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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 08.06.2012 - AN 11 K 12.30044 - asyl.net: M20201
https://www.asyl.net/rsdb/M20201
Leitsatz:

Eine gruppengerichtete politische oder religiöse Verfolgung von Hindus findet in Afghanistan nicht statt.

Schlagwörter: Afghanistan, Hindu, Flüchtlingsanerkennung, Gruppenverfolgung, Religionsausübung, Diskriminierung, religiöse Verfolgung, religiöse Diskriminierung, Tempel, Kart-e-Parwan, Verfolgung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Nach Überzeugung des Gerichts steht den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Flüchtlingszuerkennung nicht zu, da nicht ersichtlich ist, dass ihnen bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan relevante Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit droht. Das Gericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im Bescheid vom 18. Januar 2012, §§ 77 Abs. 2 AsylVfG,117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend ist auszuführen: Ein Anspruch der Kläger auf Flüchtlingszuerkennung ergibt sich - wie das Bundesamt zu Recht ausgeführt hat - insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Hindus. Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften ist davon auszugehen, dass in Afghanistan eine Gruppenverfolgung von Hindus nicht stattfindet, so dass vorliegend den Klägern eine diesbezügliche Verfolgung weder im Zeitpunkt der Ausreise drohte noch derzeit droht oder beachtlich wahrscheinlich ist. [...]

Über die Lage und Behandlung von Hindus in Afghanistan ist den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln folgendes zu entnehmen:

Der Sachverständige Dr. Danesch berichtet über die Lage der Hindus in Afghanistan im Allgemeinen und in Kabul im Besonderen aus eigener Anschauung (Gutachten vom 13.1.2006 an VG Wiesbaden, vom 23.1.2006 und in seiner Vernehmung am 27.4.2006 beim HessVGH). Er sieht danach die Hindus und Sikhs in Afghanistan einer expliziten religiösen Diskriminierung ausgesetzt, die eindeutig zum Ziel habe, sie als religiöse und kulturelle Minderheit innerhalb kürzester Zeit auszulöschen. Die afghanische Regierung würde eigene Schulen für Hindus nicht einrichten. Dies sei Ausfluss einer Politik, die gegenüber der jungen Generation betrieben werde. Es werde systematisch versucht, die Kinder von Hindus von jedem Zugang von [sic] Bildung fernzuhalten. Dies gehe sogar bis zur Zwangsbekehrung von Kindern. Junge Mädchen würden anschließend wahrscheinlich zwangsverheiratet. So seien vor allem in Kandahar aber auch in Kabul Hindu-Mädchen entführt worden. Vor allem in ihrer Religionsausübung würden sie massiv behindert. So könnten sie die Zeremonie der Verbrennung ihrer Toten in Afghanistan nicht mehr durchführen. Nur noch im Tempel von Karte Parwan würden noch religiöse Zeremonien durchgeführt, allerdings möglichst verstohlen, um nicht die Aufmerksamkeit der muslimischen Umgebung auf sich zu ziehen. Auch seit Amtsantritt von Karsai hätten Hindus ihr Eigentum nicht zurückerhalten, das ihnen von den Mudjaheddhin oder den Taliban vorher systematisch enteignet worden sei. Daher lebten heute die wenigen Hindus und Sikhs so gut wie ausschließlich in den ehemaligen Tempelbezirken ihrer Gemeinden. Er sei der Auffassung, dass nach alledem in der Tat die religiös motivierte Verfolgung von Hindus und Sikhs asylrelevante Intensität erreiche. Hindus und Sikhs seien nämlich in ihrer Religionsausübung und kulturellen Identität In einem derartigen Ausmaß eingeschränkt, dass ihre Existenz als eigenständige Minderheit akut bedroht sei. An verschiedenen Punkten - keine Zurückerstattung enteigneten Besitzes, Verbot religiöser Zeremonien, Verweigerung der Bildung, Zwangsbekehrung mit Duldung der staatlichen Justiz - sei nämlich nachgewiesen worden, dass die Regierung Karsai diese Minderheit nicht nur nicht schütze, sondern sich aktiv an ihrer Verfolgung beteilige. Insoweit sei von einer nichtstaatlichen wie staatlichen oder zumindest staatlich sanktionierten Verfolgung zu sprechen. Diese Ausführungen ergänzte der Sachverständige in seiner Vernehmung beim HessVGH (Niederschrift vom 27.4.2006). Danach lebten in Afghanistan derzeit höchstens nur noch 1500 Hindus und zwar ausschließlich In ihren Tempeln. Die Verhältnisse dort seien unzumutbar. Frauen und Kinder verließen das Gelände der Tempel in der Regel nicht. Die Familien lebten von Almosen; Männer würden sich teilweise als Tagelöhner verdingen. In den Tempelanlagen selbst würden Hindus aber nicht angegriffen. Ihre Feste würden die Hindus ohne Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit feiern. Bestimmte religiöse Handlungen dürften nur noch in einem Tempel Im Stadtteil Kart-e Parwan durchgeführt werden. Rituelle Verbrennungen dürften in Afghanistan überhaupt nicht mehr stattfinden. In letzter Zeit seien ihm Zwangsverheiratungen junger Mädchen unter 16 Jahren bekannt geworden, die in drei Fällen auch vom Obersten Gericht bestätigt worden seien. Während unter den Taliban Hindus unmittelbar auch angegriffen worden seien, sei das heute etwas anders. Es würden nicht mehr ihre Tempel angegriffen, sondern sie würden sozial und kulturell unterdrückt, insbesondere dadurch, dass keine Schulen bereitgestellt würden. Es könne aber nicht bestätigt werden, dass Angehörige der Hindus In Kabul in letzter Zeit geschlagen worden seien. Eine Pflicht der Hindus zur Kennzeichnung habe nur seit etwa dem Jahr 1999 bis zum Ende der Talibanherrschaft gegolten.

Nach Prof. Dr. Hutter vom Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Bonn (Stellungnahme vom 25.1.2005) könne man derzeit nicht von einer systematischen Verfolgung von Hindus oder Sikhs sprechen, da dem die Verfassung des Landes entgegenstehe; allerdings seien die religiösen und gesellschaftlichen Benachteiligungen von Hindus und Sikhs In der Gegenwart nicht zu verleugnen.

Nach dem Afghan Hindu und Sikh Verband in Deutschland e.V. Köln (Reisebericht des Vorsitzenden von Januar 2006) hätten vor dem Bürgerkrieg etwa 70.000 bis 120.000 Hindu und Sikhs in den großen Städten Afghanistans und vereinzelt auch in den Provinzen gelebt. Mit dem Fall der Kommunisten im Jahr 1992 habe die Verfolgung der religiösen Minderheit durch die Mudjaheddhin begonnen. Dabei seien die Tempel der Hindu zerstört worden und überall hätten Verfolgungen und Vertreibungen stattgefunden. Die Hindu und Sikhs hätten Hab und Gut verlassen und fliehen müssen. Berichten zufolge seien viele Frauen und Mädchen der Hindus überfallen, vergewaltigt und unter Zwang zum Islam konvertiert worden. Die schlimmste und schrecklichste Zeit habe mit dem Regime der Taliban begonnen. Die Hindu und Sikhs hätten stärkste Verfolgungen und Vertreibungen erleiden müssen. Sie hätten ihre Kleidung mit gelben Tüchern, Schals oder Turbanen und ihre Häuser mit gelben Zeichen markieren müssen, um so als Andersgläubige gekennzeichnet zu sein. Ein Großteil sei enteignet und aus dem Land vertrieben worden; der verbliebene Rest habe in Angst und Schrecken gelebt. Auch derzeit gebe es für Hindu und Sikhs In Afghanistan keine soziale Grundlage mehr. Ihre Gemeinden seien von ehemals über 100.000 Mitgliedern auf weniger als 2.500 geschrumpft. Die Hindu und Sikh in Afghanistan seien schockiert und traumatisiert. Sie wollen die schreckliche Zeit unter den Taliban nie wieder erleben. In Kabul würden Hindu nur in mehr oder weniger verfallenen Tempeln leben. Kindern gingen als Angst vor den Moslems nicht zur Schule, dort würden sie nur bedroht und auch von den Lehrern gezwungen, zum Islam überzutreten. Mädchen würden oft unter Zwang zum Islam konvertiert und minderjährige Mädchen mit Moslems zwangsverheiratet. Männer könnten nur als Tagelöhner arbeiten. Die Familien lebten vom Betteln. Unterstützung von Seiten der Regierung erhielten sie nicht. Auch unter der jetzigen Regierung seien sie ohne Rechte. Der Vertreter der dortigen Gemeinschaft in Kabul berichtete von einem Vorfall in Kandahar, wonach zwei minderjährige Mädchen zwangskonvertiert und zwangsverheiratet worden seien und dies ein zuständiger Richter für in Ordnung befunden habe. Eine Eingabe beim Innenministerium und dem Gouverneur sei erfolglos geblieben. Derartige Vorfälle seien auch aus den Provinzen Baghlan und Charikar berichtet worden.

In einer Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Oldenburg vom 9. Mai 2007 führte Dr. Danesch im Wesentlichen aus, seit seiner Reise nach Afghanistan im Dezember 2005 habe sich die Lage afghanischer Hindus nicht geändert. Hindus könnten weder in Kabul noch an anderen Orten die rituellen Vorschriften ihres Glaubens über die Verbrennung der Toten befolgen. Sie könnten weder ihre Feste öffentlich, wie vorgeschrieben, begehen noch ihre religiösen Reinheitsvorschriften einhalten.

In der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von September 2007 wird im Wesentlichen dargelegt, dass afghanische Hindus, insbesondere Rückkehrerinnen, zu einem großen Teil in ihren Tempelanlagen lebten mit Schwerpunkt in Kabul. Diese befänden sich teilweise in einem sehr schlechten Zustand. Die Lebensbedingungen seien für die meisten Afghanen schwierig, Hindus würden davon keine Ausnahme machen, aber wegen ihrem Minderheitenstatus und fehlender Unterstützung gerade in diesem Bereich eine speziell verletzliche Personengruppe bilden. Die meisten Hindu-Mitglieder würden auf das Anbringen des roten Punktes an der Stirn verzichten, damit sie auf der Straße nicht sofort als Personen hinduistischer Religions- und Volkszugehörigkeit zu erkennen seien. Zudem würden sie auf der Straße Dari - oder je nach Region - auch Pashto sprechen, um sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Personen hinduistischer Religions- und Volkszugehörigkeit seien in ihrer Religionsausübung stark eingeschränkt, da sie stets Übergriffe befürchten müssten. Daher dürfte sich der größte Teil des religiösen Lebens innerhalb der Tempel abspielen. Zentrale Probleme seien das Fehlen eines Verbrennungsplatzes sowie der mangelnde Schutz durch die Regierung. Grundsätzlich gewähre der afghanische Staat religiösen Minderheiten das Recht, ihre Religion frei ausüben zu können. Dieses Recht werde in der Verfassung jedoch selbst stark relativiert und könne in der Praxis nicht immer durchgesetzt werden. In der aktuellen Verfassung von 2003 (1382) werde in Artikel 2 der Islam weiterhin zur Staatsreligion erklärt. Angehörigen anderer Religionen werde das Recht gewährt, ihre Religion frei auszuüben, allerdings lediglich "innerhalb des gesetzlichen Rahmens". Diese Einschränkung werde mit Artikel 3 noch unterstrichen, denn dieser halte fest, dass kein Gesetz gegen die heilige Religion des Islams verstoßen dürfe. Afghanische Hindus als Angehörige einer eigenen Religions- und Volkstruppe fänden in der ganzen Verfassung nie namentlich Erwähnung. Diese Tatsache werde generell eher als Verschlechterung der verfassungsrechtlichen Stellung der afghanischen Hindus gewertet. Verschiedene Vorfälle ließen darauf schließen, dass auch im "neuen Afghanistan" keine allzu große religiöse Toleranz vorhanden sei. Gemäß Angaben des U.S. Department of State vom September 2008 sei es bei größeren Feierlichkeiten zu Ausschreitungen gegenüber der Sikh- und Hindugemeinde gekommen. Dies, obwohl es religiösen Minderheiten eigentlich erlaubt sei, ihre Religion öffentlich zu praktizieren. Entsprechend dem Bericht des U.S. Department of State vom 6. März 2007 hätten afghanische Hindus noch immer keinen Platz, an dem sie die Leichen ihrer Verstorbenen entsprechend ihrem Glauben verbrennen können. Kinder afghanischer Hindus hätten heute die Möglichkeit, öffentliche Schulen zu besuchen. In der Praxis würden sich jedoch Eltern und Kinder vor Diskriminierungen und körperlichen Übergriffen durch muslimische Mitschüler oder Lehrer fürchten. Die Rückkehr von Mitgliedern der Hindu-Gemeinde aus dem Exil gestalte sich nicht nur wegen der schlechten Sicherheitslage, sondern auch wegen den miserablen wirtschaftlichen Voraussetzungen äußerst prekär.

Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. Januar 2008 an das Verwaltungsgericht Karlsruhe ist es Hindus grundsätzlich gestattet, Verstorbene gemäß ihren religiösen Riten zu bestatten. In aller Regel erfolge dies ohne Zwischenfälle, da die Verbrennungen innerhalb der Wohn-Compounds stattfänden, in denen die Hindugemeinschaften leben würden. Sofern Verbrennungen öffentlich stattfänden, könne es zu Störungen durch Anwohner kommen. Einen derartigen Fall habe es im Sommer 2007 in einem Außenbezirk von Kabul gegeben. Letztendlich habe der Fall durch Vermittlung der Vereinten Nationen (UNAMA) gelöst werden können, die Verbrennungsrituale könnten weiterhin stattfinden. Das in Afghanistan geltende Sharia-Recht könne von der afghanischen Judikative grundsätzlich auch auf Nicht-Moslems angewandt werden. Nach Auskunft der indischen Botschaft in Kabul seien keine Fälle bekannt, wonach Hindus auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit durch afghanische Richter diskriminiert worden seien.

Nach Auskunft des UNCHR an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2008 belaufe sich die Zahl der Angehörigen der Hindus/Sikhs landesweit schätzungsweise auf 550 Familien. Von diesen lebten etwa 120 Familien in der Stadt Kabul (mehrheitlich in der Gegend Karte Parwan des Distriktes 4 sowie in den Gegenden Taimani und Qala-e Fatehullah des Distrikts 10) und 430 Familien lebten in anderen Regionen Afghanistans, wie den Provinzen Nangahar, Khost, Helmand, Kandahar, Ghazni, Uruzgan und Mazar. Bedeutsam erscheine dabei, dass zur Zeit Sikhs die Mehrheit darstellten und es nur wenige Hindus gebe. Die Rückkehrbewegung von Hindus und Shiks habe nach dem Sturz des Taliban-Regimes begonnen. Nach Angaben von Vertretern der Hindus/Sikhs in Kabul hätten in 17 Provinzen Afghanistans vor dem Konflikt und Krieg insgesamt 64 Tempel (Daramsal oder Gurdwara), darunter 11 Tempel in Kabul existiert. Auf Grund der Kämpfe in den 1990er Jahren seien 61 dieser Tempel zerstört worden. Derzeit könnten nur sechs Tempel, davon zwei in Nangahar, drei in Ghazni und einer in der Stadt Kabul - von den Angehörigen der Hindus/Sikhs genutzt werden. Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Hindus/Sikhs seien nicht In der Lage gewesen, die zerstörten Tempel wieder aufzubauen. Niemand sei in der Lage gewesen, zu helfen. Die Vertreter der Hindus/Sikhs würden beklagen, dass sie von staatlicher Seite diskriminiert würden und weiterhin folgende Schwierigkeiten hätten: Die meisten Angehörige der Hindus/Sikhs hätten keine eigene Unterkunft und lebten entweder in religiösen Tempeln (wie in Kabul) oder bei Familienangehörigen und Freunden. Die Hindu/Sikh-Vertreter hätten mit der Stadtverwaltung von Kabul sowie mit dem Ministerium für Wohnen und Stadtentwicklung gesprochen und eine schriftliche Anordnung von Präsident Karsai erhalten, in der die relevanten Regierungsstellen aufgefordert wurden, Land an Hindus und Sikhs ohne Grundbesitz zu vergeben; allerdings sei diesbezüglich bisher nichts von den Regierungsstellen unternommen worden. Die lokale Bevölkerung im Gebiet von Qalacha des Distrikts Nummer 8 der Stadt Kabul habe die Hindus/Sikhs daran gehindert, ihre Verstorbenen zu verbrennen, wie es ihre religiöse Praxis sei. Die Regierung habe Unterstützungsbereitschaft signalisiert; das Ministerium für religiöse Angelegenheiten habe zugesichert, dass Hindus und Sikhs in naher Zukunft wieder ihre traditionellen Verbrennungsstellen benutzen könnten. Allerdings seien den diesbezüglichen Ankündigungen bis heute keine konkreten Handlungen gefolgt. Es existiere nur eine Schule im Tempel im Gebiet Karte Parwan in der Stadt Kabul für alle Kinder aus dem Kreis der Hindus/Sikhs. Es sei Hindus/Sikhs grundsätzlich gestattet, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken, aber diese würden diskriminiert und von muslimischen Kindern belästigt. Nach Erkenntnissen von UNHCR seien staatliche oder internationale Stellen zwar bereit, wegen der schwach ausgeprägten Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan jedoch nicht in der Lage, Schutz zu gewähren. Die Haupteinkommensquelle für die Mehrheit der Hindu-/Sikh-Gemeinden seien Kleidungs-, Leder- und Lebensmittelgeschäfte. Die Miet- und Lebenshaltungskosten in Kabul seien sehr hoch. Es lägen UNHCR keine Berichte vor, die Versuche belegen würden, Schüler hinduistischen Glaubens zum Islam zu bekehren.

Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2008 bestehe eine systematische Verfolgung von Hindus oder Sikhs nicht, doch gehörten Nicht Muslime in Afghanistan wieder zu den verletzlichen Personengruppen und müssten im Alltag gegen Diskriminierung ankämpfen. Nach der letzten Berichterstattung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2011 sähen sich Hindus, Sikhs und Angehörige der Baha'i mit Diskriminierung, Einschüchterung und teilweise auch mit gewalttätigen Angriffen konfrontiert. Hindus und Sikhs würden nach wie vor über kein Land für ihre Verbrennungsfälle verfügen. Zudem hätten sie Probleme, konfisziertes Land zurückzuerhalten.

Nach der Lageberichterstattung des Auswärtigen Amt, zuletzt vom 10. Januar 2012, gebe sich die früher in Kabul lebende Hindu- und Sikh-Minderheit (zusammen deutlich unter 1 Prozent der Bevölkerung) praktisch nicht zu erkennen. Die Angaben zur Anzahl der in Afghanistan - v.a. in den Städten Kabul, Ghazni und Jalalabad (Provinz Nangahar) - lebenden Hindus und Sikhs würden variieren; der Dachverband der afghanischen Hindus und Sikhs In Deutschland e.V. sowie afghanische Medien gingen von etwa 3.000 Personen aus, wohingegen die Indische Botschaft In Kabul ihre Zahl mit etwa 5.000 angebe, davon ca. 1.200 bis 1.400 In Kabul. Angaben des afghanischen Nachrichtendienstes Pajhwok zufolge lebten 300 Sikhs in Kabul. Nach Information des Dachverbandes, die vom AIHCR-Büro in Kabul bestätigt werde, würden die Gemeinden der Hindus und Sikhs in Afghanistan unter wirtschaftlicher und kultureller Diskriminierung bzw. Ausgrenzung leiden. So sähen sich Hindus und Sikhs Berichten von UNHCR zufolge Diskriminierungen, etwa bei der Anstellung von Regierungsbehörden, ausgesetzt; dies sei aus Sicht des Auswärtigen Amtes plausibel. Kinder der Hindu- und Sikh-Gemeinde seien beim Besuch staatlicher Schulen Belästigungen durch Lehrer und Mitschüler ausgesetzt. Hindus und Sikhs blieben weiterhin zudem - wie Angehörige anderer Minderheiten - häufig Opfer illegaler Landnahme. Häuser und Grundstücke würden von lokalen Machthabern und deren bewaffneter Gefolgschaft besetzt. Dem UNHCR seien Fälle bekannt, in denen Hindus illegal von einzelnen lokalen Machthabern aus ihren Häusern vertrieben worden seien bzw. nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland ihren rechtmäßigen Grundbesitz nicht mehr zurückerhalten hätten. Diese illegale Landnahme gehe nicht selten mit massiven Einschüchterungen der rechtmäßigen Eigentümer einher. Die von den Taliban zerstörten hinduistischen und Sikh-Tempel seien zum größten Teil nicht wieder aufgebaut worden. Seit 2006 seien keine Fälle von religiöser Verfolgung gegen Hindus und Sikhs mehr bekannt geworden, während es zuvor mitunter zu Handlungen gekommen sei, die sich gegen die Ausübung ihrer religiösen Sitten und Gebräuche gerichtet habe. Hindus und Sikhs könnten in Afghanistan öffentlich ihren Glauben praktizieren. Nach Aussage der AIHCR würden sich Hindus und Sikhs dennoch lediglich in den Hauptstädten der Provinzen Kabul und Nangahar trauen, ihren Glauben offen zu praktizieren. Im April 2010 hätten sich Hindu- und Sikh-Gemeinden erstmals seit vielen Jahren mit einer öffentlichen Feier zum über 300-jährigen Bestehen der Sikh-Kultur In Afghanistan wieder bemerkbar gemacht. Die Feier in einem Stadtteil von Kabul sei Medienberichten zufolge, die das Auswärtige Amt für belastbar halte, ungehindert und friedlich verlaufen.

Nach alledem ist das Gericht im Wege einer Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien auch unter Berücksichtigung der Angaben der Kläger, die bis Ende 2010 in Kabul gelebt haben, davon überzeugt, dass eine gruppengerichtete politische oder religiöse Verfolgung von Hindus in Afghanistan nicht stattfindet. Zwar berichten die Auskunftsstellen weitgehend übereinstimmend, dass die noch in Afghanistan verbliebenen Hindus Diskriminierungen ausgesetzt sind und diese versuchen, sich nicht als Hindus zu erkennen zu geben. Die meisten Hindu-Mitglieder würden insbesondere auf das Anbringen des roten Punktes auf der Stirn verzichten, um auf der Straße nicht sofort als Personen hinduistischer Religions- und Volkszugehörigkeit erkannt zu werden. Davon berichtete auch der Kläger und gab weiter an, bespuckt und als Ungläubiger beschimpft worden zu sein, insbesondere, wenn er den roten Punkt auf der Stirn getragen hat. Auch seien Kinder der Hindu- und Sikh-Gemeinde beim Besuch staatlicher Schulen Belästigungen durch Lehrer und Mitschüler ausgesetzt. Allerdings erreichen die bekannten Referenzfälle und Benachteiligungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Gruppe nach Überzeugung des Gerichts nicht die Schwelle, ab der eine Verfolgungsdichte anzunehmen wäre, noch belegen sie in ausreichendem Maß eine staatliche Untätigkeit im Vorgehen gegen solche Übergriffe mit dem Ziel der Vernichtung dieser Minderheit. Den genannten Berichten ist u.a. zu entnehmen, dass Haupteinnahmequelle der Hindus das Betreiben von Kleidungs-, Leder- und Lebensmittelgeschäften ist. Auch der Kläger führte aus, seinen Lebensunterhalt mit einem Lebensmittelgeschäft verdient zu haben. Hinweise auf Übergriffe auf Hindus allein wegen deren Auftretens in der Öffentlichkeit finden sich in den Auskünften insoweit aber nicht. Hindus ist es in Afghanistan auch nicht verboten, ihre Religion auszuüben. Der Kläger führte insoweit in der mündlichen Verhandlung selbst aus, jeden Tag in den Tempel Asmai Mandar zum Beten gegangen zu sein. Dass der Kläger deswegen Probleme gehabt hat, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Den Hindus ist grundsätzlich ferner gestattet, Verstorbene gemäß ihren religiösen Riten zu bestatten. In aller Regel erfolgt dies ohne Zwischenfälle, da die Verbrennungen innerhalb der Wohn-Compounds stattfänden, in denen die Hindugemeinschaften leben würden. Der Kläger selbst führte in der mündlichen Verhandlung aus, die Leiche seines Sohnes im Tempel Asmai Mandar religiös bestattet bzw. verbrannt zu haben. Dies habe auch den religiösen Vorgaben entsprochen. Bei den Verbrennungen Im Tempel habe es keine Probleme gegeben. Sofern Verbrennungen öffentlich stattfinden, kann es zwar zu Störungen durch Anwohner kommen. Einen derartigen Fall hat es im Sommer 2007 in einem Außenbezirk von Kabul gegeben, der dann aber letztendlich durch Vermittlung der Vereinten Nationen (UNAMA) gelöst werden hat können. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet, dass vereinzelt in den letzten Jahren auch religiöse Feiern im öffentlichen Raum, offenbar ohne Störungen, stattgefunden haben, auch wenn sich diese auf einen kurzen Straßenabschnitt beschränkt hätten. Entscheidend ist nach Meinung des Gerichts, dass nach der aktuellen Lageberichterstattung des Auswärtigen Amtes seit 2006 keine Fälle religiöser Verfolgung oder Diskriminierung gegen Hindus mehr bekannt geworden sind, während es zuvor mitunter zu Handlungen gekommen ist, die sich gegen die Ausübung ihrer religiösen Sitten und Gebräuche gerichtet hätten. Auch sei eine öffentliche Feier zum über 300-jährigen Bestehen der Sikh-Kultur im April 2010, bei der sich Hindu und Sikh-Gemeinden erstmals seit vielen Jahren wieder in Afghanistan wieder bemerkbar gemacht haben, Medienberichten zufolge, die die Botschaft für belastbar halte, ungehindert und friedlich verlaufen.

Nach alledem führt die Zugehörigkeit der Kläger zur Gemeinschaft der Hindus nicht zu einer landesweiten Verfolgungsgefahr. Diese Auffassung wird auch in der Rechtsprechung vertreten (VG Trier, Urteil vom 2.2.2011, VG Hamburg, Urteil vom 10.9.2008, VG Sigmaringen, Urteil vom 16.3.2008, OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.6.2008). Die gegenteilige Auffassung In Rechtsprechung (Hess. VGH, Urteil vom 2.4.2009, Sächs. OVG, Urteil vom 28.8.2009, VG Gießen, Urteil vom13.4.2012, zitiert nach juris) überzeugt angesichts der obigen Ausführungen nicht. Insbesondere eine Verfolgungsdichte, bei der eine Gruppenverfolgung anzunehmen wäre, lässt sich den genannten Auskünften nicht entnehmen. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Flüchtlingszuerkennung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung daher nicht zu. [...]