SG Braunschweig

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Zitieren als:
SG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2012 - S 19 AS 5307/10 - asyl.net: M20055
https://www.asyl.net/rsdb/M20055
Leitsatz:

Für die Übernahme der Passbeschaffungskosten durch das Jobcenter besteht keine Anspruchsgrundlage.

Schlagwörter: Passbeschaffungskosten, SGB II, Sozialleistungen, Pass, Passbeschaffung, Passpflicht,
Normen: SGB XII § 73, SGB II § 21 Abs. 6, SGB II § 24,
Auszüge:

[...]

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Übernahme der ihr entstandenen Kosten für die Beschaffung eines kroatischen Passes - weder in Gestalt eines Darlehens (1.) noch einer Beihilfe (2.).

1. Die Beteiligten gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Gewährung eines Darlehens gem. § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II a. F. (= § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II n. F.) ausscheidet. Nach dieser Vorschrift gewährt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis ein Darlehen, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II a. F. noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Passbeschaffungskosten gehören jedoch nicht zu den von der Regelleistung umfassten Bedarfen. Nach Nr. 20.1.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Passgesetzes (Passverwaltungsvorschrift [PassVwV] ist für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II eine Befreiung von der Gebührenpflicht nach § 20 Passgesetz (PassG) möglich, weil dieser Personenkreis als bedürftig i.S.v. § 17 Passverordnung (PassV) anzusehen Ist. Dementsprechend ist nach Ansicht der Kammer davon auszugehen, dass der Regelsatz keine Gebühren für Personaldokumente umfasst (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2011 - Az L 12 AS 2597/11 -).

2. Auch die Gewährung einer Beihilfe scheidet aus. Aus dem SGB II ergibt sich keine unmittelbare Anspruchsgrundlage. Eine solche resultiert insbesondere nicht aus der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 09. Februar 2010 – Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - entwickelten und sodann in § 21 Abs. 6 SGB II überführten Härtefallregelung. Denn diese setzt unabhängig von allem anderen das Bestehen eines laufenden Bedarfs voraus. Passbeschaffungskosten fallen indessen einmalig an.

Daneben kann insbesondere nicht auf § 73 S. 1 SGB XII in analoger Anwendung rekurriert werden. Nach dieser Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des SG Lüneburg (a.a.O.) Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass dort eine asylbewerberleistungsrechtliche Frage entschieden worden [ist]. Die sozialen Sicherungssysteme des AsylbLG und des SGB II sind indessen nicht vergleichbar, weil sie unterschiedlich ausgestattet sind und im Hinblick auf die Höhe der Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) ein sehr unterschiedliches Leistungsniveau aufweisen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 03. Januar 2011- Az. L 7 AS 460/10 B - und 22. Juli 2010 – Az. L 7 B 204/09 AS -).

Des Weiteren setzt die Vorschrift nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2009 - Az. B 14 AS 44/08 R -) voraus, dass eine besondere, atypische Lebenslage besteht, die eine Nähe zu den anderen im Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geregelten Bedarfslagen - den unter Geltung des BSHG so bezeichneten "Hilfen In besonderen Lebenslagen" - aufzuweisen hat, Das ist hier nicht der Fall. Insoweit hat das LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 12. Januar 2012 - Az. L 9 AS 1181/11 B – ausgeführt.

"... [Die] Übernahme von Kosten für die Ausstellung eines Reiseausweises weist keine Nähe zu den Hilfen bei Gesundheit (Fünftes Kapitel des SGB XII), der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Sechstes Kapitel), der Hilfe zur Pflege (Siebtes Kapitel) oder der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (Achtes Kapitel) auf (vgl. zu Passbeschaffungskosten: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.11.2010 - L 9 AS 1346/10 B ER -; Beschluss vom 03.01.2011 - L 7 AS 460/10 B). Die Verpflichtung zur Passbeschaffung ist insbesondere keine besondere soziale Schwierigkeit Im Sinne des § 67 SGB XII. Denn die §§ 67 ff. SGB XII enthalten ein spezielles Hilfsangebot für Personen, bei denen komplexe Problemlagen vorliegen, die sich durch eine Verbindung von besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten kennzeichnen (§ 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vom 24.01.2001, BGBl. I S. 179). Die Gesetzgebung hat insoweit insbesondere die persönliche Betreuung sowie Hilfen zur Erlangung oder zur Sicherung des Arbeitsplatzes oder zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung im Blick (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. November 2010 - L 9 AS 1346/10 8 ER). Es liegen keine Anhaltspunkte für eine solche komplexe Problemlage vor und diese ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag des Beschwerdeführers. (…)"

Die Kammer erachtet diese auf der Systematik des SGB XII fußende Auffassung für überzeugend und schließt sich ihr an. Abweichendes vermag sich auch nicht aus dem Argument der Klägerin zu ergeben, dass es der Einheit der Rechtsordnung widerspreche, wenn ihr einerseits das Aufenthaltsrecht aufgebe, sich einen Pass zu besorgen, hierfür im Falle der Hilfebedürftigkeit aber keine Grundsicherungsleistungen zur Verfügung gestellt würden. Ausweislich der vom Landkreis Gifhorn als zuständiger Ausländerbehörde eingeholten Stellungnahme vom 22. März 2012 (Bl. 79 der Gerichtsakte) drohen der Klägerin weder gegenwärtig noch zukünftig für den Fall, dass das Passbeantragungsverfahren fruchtlos bleibt, aufenthaltsrechtliche Nachteile. Die Klägerin wirkt seit geraumer Zeit fortwährend an der Beschaffung eines Identitätspapiers mit (s. § 48 Abs. 3 AufenthG), weswegen ihr keine Strafverfolgungsmaßnahmen wegen passlosen Aufenthalts nach § 95 Abs. Nr. 1 AufenthG drohen. Denn eine entsprechende Strafbarkeit eines Ausländers ist grundsätzlich (nur) dann zu bejahen, wenn er nicht in zumutbarer Weise seinen ausweisrechtlichen Pflichten nach § 48 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG nachgekommen ist und daher jedenfalls keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung in Form eines Ausweisersatzes hat (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. August 2011 - Az. 139 233/10 -). Auch ist die Klägerin als Inhaberin einer Fiktionsbescheinigung nicht von der Ausweisung (§§ 50 ff. AufenthG) bedroht. Sollte auch das gegenwärtig laufende Verfahren zur Erlangung eines serbischen Passes fehlschlagen, besteht für die Klägerin evtl. noch die Möglichkeit, einen kosovarischen Pass zu bekommen. Für den Fall, dass auch diese Verfahren fehlschlagen, wird der Klägerin nach Auskunft des Landkreises Gifhorn ein Passersatz nach §§ 3 Abs. 1; 48 Abs. 2 AufenthG ausgestellt. Zumal die Klägerin ihren aufenthaltsrechtlichen Pflichten bzw. Obliegenheiten im Rahmen des ihr Zumutbaren genügt und ihr keine aufenthaltsrechtlichen Nachteile drohen, vermag die Kammer keine Notwendigkeit dafür zu erkennen, dem Beklagten die Kosten für die wiewohl aufenthaltsrechtlich primär abverlangte aber nicht zwingend erforderliche Passbeschaffung aufzuerlegen.

Die Beiladung des Trägers der Leistungen nach den SGB II gem. § 75 Abs. 1, 2 SGG war nach Ansicht der Kammer nicht erforderlich, weil die Klägerin die Übernahme der Passbeschaffungskosten unter keinem rechtlichen Aspekt unmittelbar von diesem verlangen kann. [...]