VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 01.03.2012 - 13 K 12.12 - asyl.net: M19540
https://www.asyl.net/rsdb/M19540
Leitsatz:

Für de facto staatenlose Kurden aus dem Libanon, die eine deutsche Geburtsurkunde besitzen, kann die Ausländerbehörde nicht als Voraussetzung für die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer die Vorlage eines Laissez-Passer der libanesischen Behörden verlangen.

Schlagwörter: Reiseausweis für Ausländer, Zumutbarkeit, Libanon, Laissez-Passer, Pass, Passersatz, ungeklärte Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, staatenlos
Normen: AufenthV § 5 As. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a
Auszüge:

[...]

Der Hilfsantrag ist hingegen begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer nach § 5 Abs. 1 AufenthV zu. Dieser bestimmt, dass einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden kann. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt. Nach Nr. 2 der Vorschrift hat der Ausländer dabei in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts entsprechenden Weise an der Ausstellung oder Verlängerung mitzuwirken und die Behandlung eines Antrages durch die Behörden des Herkunftsstaates nach dem Recht des Herkunftsstaates zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt. Dabei ist es im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Reisedokuments regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Nationalpasses durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reisedokuments (Reiseausweises für Ausländer) erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind. Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den Nachweis zu differenzieren. Je gewichtiger die vorn Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit (OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. Februar 2005 - 11 PA 345/04 - zitiert nach Juris).

Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Kläger einen Pass oder Passersatz offensichtlich nicht auf zumutbare Weise erlangen. Zwar könnte nach der Überzeugung des Einzelrichters- der Kläger nach dem oben Dargelegten nach Bewirkung der Wiederregistrierung im Libanon durch entsprechende Antragstellung beim Generalkonsulat einen erneuten Laissez Passer des Libanon erlangen. Der Laissez Passer des Libanon gilt jedoch auch nach Auffassung des Beklagten nicht als Pass oder Passersatz. Negatives Tatbestandsmerkmal des § 5 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung ist jedoch nur, dass der Kläger einen Pass oder Passersatz nicht auf zumutbare Weise erlangen kann. Hierfür verlangt der Beklagte nach Auffassung des Einzelrichters zu Recht in der Regel die Beschaffung eines Laissez Passer, weil damit zum einen die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit im Libanon belegt wird und zum andern die Identität des betreffenden Ausländers (dazu sogleich). Die ungeklärte Staatsangehörigkeit des Klägers im Libanon ist aber belegt, denn der Vater des Klägers verfügt über ein Laissez Passer und einen Reiseausweis für Ausländer. Damit ist das negative Tatbestandsmerkmal, dass der Kläger einen Pass oder Passersatz nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, erfüllt. Dass der Kläger auch ein sonstiges Dokument (Laissez Passer) nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, ist nicht negative Tatbestandsvoraussetzung. Damit ist dem Beklagten Ermessen eröffnet, dem Kläger einen Reiseausweis auszustellen. Dieses Ermessen ist jedoch hier auf Null reduziert, weil bei bestehender Unzumutbarkeit im Sinne des negativen Tatbestandsmerkmals des § 5 Abs. 1 AufenthaltsV, aus Verhältnismäßigkeitsgründen grundsätzlich ein Reiseausweis für Ausländer zu erteilen ist (intendiertes Ermessen). Dies gilt wiederum nicht, wenn gewichtigen Gründe gegen die Erteilung eines Reiseausweises sprechen (vgl. die in § 5 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthaltV genannten Gründe). Einen gewichtigen Grund stellt das Nichtvorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG dar. Hier verlangt der Beklagte nach Auffassung des Einzelrichters zu Recht in der Regel die Beschaffung eines Laissez Passer, weil damit wie erwähnt neben der Unzumutbarkeit der Passbeschaffung aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit im Libanon (siehe dazu oben) auch die Identität des betreffenden Ausländers belegt wird. Die Identität des Klägers ist aber ebenfalls ausreichend nachgewiesen. Der Kläger ist in Berlin geboren und verfügt über eine deutsche Geburtsurkunde. Bei Einreise war er in den Laissez Passer seines Bruders vom 11. Juli 1988 eingetragen. Seine in der deutschen Geburtsurkunde ausgewiesenen Eltern verfügen über einen syrischen Nationalpass (Mutter) bzw. über ein Laissez Passer und einen Reiseausweis für Ausländer (Vater). Bei dieser Sachlage besteht kein weiteres Bedürfnis, die Identität des Klägers durch Beschaffung eines Laissez Passer nachzuweisen. Ein gewichtiger Grund das aufgrund der Unzumutbarkeit der Passerlangung gegebene intendierte Ermessen ausnahmsweise zulasten des Ausländers auszuüben, besteht also nicht. [...]