LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.03.2012 - L 20 AY 7/12 B ER - asyl.net: M20056
https://www.asyl.net/rsdb/M20056
Leitsatz:

Für die Leistungserbringung nach dem AsylbLG ist grundsätzlich gemäß § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG diejenige sachlich zuständige Behörde örtlich zuständig, in deren Gebiet die leistungsberechtigte Person aufgrund der Entscheidung der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Allerdings ruht bei einem unerlaubten Aufenthalt der leistungsberechtigten Person außerhalb des Zuweisungsbereichs die örtliche Zuständigkeit gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG bis zu ihrer Rückkehr.

2. Aus der örtlichen Beschränkung der Wohnsitznahme als Nebenbestimmung der erteilten Duldung ergibt sich eine auch asylbewerberleistungsrechtlich relevante räumliche Beschränkung.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, örtliche Zuständigkeit, Leistungsverpflichtung,
Normen: AsylbLG § 10a, AsylbLG § 3, AufenthG § 15a, AsylbLG § 11 Abs. 2, AsylbLG § 3, GG Art. 6 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

II.

1. a) Die Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft (§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Dabei legt der Senat das Begehren der Antragstellerin zu deren Gunsten dahingehend aus, dass sie laufende Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG seit dem 16.12.2011 einschließlich solcher der Krankenhilfe und Unterkunftskosten zumindest bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung begehrt und so ein Wert der Beschwer von zumindest 750,01 Euro erreicht wird,

Soweit die Antragstellerin erstmals im Beschwerdeverfahren Leistungen auch gemäß § 4 und § 6 AsylbLG begehrt, ist die Beschwerde jedoch unzulässig. Diese Leistungen sind nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens und damit zu Recht auch nicht Gegenstand der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung gewesen. Der Senat weist insoweit ergänzend darauf hin, dass die Antragsgegnerin Leistungen der Krankenhilfe gemäß § 4 AsylbLG in der Vergangenheit bereits erbracht und im Übrigen auch zugesagt.hat. Sonstige Leistungen gemäß § 6 AsylbLG wurden vor Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes gegenüber der Antragsgegnerin auch nicht geltend gemacht.

Hinsichtlich der vom Sozialgericht gewährten so genannten "Rückkehrkosten" sieht der Senat die Antragstellerin ungeachtet der Frage, ob diese von der Antragstellerin erstinstanzlich überhaupt - gleichsam als Minus zu den konkret beantragten Leistungen - geltend gemacht worden sind bzw. ob insoweit insbesondere ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden ist, bezogen auf die begehrte einstweilige Sicherung der Ansprüche nicht als beschwert an. Dabei dürfte der Antragstellerin im Grundsatz jedoch dahingehend zu folgen sein, dass im Falle der Zuwiderhandlung gegen eine asylverfahrensrechtliche Zuweisung oder Verteilung die für den Ort des tatsächlichen Aufenthalts (und nicht die für den Zuweisungsort) zuständige Behörde als ortsnähere Behörde die unabweisbar gebotenen Hilfen zu erbringen hat, § 11 Abs. 2 AsylbLG für diesen Fall mithin die Leistungspflicht der nach § 10 Abs. 1 S. 1 AsyIbLG zuständigen Behörde aufhebt (Groth in jurisPK-SGB XII, § 11 AsylbLG Rn. 31). Mangels Beschwerde der Antragsgegnerin hat der Senat hierüber jedoch nicht zu befinden.

b) Hinsichtlich der von der Antragstellerin begehrten Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG ist die Beschwerde zulässig, aber unbegründet.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen (Regelungs-).Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG liegen insoweit nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG setzt voraus, dass ein Anordnungsgrund (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist - Eilbedürftigkeit) und ein Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) durch den Antragsteller glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung <ZPO>).).

aa) Der Senat lässt insoweit dahinstehen, ob die Antragstellerin insoweit einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht hat. Dies könnte deshalb zweifelhaft sein, weil die Antragstellerin seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ohne Leistungen, ihr Lebensunterhalt aber seither offenbar gleichwohl sichergestellt ist. Soweit der Vortrag der Antragstellerin dahingehend zu verstehen ist, dass die Familie des Sohnes hierzu im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II in der Lage ist (war), wären insoweit weitere Darlegungen und auch eine weitere Glaubhaftmachung durch die anwaltlich vertretene Antragstellerin zumindest zweckmäßig gewesen.

Jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch durch die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Der Senat nimmt insoweit zunächst auf die Ausführungen des Soziaigertchts im angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 AufenthG werden unerlaubt eingereiste Ausländer, die weder um Asyl nachsuchen noch unmittelbar nach der Feststellung der unerlaubten Einreise in Abschiebungshaft genommen und aus der Haft abgeschoben oder zurückgeschoben werden können, vor der Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Länder verteilt. Sie haben nach S. 2 der Vorschrift keinen Anspruch darauf, in ein bestimmtes Land oder an einen bestimmten Ort verteilt zu werden. Die Verteilung innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen erfolgt nach Maßgabe der §§ 2, 3 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlÜAG). Mit Zuweisungsbescheid vom 31.05.2011 ist die Antragstellerin durch die Bezirksregierung Arnsberg der Antragsgegnerin zugewiesen worden. Zugleich ist angeordnet worden, dass sich die Antragstellerin unverzüglich in die in dem Zuweisungsbescheid angegebene Stadt zu begeben hat.

Für die Leistungserbringung nach dem AsylbLG ist sodann grundsätzlich gemäß § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG diejenige sachlich zuständige Behörde örtlich zuständig, in deren Gebiet die leistungsberechtigte Person aufgrund der Entscheidung der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Allerdings ruht bei einem unerlaubten Aufenthalt der leistungsberechtigten Person außerhalb des Zuweisungsbereichs die örtliche Zuständigkeit gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG bis zu ihrer Rückkehr (Groth in JurisPK-SGB XII, § 10a AsylbLG Rn. 13). Die wirksame Zuweisungsentscheidung hat damit auch vor Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit Tatbestandswirkung für die Frage der örtlichen Zuständigkeit nach § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG (Groth, a.a.O., Rn. 17; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, § 10a AsylbLG Rn. 3). Die Zuweisungsentscheidung wurde von der Klägerin nicht mit der Klage (verwaltungsgerichtlich) angegriffen.

Hingegen ist die Antragstellerin der Zuweisung - entgegen eigener Ankündigung - nicht nachgekommen, sondern hält sich nach den aktenkundigen Erkenntnissen seit ihrer Einreise dauerhaft in Köln in der Wohnung ihres Sohnes und dessen Familie auf. Die Anmeldung in ... erfolgte lediglich von Amts wegen. Nach eigenem Vortrag ist sie in ... lediglich zweimal vorstellig geworden, um Leistungen gemäß § 3 AsylbLG zu erhalten bzw. zu beantragen. Ausweislich der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) ist der Antragstellerin der Aufenthalt zwar in ganz Nordrhein-Westfalen, die Wohnsitznahme jedoch nur in ... gestattet. Dabei beruht die weitergehende räumliche Beschränkung auf § 81 Abs. 1 S. 2 AufenthG.

Die Antragstellerin hat ihren Wohnsitz jedoch nicht in ..., sondern in Köln begründet. Anders können bereits die Ausführungen der Antragstellerin nicht verstanden werden, selbst wenn sie wiederholt vorträgt, sie halte sich nur besuchsweise bei der Familie ihres Sohnes auf. Bereits das Sozialgericht Dortmund hat in dem Verweisungsbeschluss vom 16.01.2012 darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten habe vortragen lassen, sie wohne bei ihrem Sohn. Tatsächlich ist unstreitig, dass die Antragstellerin bisher nicht eine Nacht in ... verbracht und die ihr zugewiesene Wohnung in einem Übergangswohnheim nicht einmal in Augenschein genommen hat. Sie hält sich damit einer räumlichen asyl- bzw. ausländerrechtlichen Beschränkung zuwider nicht nur besuchsweise nicht in der Stadt ..., sondern In Köln auf. Die letztlich auf dem formalen Aspekt der in der Stadt ... erfolgten Meldung fußende Argumentation der Antragstellerin überzeugt nicht. Ebenso wenig geht es um die Frage, ob ihr, was unstreitig erscheint, ein Besuch in Köln erlaubt ist. Vielmehr ergibt sich aus der örtlichen Beschränkung der Wohnsitznahme als Nebenbestimmung der erteilten Duldung eine auch asylbewerberleistungerechtlich relevante räumliche Beschränkung.

Wie bereits dargelegt, scheidet damit eine Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin gemäß § 10a Abs. 1 S. 1 AsylbLG solange aus, bis die Antragstellerin in ihren Zuständigkeitsbereich zurückkehrt und der räumlichen Beschränkung Folge leistet.

bb) Auch auf § 11 Abs. 2 AsylbLG kann die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG nicht mit Erfolg stützen. Der Senat macht sich insoweit die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts zum Inhalt des Anspruchs auf Gewährung einer nach den Umständen unabweisbar gebotenen Hilfe zu eigen. Zwar mögen Gründe denkbar sein, die einen Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung unzumutbar erscheinen lassen. In diesem Fall kann die unabweisbar gebotene Hilfe i.S.d. § 11 Abs. 2 AsylbLG ggf. auch den regulären Leistungen gemäß §§ 3, 4 und 6 AsylbLG entsprechen (vgl. etwa Groth, a.a.O., § 11 AsylbLG Rn. 34). Jedoch ist auch in diesem Zusammenhang zu beachten, dass der Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG bestehende ausländerrechtliche Beschränkungen in erster Linie mit dem insoweit zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumentarien anzugehen hat. Insbesondere dann, wenn hierauf - wie auch im vorliegenden Fall durch den Verzicht auf Rechtsmittel gegen die Zuweisungsentscheidung - verzichtet wird, können wegen der klaren gesetzlichen, auf die aufenthaltsrechtliche Zuweisung Bezug nehmende Zuständigkeitsregelung lediglich ganz besondere Umstände zu einem Anspruch auch gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG auf reguläre Leistungen führen. Für eine insoweit ggf. zu beachtende Reiseunfähigkeit der Antragstellerin, eine drohende Gesundheitsverschlechterung bei einem Aufenthalt in dem Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin oder ähnlich schwerwiegende Gründe fehlen hier hinreichende Anhaltspunkte.

Bezogen auf den in einem Hauptsacheverfahren ggf. erst noch festzustellenden Betreuungs- und Pflegebedarf der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin bereits zugesagt, unmittelbar mit Eintreffen der Antragstellerin und Vorlage aussagekräftiger, medizinischer Unterlagen in eine Überprüfung einzutreten und im Bedarfsfall Leistungen zu gewähren. Die vom Bevollmächtigten der Antragstellerin in nachvollziehbarer Weise angestellten wirtschaftlichen Überlegungen sind nicht geeignet, die geltenden aufenthalts- und leistungsrechtlichen Einschränkungen zu überwinden. Dabei ist dem Senat hier ohnehin lediglich eine (asylbewerber-) leistungsrechtliche summarische Prüfung möglich. Die auf Art. 6 GG verweisenden Überlegungen der Antragstellerin sind auch zur Überzeugung des Senats ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlich zu würdigen. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass § 15 a Abs. 1 S. 8 und Abs. 4 S. 3 AufenthG lediglich die Gemeinschaft von Ehegatten sowie von Eltern und minderjährigen Kindern ausdrücklich als verteilungs- bzw. zuweisungsrelevant ansehen (vgl. auch § 3 Abs. 1 FlÜAG). Die von der Antragstellerin für sich in Anspruch genommene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) betrifft Fragen der Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Eltern (-teilen) und minderjährigen Kindern. Ob das Frelheitsrecht bzw. die Institutsgarantie aus Art. 8 Abs. 1 GG vergleichbare aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen auch für aufenthaltsrechtliche Fragen familiärer Gemeinschaft eines Elternteils mit volljährigen Kindern entfaltet, erscheint zumindest fraglich. Inwieweit Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm zu berücksichtigen ist (BVerfG, Beschluss vom .18.04.1989 - 2 BvR 1169/84), wird aufenhaltsrechtlich zu würdigen sein, begründet zur Überzeugung des Senats jedenfalls aber keine Unzumutbarkeit hinsichtlich der zu Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG berechtigenden Wohnsitznahme im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin. Angesichts der zur Überzeugung des Senats auch in ... einstweilen sichergestellten Betreuung und Pflege der Antragstellerin geht letztlich auch eine ggf. erforderliche Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 269/05) zu deren Lasten aus. [...]