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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 23.01.2013 - AN 9 K 11.30458, AN 9 K 11.30459 (= ASYLMAGAZIN 10/2013, S. 338 f.) - asyl.net: M20702
https://www.asyl.net/rsdb/M20702
Leitsatz:

Es ist davon auszugehen, dass die Asylantragstellung im Ausland durch die Behörden in Myanmar grundsätzlich als eine regimefeindliche Handlung gewertet wird. Bei Rückkehr ohne gültigen Pass droht Inhaftierung. Die menschenrechtliche Situation hat sich zwar in Myanmar im letzten Jahr eindeutig verbessert, jedoch bleibt es von einem Rechtsstaat noch weit entfernt, und Behördenwillkür ist weit verbreitet. Es wurden bislang keine Veränderungen oder Amnestien in Bezug auf das Einwanderungsgesetz mit seinen Strafandrohungen für den Fall der illegalen Einreise vorgenommen.

Schlagwörter: Myanmar, Asylantrag, Asylantragstellung, regimefeindliche Handlung, illegaler Auslandsaufenthalt, illegale Einreise, unerlaubte Einreise, unerlaubter Auslandsaufenthalt, Willkür, Behördenwillkür,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Es gilt insoweit zunächst die allgemeine Situation in Myanmar zu berücksichtigen. In Myanmar herrscht ein sehr repressives System, das seit 1962 durch das Militär bestimmt wird. Schon die friedliche Meinungsäußerung kann zu Freiheitsstrafen führen, es gibt keine unabhängige Justiz und politische Verfahren finden typischerweise nicht öffentlich statt. Die Haftbedingungen für politische Gefangene sind sehr hart. Medizinische Hilfe wird ihnen oft nicht oder nur verzögert gewährt. Sicherheitskräfte nehmen willkürlich Personen fest und führen harte Verhörpraktiken durch. Es kommt zu Folter und extralegalen Tötungen durch die Sicherheitskräfte (vgl. VG Freiburg vom 17.6.2010 Az. A 6 K 314/10). Die myanmarischen Behörden unterhalten einen Staatssicherheitsdienst, der mutmaßliche regimekritische Aktivitäten unter Zuhilfenahme eines personalintensiven Überwachungsapparates und des Einsatzes moderner technischer Mittel beobachtet (Auswärtiges Amt, Schreiben vom 12.11.2007 an das Bundesamt; VG Augsburg vom 23.9.2011 Az. Au 6 K 11.30042).

Es ist davon auszugehen, dass die Asylantragstellung durch die Behörden in Myanmar grundsätzlich als eine regimefeindliche Handlung gewertet wird (UNHCR, Schreiben vom 2.11.2007 an das VG Karlsruhe; VG Freiburg vom 17.6.2010 Az. A 6 K 314/10). Nach Auskunft des UNHCR a.a.O. droht Personen aus Myanmar, die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, allein deswegen bei ihrer Rückkehr nach Myanmar Strafverfolgung oder politische Verfolgung. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes hat zwar die Beantragung von Asyl in Deutschland allein keine Auswirkungen auf das persönliche Wohlergehen bei Rückkehr nach Myanmar, dies sei allerdings anders zur beurteilen, wenn weitere Umstände wie z.B. die Begehung einer Straftat nach myanmarischem Recht hinzuträten. Eine solche Straftat kann die illegale Ausreise aus Myanmar und/oder (Wieder-) Einreise nach einem illegalen Auslandsaufenthalt sein (vgl. Auswärtiges Amt, Schreiben vom 11.7.2012 an das VG Ansbach). Für den Fall der illegalen Einreise droht eine Strafe nach section 13 (1) des Immigration Act von 1947. Diese Strafe für illegale Einreise, die auch die Einreise ohne gültigen Pass erfasst, beträgt mindestens sechs Monate und höchstens fünf Jahre Freiheitsstrafe und/oder eine Geldstrafe (vgl. Amnesty International, Schreiben vom 30.8.2012 an das VG Ansbach; UNHCR, Schreiben vom 21.12.2012 an das VG Ansbach). Personen, die ohne gültigen Pass nach Myanmar zurückkehren und beispielsweise nur über ein Identitätszertifikat verfügen, werden bei der Ankunft durch die Einreisebehörden einer Befragung unterzogen, was auch die Verbringung in ein Befragungszentrum nach sich ziehen kann, wo Praktiken wie Schlaf- und Nahrungsentzug zur Anwendung kommen können. Die Rückkehr ohne gültigen Pass beinhaltet das Risiko eines Gefängnisaufenthaltes (Home Office, UK Border Agency, Operational Guidance Note Burma (Myanmar), Juli 2012, S. 37 f.). Sofern die Behörden Kenntnis davon erlangen, dass die ohne gültigen Pass zurückkehrende Person einen Asylantrag gestellt hat, der abgelehnt wurde, ist davon auszugehen, dass dies einen signifikanten Effekt auf die Länge der Gefängnisstrafe für die illegale Einreise hat (Home Office, UK Border Agency, Operational Guidance Note Burma (Myanmar), Juli 2012, S. 39).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles, dass den Klägerinnen im Falle einer Rückkehr Maßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG drohen, auch wenn sie selbst wohl unpolitisch sind.

Es kann offen bleiben, ob man bereits in Übereinstimmung mit der Auskunft des UNHCR (2.11.2007 an das VG Karlsruhe) davon ausgeht, dass allein die Asylantragstellung In Deutschland eine drohende politische Verfolgung in Myanmar mit sich zieht. in diesem Zusammenhang ist auf den Fall des aus der Schweiz abgeschobenen ... zu verweisen, der nach seiner Rückkehr wegen seiner Asylantragstellung zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde. Es erscheint zweifelhaft, hierin ohne nähere Darlegung der Zahl abgeschobener Asylbewerber und einer beispielsweise durch das Auswärtige Amt dokumentierten Überwachung der diesen zuteilwerdenden Behandlung durch den myanmarischen Staat nur einen Ausnahmefall zu sehen. Hiergegen sprechen schon die durch Willkür geprägten Verhältnisse in Myanmar (vgl. hierzu VG Freiburg vom 17.6.2010, Az. A 8 K 314/10). Jedenfalls kommen bei den Klägerinnen weitere Umstände hinzu, die dazu führen, dass eine Gefährdung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu bejahen ist.

Zum einen sind die Pässe der Klägerinnen abgelaufen und eine Verlängerung der Pässe war ihnen nicht möglich, obwohl sie diesbezügliche Anstrengungen unternommen haben. Dies steht für das Gericht aufgrund des Vorbringens der Klägerinnen in der Anhörung beim Bundesamt und insbesondere aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindrucks zur Überzeugung des Gerichtes fest. Die Klägerinnen haben schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargelegt, wie sie versucht haben, eine Verlängerung der Pässe zu bewirken und diesbezüglich gescheitert sind. Eine Einreise mit den abgelaufenen Pässen kann zu den oben ausgeführten Konsequenzen in Form von Befragungen mit möglichem Schlaf- oder Nahrungsentzug sowie einer Gefängnis- oder Geldstrafe führen, wobei sich die Kenntniserlangung der Behörden von der Asylantragstellung strafverschärfend auswirken würde. Von einer solchen Möglichkeit der Kenntniserlangung ist auch auszugehen, da die myanmarischen Behörden typischerweise herausfinden, dass eine Person im Ausland einen Asylantrag gestellt hat (UNHCR, Schreiben vom 2.11.2007 an das VG Karlsruhe).

Zum anderen kommt hinzu, dass der Ehemann bzw. Vater sowie weitere Kinder bzw. Geschwister der Klägerinnen als Asylberechtigte in Deutschland leben. Es ist davon auszugehen, dass den myanmarischen Behörden deren Asylantragstellung und der Aufenthalt in Deutschland bekannt sind. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass die Klägerinnen selbst entsprechende Angaben im Rahmen der Passverlängerung gemacht haben, andererseits ist ohnehin auch anzunehmen, dass durch die Auslandsvertretungen Aufklärungsarbeit betrieben wird (vgl. Auswärtiges Amt, Schreiben vom 12.11.2007 an das Bundesamt). Auch die eher geringen Zahl von Staatsangehörigen Myanmars in Deutschland spricht dafür, dass entsprechende Kenntnisse auch von der erfolgreichen Asylantragstellung des Vaters vorliegen. Aus diesen Kenntnissen können sich aber nachteilige Folgen in Form von Repressalien für die übrige Familie ergeben. Im Rahmen einer diesbezüglichen Gefährdungsprognose ist einzubeziehen, dass die älteste Tochter bzw. Schwester der Klägerin mittlerweile nicht mehr in Myanmar, sondern seit 2011 in Malaysia lebt, da sie, nachdem der Rest der Familie Myanmar verlassen hatte, verschiedentlich Repressalien in Form von Bedrohungen durch staatliche Organe ausgesetzt war.

Auch infolge der aktuellen politischen Entwicklung ist keine andere Beurteilung angezeigt. Zwar hat sich die menschenrechtliche Situation in Myanmar im letzten Jahr eindeutig verbessert, jedoch bleibt Myanmar von einem Rechtsstaat noch weit entfernt und es sind weiterhin Fälle von Behördenwillkür weit verbreitet (Amnesty International, Schreiben vom 30.8.2012 an das VG Ansbach). Nach Angaben von UNHCR (Schreiben vom 21.12.2012 an das VG Ansbach) sind bislang keine Veränderungen oder Amnestien in Bezug auf das Einwanderungsgesetz mit seiner Strafdrohung für den Fall der illegalen Einreise vorgenommen worden (vgl. auch VG Augsburg vom 23.9.2011 Au 8 K 11.30042). [...]