VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 22.03.2012 - 3 K 661/11 - asyl.net: M19607
https://www.asyl.net/rsdb/M19607
Leitsatz:

Die räumliche Beschränkung aus dem Asylverfahren gem. § 56 Abs. 3 AsylVfG gilt nach Abschluss des Asylverfahrens fort. Eine Auflage für die räumliche Beschränkung des Aufenthalts wird mit der erstmaligen Erteilung der Duldung verfügt und gilt fort, so dass es für die Frist zur Anfechtung auf die erstmalige Erteilung ankommt. Ein verspäteter Widerspruch ist dementsprechend als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Aufhebung der bestandskräftigen Aufenthaltsbeschränkung nach §§ 48,49 und 51 VwVfG zu verstehen.

Schlagwörter: Duldung, Auflage, Widerspruchsfrist, Frist, Widerspruch, Wohnsitzauflage,
Normen: AufenthG § 60a, AufenthG § 61, AsylVfG § 56 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 56 Abs. 3 S. 1, AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 6, AufenthG § 61 Abs. 1, VwVfG § 36 Abs. 2 Nr. 4, AufenthG § 51 Abs. 6, VwVfG § 48, VwVfG § 49, VwVfG § 51
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass seinem Widerspruch vom 11.11.2010 gegen die räumliche Beschränkung der Duldung vom 23.4.2010 auf den Landkreis Leipzig durch die Erteilung einer Duldung mit der räumlichen Geltung für den Freistaat Sachsen abgeholfen worden ist.

1. Grundsätzlich besteht die kraft Gesetzes gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestehende räumliche Beschränkung des Aufenthaltsbereichs eines abgelehnten Asylbewerber auf das Gebiet des Landkreises nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG nach Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fort. Dabei vermittelt § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG keinen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung über einen Antrag auf Streichung bzw. Erweiterung der Aufenthaltsbeschränkung. Eine Beeinträchtigung von grundrechtlich geschützten Rechtsgütern, die ein Abweichen von der Rechtslage gebieten würde, ist in aller Regel nicht gegeben.

Während des Asylverfahrens des Klägers wäre dessen Aufenthalt eigentlich durch die ihm erteilte Aufenthaltsgestattung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Landkreis Leipzig beschränkt gewesen, da dieser mit Zuweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums Chemnitz - Zentrale Ausländerbehörde - vom März 2000 dem Landkreis Leipzig Land, dem Rechtsvorgänger des Beklagten zugewiesen worden war. Diese räumliche Beschränkung des Aufenthalts des Klägers hätte grundsätzlich auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens (§ 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG) fortbestanden.

Dabei besteht kein Unterschied zwischen der Rechtslage seit Inkrafttreten des § 56 Abs. 3 AsylVfG zum 1. Januar 2005 und derjenigen vor diesem Zeitpunkt. Denn § 44 Abs. 6 AuslG 1990 ordnete zum Zeitpunkt des negativen Abschlusses des Asylverfahrens des Klägers im Jahr 2003 an, dass räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem Gesetz und nach anderen Gesetzen auch nach Wegfall der Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung in Kraft bleiben, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist. Anderes Gesetz in diesem Sinne ist auch das Asylverfahrensgesetz, wodurch auf die Aufenthaltsbeschränkung des (auch 2003 bereits Geltung beanspruchenden) § 56 Abs. 1 AsylVfG Bezug genommen wurde. Dabei ist davon auszugehen, dass unter Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung i.S.d. § 44 Abs. 6 AuslG auch die asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestaltung zu verstehen war. Wird von Gesetzes wegen die Fortgeltung von Nebenbestimmungen zu aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen bestimmt, kann nichts anderes angenommen werden, wenn der zeitweilige Aufenthalt des Ausländers nur mit einer Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz erlaubt war, die nicht Aufenthaltsgenehmigung i.S.v. § 5 AuslG war. Es wäre sachwidrig, wenn der Ausländer während seines rechtswidrigen Aufenthalts (nach Abschluss des Asylverfahrens) besser stehen würde, als zuvor während des rechtmäßigen Aufenthalts mit Aufenthaltsgestattung (OVG Thüringen, Beschl. v. 22.01.2004 - 3 EO 1060/03 -). Den gesetzgeberischen Willen, die räumliche Beschränkung fortwirken zu lassen, bestätigt zudem § 71 Abs. 7 AsylVfG; für das Verfahren zu einem asylrechtlichen Folgeantrag regelt die Norm, dass im Fall des räumlich beschränkten Aufenthalts während des früheren Asylverfahrens die letzte räumliche Beschränkung fortgilt, solange keine andere Entscheidung getroffen wird (vgl. OVG Thüringen, Beschl. v. 02.07.2003 - 3 EO 166/03 -). Das dürfte auch aus Gerechtigkeitserwägungen gelten: Während des Laufs des Asylerstverfahrens müssen sich selbst Asylbewerber, deren Verfahren sich später als erfolgreich erweist, eine enge räumliche Beschränkung gefallen lassen. Es ist nicht ersichtlich, weswegen Asylbewerber, deren Asylverfahren ohne Erfolg bleibt, dann gerade deswegen einen weiteren Aufenthaltsradius im Bundesgebiet erhalten sollen. Das gebietet insbesondere nicht die Bestimmung des § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Bundeslandes beschränkt ist. § 61 Abs. 1 AufenthG ist neben § 56 Abs. 3 AsylVfG nicht anwendbar, da es sich bei letzterem um die speziellere Vorschrift handelt (vgl. Renner, AuslR, § 61 AufenthG RdNr. 3). Die Bestimmung des § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG läuft auch bei der dargelegten Anwendung des § 56 Abs. 3 AsylVfG nicht leer, da sie ihre Bedeutung für andere vollziehbar ausreiseptlichtige Ausländer als abgelehnte Asylbewerber entfalten kann.

Durch Einfügen des § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zum 1.1.2005 hat der Gesetzgeber nur die schon bis dahin bestehende überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 44 Abs. 6 AuslG einer Regelung nunmehr im AsylVfG zugeführt und damit den teilweise vertretenen abweichenden Auffassungen eine Absage erteilt (für die auch hier vertretene Auslegung von § 44 Abs. 6 AuslG vgl. etwa OVG Berlin, Beschl. v. 23.10.2000 - 8 F 21.00 -; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 03.09.1996 - 4 L 31/96 ; OVG Mecklenburg-Vorpommern Beschl. v. 10.04.2000 - 3 M 132/99 -; a.A. OVG Niedersachsen, Beschl, v. 16.06.2000 - 4 M 2124/00 -).

Sofern die abgelehnten Asylbewerbern erstmals erteilten Duldungen den Zusatz enthalten, dass deren Aufenthalt auf das Gebiet des ihnen zugewiesenen Landkreises beschränkt ist, handelt es sich grundsätzlich nicht um einen Verwaltungsakt oder eine Auflage, sondern lediglich um einen Hinweis auf die Rechtslage. Diese bestand - wie oben dargelegt - sowohl vor als auch nach dem 1.1.2005.

2. Hier verhält es sich allerdings anders. Soweit der Aufenthalt des Klägers in der ihm unter dem 8.5.2003 erstmals erteilten Duldung auf die "Stadt Leipzig und Landkreis Leipziger Land" beschränkt wurde, stellt dies einen von der Gesetzeslage abweichenden, den Kläger begünstigenden Verwaltungsakt dar. Mit den nachfolgenden Verlängerungen vom 7.8.2003, 4.11.2003, 29.7.2004, 26.10.2004 und 25.1.2005 gültig bis 26.4.2005 blieb der zuvor festgelegte räumliche Beschränkungsbereich unverändert. Damit wurde die räumliche Beschränkung nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG aufgehoben. Im Hinblick auf die mehrfache Verlängerung der Duldung kann auch kaum von einem Irrtum gesprochen werden.

Entscheidend für die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, ist dessen objektiver Erklärungswert, d.h. wie der Adressat unter Berücksichtigung der äußeren Form und aller sonstigen ihm bekannten oder erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben bei objektiver Auslegung analog §§ 157, 133 BGB die Erklärung oder das Verhalten der Behörde verstehen durfte bzw. musste (BVerwGE 48, 281). Maßgeblich kommt es dabei auf den "Empfängerhorizont" an (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 RdNr. 18). Da für den Kläger vorliegend in keiner Form erkennbar war, dass sich die zuständige Ausländerbehörde geirrt haben könnte, ist daher grundsätzlich vom Vorliegen eines ihn begünstigenden Verwaltungsakts auszugehen.

Unschädlich ist insoweit, dass mit der weiteren Duldungserteilung vom 26.4.2005 der Aufenthalt des Klägers wieder auf den Landkreis Leipziger Land beschränkt wurde. Denn damit handelt es sich nicht mehr um einen Hinweis auf die Gesetzeslage des § 56 Abs. 1 AufenthG, da die räumliche Beschränkung entsprechend § 56 Abs. 3 AufenthG zuvor aufgehoben war. Zwar sieht auch § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor, dass der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt ist. Nach Satz 2 dieser Regelung können jedoch weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden (vgl. auch Nr. 61.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 61; und im Übrigen auch § 46 AufenthG). So wurde hier - davon gehen die Beteiligten, der Beklagte zumindest hilfsweise - auch aus [sic].

3. Die so erteilte räumliche Beschränkung des Aufenthalts ist jedoch bestandskräftig geworden und zwar ungeachtet dessen, ob es sich um "echte" Auflagen (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG) oder um eigenständige Verwaltungsakte handelt, die selbständig anfechtbar sind (vgl. etwa Schäfer in: GK-AufenthG, § 51 Rn. 116). Denn die Auflagen sind nur einmalig mit der erstmaligen Erteilung von Duldungen verfügt worden. Wie die Bestimmungen des § 51 Abs. 6 AufenthG und des vor dem 1.1.2005 geltenden § 44 Abs. 6 AuslG verdeutlichen, wirken derartige Auflagen selbst beim Erlösehen der Duldungen noch fort und müssen damit nicht mit jeder Duldungserteilung wieder neu erteilt werden (so auch Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 61 Rn. 7; VG Stuttgart, Urt. v. 21.10.2009. 11 K 3204/09 - juris). Ihr Wortlaut wird lediglich in die weiteren Duldungsbescheinigungen übertragen (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 17.2.2011 - 12 K 3244/10 -, juris).

Der Beklagte hat daher zutreffend den Widerspruch des Klägers vom 11.11.2010 nicht als unzulässig zurückgewiesen, sondern in Verbindung mit dem Hilfsantrag seines Schriftsatzes vom 5.11.2010 als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Aufhebung der bestandkräftigen Aufenthaltsbeschränkung nach § § 48, 49 und 51 VwVfG verstanden und diesem Antrag im Ergebnis stattgegeben. Eine Abhilfeentscheidung im Hinblick auf den Widerspruch des Klägers liegt darin jedoch nicht. [...]