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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 10.04.2013 - 16 L 295/13.A - asyl.net: M20636
https://www.asyl.net/rsdb/M20636
Leitsatz:

Ist einem Asylbewerber die Ersatzzustellung des Bescheids des Bundesamtes in einen Gemeinschaftsbriefkasten nicht bekannt geworden, obwohl er den Briefkasten regelmäßig kontrolliert hat, so ist ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren.

Schlagwörter: Suspensiveffekt, aufschiebende Wirkung, Postzustellungsurkunde, Zustellung, Briefkasten, Gemeinschaftsunterkunft, Niederlegung, Ersatzzustellung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Fristversäumnis,
Normen: VwGO § 60 Abs. 1, ZPO § 181,
Auszüge:

[...]

Nach der im Eilverfahren nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist das Gericht davon überzeugt, dass die am 12.03.2013 gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 13.12.2012 erhobene Klage gemäß § 80 Abs.1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet. Soweit die Antragsgegnerin den Eintritt der aufschiebenden Wirkung unter Hinweis auf die wegen Versäumung der Klagefrist festzustellende Unzulässigkeit der Klage verneint, vermag ihr das Gericht nicht zu folgen. Eine Klage vermag nur dann den Suspensiveffekt nicht auszulösen, wenn die Unzulässigkeit des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs bereits im summarischen Verfahren offensichtlich ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Es könnte fraglich erscheinen, ob mit der in der Postzustellungsurkunde dokumentierten Niederlegung des mit der Klage 16 K 1884/13.A angefochtenen Bescheides vom 13.12.2012 bei der Partnerfiliale ... und der Einlegung der schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung in den Hausbriefkasten der Asylbewerbergemeinschaftsunterkunft in ... der Zustellungsprozess abgeschlossen worden, mithin eine wirksame Zustellung erfolgt ist. Ausweislich des Inhaltes dieser in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde dem Antragsteller der Bundesamtsbescheid vom 13.12.2012 mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung am 14.12.2012 durch Niederlegung (§ 3 Abs. 3 VwZG, § 181 ZPO) zugestellt, weil eine Übergabe an den Antragsteller oder eine Ersatzzustellung in der Gemeinschaftseinrichtung (vgl. § 178 Abs.1 Nr. 3 ZPO) nicht möglich war. Danach wäre die Zweiwochenfrist zur Klageerhebung am 28.12.2012 abgelaufen, die (erst) am 12.03.2013 erhobene Klage wäre verfristet.

Allerdings setzt der Antragsteller dem entgegen, die Postzustellungsurkunde sei in sich widersprüchlich, weil mit ihr einerseits dokumentiert werde, dass eine Einlegung der Sendung in den Briefkasten nicht möglich gewesen, andererseits aber die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in den Briefkasten eingeworfen worden sei. Auch sei der erforderliche Zustellversuch beim Antragsteller persönlich unterlassen worden, weil die Deutsche Post in Gemeinschaftsunterkünften grundsätzlich nicht persönlich zustelle, wie sich aus einer Auskunft des Unternehmens vom 28.10.2002 an das VG Koblenz ergebe.

Vorliegend dürfte zwar rechtlich nicht zu beanstanden sein, dass ein Einwurf der schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung in den von allen Bewohnern gemeinsam genutzten, nicht mit den Namen der Bewohnern versehenen Briefkasten der Gemeinschaftseinrichtung erfolgt ist, obwohl bei solchen Einrichtungen grundsätzlich eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen solchen Briefkasten nicht vorgesehen ist. Ob allerdings bei Gemeinschaftseinrichtungen grundsätzlich auf den Versuch einer Übergabe der zuzustellenden Sendung an den Adressaten selbst und ggf. den Leiter der Einrichtung oder einen dazu bevollmächtigten Vertreter verzichtet werden kann, erscheint fraglich (vgl. zu alledem BTDrucksache 14/4554 zu § 180; Sodan, Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage 2010, § 56 Rn. 61, 67; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.01.2005 - 4 L 15/05.A -, juris).

Einer Entscheidung dieser Rechtsfragen bedarf es vorliegend jedoch nicht, weil dem Antragsteller (jedenfalls) Wiedereinsetzung in die (ggf.) versäumte Klagefrist zu gewähren ist; er war im Sinne des § 60 Abs.1 VwGO ohne eigenes oder ihm zuzurechnendes Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten.

Unverschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn dem Betreffenden nach den gesamten Umständen kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass er die Frist versäumt hat, ihm also die Einhaltung der Frist nicht zumutbar war. Das erfordert, dass die Fristversäumnis auch bei Anwendung derjenigen Sorgfalt nicht zu vermeiden war, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Prozessführenden geboten und zuzumuten war (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.08.1996 - 20 A 3523/95 -, juris).

Nach diesem Maßstab ist die Klagefrist hier nicht unter Außerachtlassung der vom Antragsteller zu verlangenden angemessenen Sorgfalt versäumt worden.

Nach seiner schlüssigen, widerspruchsfreien Darstellung - auch die Antragsgegnerin hat keine Veranlassung gesehen, dieser Einlassung zu widersprechen - ist die Klage deshalb nicht fristgerecht erhoben worden, weil dem Antragsteller die Ersatzzustellung des Bescheides des Bundesamtes mangels Kenntnis von der in den Gemeinschaftsbriefkasten gelangten Niederlegungsmitteilung nicht bekannt war, er vielmehr erstmals mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 28.02.2013 darüber informiert worden ist, dass ein sein Asylverfahren abschließender Bescheid ergangen war. Dem weiteren - gleichfalls von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestelltem - Vorbringen des Antragstellers ist zu entnehmen, dass die ca. 26 Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft über einen gemeinsamen Außenbriefkasten verfügen, zu dem der Antragsteller bis ca. Mitte Februar 2013 ausschließlich Zugang über Mitbewohner hatte, die über eigene Briefkastenschlüssel verfügten. Ab ca. Mitte Februar 2013 sei ihm vom Hausmeister ein eigener Schlüssel ausgehändigt worden, wie der Mitarbeiter des Sozialamtes ..., Herr ..., bestätigen könne.

Hiervon ausgehend kann dem Antragsteller nicht vorgehalten werden, er habe keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, dass ihn die an ihn gerichtete Post tatsächlich auch erreicht. Vielmehr kann der Vortrag des Antragstellers bei verständiger Würdigung nur dahingehend verstanden werden, dass er seinen Postverkehr ordnungsgemäß überwacht hat und sich regelmäßig - zunächst unter Mithilfe von Mitbewohnern, dann mit dem ihm ausgehändigten eigenen Schlüssel - um in den Gemeinschaftsbriefkasten gelangte Post gekümmert und diese auch durchgesehen und kontrolliert hat, damit an ihn adressierte Schriftstücke nicht übersehen werden oder verlorengehen. Damit hat der Antragsteller alles Erforderliche getan, um eine im Sinne der Rechtsprechung erforderliche sorgfältige Überprüfung des Inhaltes des Briefkastens zu gewährleisten, um die für einen geordneten Rechtsverkehr unerlässliche Kenntnisnahme von eingehender Post nicht in unvertretbarer Weise zu gefährden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.08.1996, a.a.O.).

Wenn nach alledem die hier fragliche Mitteilung der Deutschen Post vom 14.12.2012 den Antragsteller nicht erreicht hat, kann dies auf der Grundlage der im summarischen Verfahren nur überprüfbaren Sachlage nach heutigem Aktenstand nur darauf beruhen, dass ein Dritter - vermutlich ein anderer Mitbewohner der Gemeinschaftsunterkunft - diese Niederlegungsmitteilung dem Gemeinschaftsbriefkasten entnommen und damit dem Zugriff des Antragstellers entzogen hat. Danach war der Antragsteller ohne eigenes oder ihm zuzurechnendes Verschulden gehindert, die Klagefrist einzuhalten. [...]