten, einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erlangen, ist der Erlass der begehrten Sicherungsanordnung auch im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO geboten.
Es ist ausreichend, die Wirkung der einstweiligen Anordnung bis zum 30.06.2012 zu begrenzen. Bis dahin hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wenn es nicht von sich aus von einer Überstellung der Antragsteller nach Italien absieht und das Asylverfahren selbst durchführt - Gelegenheit, die Lebensumstände Asylsuchender in Italien im Einzelnen zu ermitteln. Es bleibt vorbehalten, die Wirkung der einstweiligen Anordnung - auf einen neuen Antrag der Antragsteller - zu verlängern. [...]