OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2002 - 21 A 1550/01.A - asyl.net: M2043
https://www.asyl.net/rsdb/M2043
Leitsatz:

"Untertauchen" des Asylantragstellers kann Rechtsschutzinteresse der Klage auf Asylanerkennung entfallen lassen; § 81 AsylVfG schließt Abweisung des Rechtsschutzbegehrens wegen Wegfall des allgemeinen Rechtsschutzinteresse nicht aus.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Asylverfahren, Berufungszulassungsantrag, Zulässigkeit, Rechtsschutzbedürfnis, Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses, Untertauchen, Nichtbetreiben des Verfahrens, Betreibensaufforderung
Normen: AsylVfG § 81; VwGO § 92 Abs. 2; VwGO § 126 Abs. 2
Auszüge:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist wegen Fortfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (geworden).

Für alle verwaltungsgerichtlichen Verfahrensarten gilt gleichermaßen, dass nur derjenige einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jede gerichtliche Anrufung regelmäßig von einem entsprechenden (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnis getragen ist. Nur in Ausnahmefällen ist es im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt, eine Sachentscheidung des Gerichts wegen Missbrauch des Justizgewährungsanspruchs auszuschließen (vgl. dazu Stein, Die Sachentscheidungsvoraussetzung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses im Verwaltungsprozess, 2000, S. 31 ff).

Weiterhin besteht ein breiter Konsens darin, dass das erforderliche Rechtsschutzinteresse - ausnahmsweise - auch im Laufe des Verfahrens entfallen kann, wenn im Einzelfall das Verhalten des Rechtsschutzsuchenden Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 92 Rdnr. 9b). Ein solcher Fall kann in asylrechtlichen Streitigkeiten dann vorliegen, wenn der Asylsuchende "untergetaucht" ist; dies kann ein typisches Anzeichen dafür sein, dass das Rechtsschutzinteresse weggefallen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 -, NVwZ-Beilage Nr. I 3/1999, S. 17, 18; BVerwG, Urteil vom 06. August 1996 - 9 C 169.95 -, 1136, 1137; VGH Mannheim, Urteil vom 11. Dezember 1997 - A 12 S 3426/95 -, VBIBW 1998, 273; VGH Kassel, Urteil vom 18. August 2000 - 12 UE 420/ 97. A -, AuAS 2000, 211 m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 06. Juni 2000 - 21 A 1679/99. A -).

So liegen die Dinge hier. Das Verhalten des Klägers, der seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland bis zu seinem "Untertauchen" durch den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestritten hatte, dessen letzmalig erteilte Aufenthaltsgestattung nur bis zum 19. Juni 2001 gültig war, der wegen unbekannten Aufenthaltes am 12. Juli 2001 "nach unbekannt" abgemeldet wurde, und der seitdem - seit mehr als 6 Monaten - "untergetaucht" und für seinen Prozessbevollmächtigten wie das Gericht unerreichbar ist, lässt insgesamt nur den Schluss zu, dass er an einer Sachentscheidung über seinen im April 2001 gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung kein Interesse mehr hat. Sämtliche Nachforschungen sind ergebnislos verlaufen. An der Verwerfung des Antrags wegen Fortfalls des Rechtsschutzbedürfnisses ist der Senat nicht durch die Regelung des § 81 AsylVfG (in einer entsprechenden Anwendung auf das Antragsverfahren auf Zulassung der Berufung) und die dort vorgesehene Möglichkeit einer Betreibensaufforderung gehindert. Diese Vorschrift, der ebenso wie § 92 Abs. 2 und § 126 Abs. 2 VwGO die an das Verhalten des Rechtsschutzsuchenden anknüpfende Vermutung eines Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses zugrunde liegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998, a. a. O., 18; Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmannn/Pietzner, VwGO, Stand Januar 2001, § 92 Rdnr. 46), und die an das Nichtbetreiben des Verfahrens die Fiktion der Klagerücknahme (hier: Antragsrücknahme) knüpft, schließt eine Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung und Würdigung des fortgefallenen Rechtsschutzbedürfnisses - nach entsprechender Anhörung - nicht aus. Die gegenteilige Auffassung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, !2. Aufl. 2001, Vorb. § 40 Rdnr. 54 und § 92 Rdnr. 18 für den Anwendungsbereich des § 92; Stein, a. a. O., S. 62 f.), die aus den genannten Vorschriften abschließende Sonderregelungen herleiten will, überzeugt schon allgemein nicht, geschweige denn für den Fall des "untergetauchten" Asylbewerbers. Ihrem Wortlaut lässt sich eine derartige Spezialität des § 81 AsylVfG und der §§ 92 Abs. 2, 126 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen.