VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 02.08.2012 - M 11 K 11.30160 - asyl.net: M20432
https://www.asyl.net/rsdb/M20432
Leitsatz:

Einem Asylbewerber, der in Italien subsidiären Schutz erlangt hat, steht kein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zu, da dieses nicht dazu dient, einem Drittstaatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, eine Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen.

Schlagwörter: Selbsteintritt, Selbsteintrittsrecht, systemische Mängel, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Italien, subsidiärer Schutz, Aufnahmebedingungen, Aufnahmekapazitäten, überlastete Aufnahmekapazitäten, erniedrigende Behandlung, unmenschliche Behandlung,
Normen: VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, GR-Charta Art. 4, RL 2004/83/EG, AsylVfG § 71a, VwVfG § 51 Abs. 1, VwVfG § 51 Abs. 1-3,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger steht zudem kein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zu. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in Kapitel III. dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urt. der Großen Kammer vom 21.12.2011, Az. C-411/10 und C-493/10, NVwZ 2012, 417) wäre die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedstaat dann mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unvereinbar, falls ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systematische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen. Wären in dem aufnehmenden Mitgliedstaat derartige systematische Mängel festzustellen, so könnte ein Anspruch auf eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO bestehen (VGH Baden-Württemberg vom 19.06.2012, Az. A 2 S 1355/11). Vorliegend besaß der Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in Italien offensichtlich nicht den Status als Asylbewerber im Sinne von Art. 2 lit. d) Dublin II-VO; ein Asylverfahren wurde in Italien nicht (mehr) durchgeführt. Insoweit kann dahin stehen, ob der Kläger tatsächlich in Italien niemals einen Asylantrag gestellt oder - wofür hier vieles spricht - die entsprechende Prüfung seines Asylantrages in Italien mit der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß Art. 18 RL 2004/83/EG vom 29. April 2004 abgeschlossen worden war. Das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dient jedenfalls nicht dazu, einem Drittstaatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, eine Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen. Der Kläger kann sich - als in Italien aufenthaltsberechtigter Drittstaatenangehöriger - auch nicht auf angebliche tatsächliche oder rechtliche Defizite im Asylsystem der Republik Italien berufen, die - gegebenenfalls - eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG vom 12.10.2010, Az. 2 BvR 1902/10). Daher kommt es hier auch nicht auf die Rechtsprechung der Kammer an (vgl. VG München vom 6.12.2011, Az. M 11 E 11.30965), wonach trotz der Schwierigkeiten in Italien im Hinblick auf die überlastete Aufnahmekapazität von Asylantragstellern kein Anlass zur Annahme besteht, Italien sei kein sicherer Drittstaat mehr oder gewähre dem Antragsteller keinen Schutz nach Maßgabe des einschlägigen Gemeinschaftsrechts. Der Sache nach rügt der Kläger die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Italien, denen er als aufenthaltsberechtigter Drittstaatenangehöriger ausgesetzt sei. Diese Lebensumstände für einen Aufenthaltsberechtigten können jedoch keinen Anspruch auf Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO begründen.

Einer Prüfung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrages kommt auch nicht gemäß § 71a AsylVfG in Betracht. Stellt ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist danach ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG vorliegen.

Vorliegend ist bereits fraglich, ob im Falle des Klägers ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in diesem Sinne angenommen werden kann, da ihm jedenfalls der subsidiäre Schutzstatus zugebilligt wurde. Im Übrigen ist auch insoweit nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern die Republik Italien für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zuständig. Ferner hat der Kläger bei Antragstellung keine Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG geltend gemacht. [...]