SG Köln

Merkliste
Zitieren als:
SG Köln, Urteil vom 25.07.2012 - S 37 AS 2258/11 - asyl.net: M20054
https://www.asyl.net/rsdb/M20054
Leitsatz:

Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II kann bei bestandskräftiger Flüchtlingsanerkennung nicht dadurch begründet werden, dass tatsächlich Leistungen nach dem AsylbLG bezogen werden, da ein Anspruch auf SGB II-Leistungen ab dem auf die Flüchtlingsanerkennung folgenden Monat besteht. Auch wenn noch keine Erwerbstätigkeit gestattet wurde, besteht bereits der Anspruch, da es gem. § 8 Abs. 2 SGB II ausreicht, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte.

Schlagwörter: Sozialleistungen, SGB II, Flüchtlingsanerkennung, anerkannter Flüchtling, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungsvoraussetzung, Aufenthaltsgestattung,
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 6, AsylbLG § 1 Abs. 3 Nr. 1, AufenthG § 25 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 1 S. 4, SGB II § 8 Abs. 2, AufenthG § 25 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und in dem tenorierten Umfang begründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 16.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2011 gemäß § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Der Kläger hat für den Zeitraum vom 01.04.2011 bis zum 10.05.2011 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, während ein solcher für [den] die Zeit vom 16.03. bis 31.03.2011 ausscheidet.

Anspruchsgrundlage ist vorliegend § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Alteisgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum.

Den Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II, auf den die Beklagte ihre Ablehnung stützt, greift vorliegend für den Zeitraum 16.03. bis 31.03.2011, nicht aber für die Zeit ab dem 01.04.2011. Danach sind Leistungsberechtigte nach § 1 des AsylbwLG vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgenommen. Maßgeblich ist insoweit - entsprechend dem Gesetzeswortlaut - nicht der tatsächliche Bezug von Leistungen sondern die Berechtigung hierzu. Diese ergibt sich im Fall des Klägers aus § 1 AsyIbwLG. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbwLG sind leistungsberechtigt nach diesem Gesetz Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) besitzen. Der Kläger verfügte für die Zeit ab dem 29.06.2009 über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, die ihm zur Durchführung des zu diesem Zeitpunkt eingeleiteten Asylverfahrens den Aufenthalt im Bundesgebiet gestattete. Diese Gestattung ist jedoch mit Bekanntgabe der Entscheidung. des Bundesamts für Migration über die Zuerkennung als Flüchtling - hier am 09.03.2011 - erloschen, § 87 Abs. 1 Nr. 8 AsylVfG. Daraus folgt zugleich das Ende der Leistungsberechtigung nach dem AsylbwLG. Denn gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 AsylbwLG endet die Leistungsberechtigung mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzung entfällt. Da die Aufenthaltsgestattung nach dem AsylVfG hier Leistungsvoraussetzung ist und diese mit Bekanntgabe im März.2011 erloschen ist, entfällt in Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 1 AsylbwLG die Leistungsberechtigung des Klägers nach dem AsylbwLG mit Ablauf des Monats März 2011.

Während der Kläger daher in der Zeit vom 15.03. bis 31.03.2011 die Leistungen nach dem AsylbwLG tatsächlich noch zu Recht bezogen hat, war dies hinsichtlich der Zeit ab dem 01.04.2011 nicht mehr der Fall. Wie bereits angeführt, ist maßgeblich die Berechtigung und nicht der Bezug, so dass weder der tatsächliche Bezug der Leistungen nach dem AsylbwLG einem Anspruch nach dem SGB II entgegensteht, noch die Tatsache, dass die Aufenthaltsgestattung dem Kläger in Papierform noch vorlag und bis April 2011 ausgestellt war. Denn diese hat lediglich deklaratorische Wirkung (vgl. Bergmann in Renner, Ausländerrecht, 9. Aug 2011, § 55 AsylVfG Rn. 2, 6) und vermag daher den Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG und damit gleichzeitigen Ausschluss nach dem SGB II nicht zu begründen.

Auch steht einem Anspruch des Klägers für die Zeit ab dem 01.04.2011 nicht die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II entgegen. Danach setzt die Leistungsberechtigung nach dem SGB II die Erwerbsfähigkeit des Berechtigten voraus. Personen sind erwerbsfähig, wenn sie nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Ausländer können nur dann erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Erlaubt ist eine Beschäftigung eines Ausländers in der Regel dann, wenn er über einen Aufenthaltstitel verfügt, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt (vgl. § 4 AufenthG). Dies ist hier im Zeitraum 01.04. bis 10.05.2011 (noch) nicht der Fall, dem Kläger wurde der die Erwerbstätigkeit gestattende Aufenthaltstitel (vgl. § 25 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 4) erst am 11.05.2011 erteilt. Allerdings ist es nach der Vorschrift des § 8 Abs. 2 SGB II bereits ausreichend, wenn eine Beschäftigung erlaubt werden könnte. Insoweit ist umstritten, ob bereits die abstrakt-generelle Möglichkeit, eine Erlaubnis zur Beschäftigung zu erhalten, ausreichend ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.07.2007 - L 32 B 1558/07 AS ER, Hackethal in juris-PK, § 8 Rn. 33) oder aber es einer begründeten und konkreten Aussicht bedarf (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B, Blüggel in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008 § 8 Rn. 65 ff.). Dies kann hier aber dahinstehen, da im Fall des Klägers eine konkrete Aussicht auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis, hier des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG, besteht. Der Kläger, der seit März 2011 bestandskräftig als Flüchtling anerkannt war und dessen Aufenthalt seitdem gemäß § 25 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 AufenthG als erlaubt gilt, hatte seit diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Damit war seit Mitte März nicht mehr die Frage, ob dem Kläger eine Erwerbstätigkeit gestattet ist, offen, sondern lediglich der konkrete Zeitpunkt der Erteilung des Titels, der von seitens des Klägers nicht zu beeinflussenden Faktoren abhängig war.

Die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II ist daher zu bejahen. Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande wäre, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. [...]