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VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 05.06.2012 - 6 K 1144/12 - asyl.net: M19825
https://www.asyl.net/rsdb/M19825
Leitsatz:

Bei einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gilt die dreijährige Bestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung ab 01.07.2011, wenn es an einer "Vertrauensbetätigung" vor dem Inkrafttreten der Gesetzesneufassung fehlt, insbesondere an einem Antrag auf Erteilung einer eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: eheliche Lebensgemeinschaft, Ehebestandszeit, eheunabhängige Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis, Fristverkürzung, Rückwirkungsverbot, echte Rückwirkung, dreijährige Ehebestandszeit, zweijährige Ehebestandszeit,
Normen: AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 27 Ab. 1, AufenthG § 30 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte hat die dem Kläger am 07.06.2011 erteilte, bis zum 06.06.2013 gültige Aufenthaltserlaubnis ohne Rechtsfehler auf den Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung vom 10.02.2012 verkürzt sowie eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung erlassen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck.

Rechtsgrundlage für die Verkürzung ist § 7 Abs. 2 S. 2 AufenthG. Wesentliche Voraussetzung für die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (§ 30 AufenthG) war die eheliche Lebensgemeinschaft mit Frau ... (§§ 27 Abs.1, 30 Abs. 3 AufenthG). Diese Gemeinschaft besteht aber seit 12.09.2011 unstreitig nicht mehr. Damit stand die nachträgliche Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Beklagten. Dieses Ermessen hat sie rechtsfehlerfrei ausgeübt (§ 114 S. 1 VwGO). Auf Seite 3, 2. Absatz der Verfügung der Beklagten vom 10.02.2012 wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzuges unabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG. Ein Antrag auf Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis ist im Vorbringen des Kläger-Vertreters vom 04.01.2012 im Rahmen der Anhörung über die beabsichtigte Fristverkürzung enthalten. Diese Frage ist also nicht inzident im Rahmen der Entscheidung über die Verkürzung der Frist nach § 7 Abs. 2 S. 2 VwGO zu entscheiden, sondern als Gegenstand eines gleichzeitig zu bescheidenden hilfsweisen Begehrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen, eheunabhängigen Gründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2009 -1 C 11/08-, juris). Der Klagantrag war insoweit sachdienlich als hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage zu fassen (§ 88 VwGO).

§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung ab 01.07.2011 setzt voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Daran fehlt es, da die Eheleute sich bereits zwei Jahre und knapp vier Monate nach der Eheschließung getrennt haben. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters ist nicht auf die Gesetzesfassung bis 30.06.2011 zurückzugreifen, in der eine 2-jährige Ehebestandszeit genügte. Mangels einer Übergangsregelung ist auf die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung von Gesetzen abzustellen. Danach kommt es bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an, und zwar sowohl hinsichtlich der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen als auch hinsichtlich einer behördlichen Ermessensentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2009 a.a.O.). Mithin ist von der neuen Gesetzesfassung auszugehen. Dem stehen auch kein aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) zu folgernder Vertrauensschutz des Klägers oder das Rückwirkungsverbot entgegen. Eine unzulässige "echte" Rückwirkung liegt nicht vor, denn der hier maßgebende Sachverhalt war vor dem 01.07.2011 noch nicht abgeschlossen. Der Kläger hatte vor diesem Zeitpunkt nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 S. 1 AufenthG beantragt, weil die Ehegatten sich ja erst am 12.09.2011 getrennt hatten. Selbst wenn er aber vorsorglich einen solchen Antrag gestellt hätte, hätte er nach § 31 Abs. 1 S. 1 AufenthG lediglich Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr gehabt, und dieses Jahr wäre völlig in die Zeit nach dem 01.07.2011 gefallen. Die Gewährung von Vertrauensschutz scheitert an einer fehlenden "Vertrauensbetätigung" vor der Änderung der Rechtslage, nämlich an einer Antragstellung vor dem 01.07.2011. Einen allgemeinen Vertrauensschutz dahingehend, dass die Rechtslage sich bis zum Ablauf der erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ehe nicht ändern werde, gibt es nicht (so zurecht VG Augsburg, Urteil vom 25.04.2012 - Au 6 K 12.90-, juris; vgl. ferner zum fehlenden Vertrauensschutz VG München, Urteil vom 18.01.2012 -M 25 K 11.5222-, juris).

Der Kläger-Vertreter beruft sich demgegenüber zu Unrecht auf das Urteil des VG Düsseldorf vom 13.07.2011 -22 K 3024/11- (InfAuslR 2011, 395 und juris). In dem Fall, den das VG Düsseldorf entschieden hat, wurde nämlich bereits im Januar 2011 ein Antrag auf Erteilung einer eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis gestellt, sodass im Gegensatz zum vorliegenden Fall ein Vertrauen in die damals noch geltende Rechtslage betätigt worden war.

Die Beklagte hat in der Verfügung vom 10.02.2012 auch zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen der §§ 31 Abs. 2, 18 und 22 ff. AufenthG nicht vorliegen und dass der Kläger daher keine Aufenthaltserlaubnis aufgrund dieser Vorschriften beanspruchen kann. Auch die Ausführungen zur vollziehbaren Ausreisepflicht und zur Abschiebungsandrohung treffen zu. Das Gericht verweist daher zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Begründung der Verfügung vom 10.02.2012 (§ 117 Abs. 5 VwGO). [...]