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LG Hannover

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Zitieren als:
LG Hannover, Beschluss vom 07.05.2013 - 8 T 72/11 - asyl.net: M20800
https://www.asyl.net/rsdb/M20800
Leitsatz:

Bei einer Abschiebungsandrohung ist eine Befristung des Einreiseverbots unter Beachtung der Vorgaben der Rückführungsrichtlinie vorzunehmen. Eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in einem vor der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erlassenen Bescheid genügt diesen Anforderungen nicht.

Schlagwörter: Rückkehrentscheidung, Rückführungsrichtlinie, Ausreisepflicht, Abschiebungshaft, Abschiebung, Ablehnungsbescheid, offensichtlich unbegründet,
Normen: AufenthG § 56 Abs. 2 S. 1, RL 2008/115/EG Art. 3 Nr. 4, AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3,
Auszüge:

[...]

Es fehlt an einer Rückkehrentscheidung, die den Erfordernissen der Rückführungsrichtlinie Rechnung trägt.

a) Der Haftantrag der Ausländerbehörde hat nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG unter anderem Tatsachen zur Verlassenspflicht des Betroffenen sowie zu den Voraussetzungen und Durchführbarkeit der Abschiebung zu enthalten. Dazu gehört es, die Grundlage der Abschiebung und ihre Vollziehbarkeit darzulegen. Grundlage für die Vollstreckung einer beabsichtigten Abschiebung ist eine Rückkehrentscheidung. Fehlt es an einer für die Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf auch eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vollziehbare Ausreisepflicht nicht ohne weiteres mit einer Abschiebung durchgesetzt werden.

b) Nach Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie ist eine Rückkehrentscheidung die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der ein illegaler Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Gemäß Art. 11 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Nach Art. 11 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie soll die Dauer des Einreiseverbots nach den Umständen des Einzelfalls festgesetzt werden und in der Regel fünf Jahre nicht überschreiten. Rückkehrentscheidungen sollen schriftlich ergehen, begründet werden und Informationen über mögliche Rechtsbehelfe enthalten.

Durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) ist die Rückführungsrichtlinie mit der am 26. November 2011 in Kraft getretenen Neufassung des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt worden. Hinsichtlich der Dauer der Frist ist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

Sofern eine Ausreisepflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt statuiert worden ist, kann eine solche Rückkehrentscheidung durch die Androhung der Abschiebung begründet werden (BGH 14.03.2013, Az. V ZB 135/12, juris Rn. 7).

c) Unstreitig hat die Ausländerbehörde nach dem Aufgreifen des Betroffenen am 03.11.2011 keine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Ausländerbehörde hat insoweit in der Antragsergänzung vom 29.11.2011 auf den Bescheid des Bundesamtes vom 21.08.2002 Bezug genommen. Die in diesem Bescheid enthaltene Aufforderung, die Bundesrepublik zu verlassen, und die Androhung der Abschiebung genügen jedoch nicht mehr den Anforderungen an eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie, die mit der am 26. November 2011 in Kraft getretenen Neufassung des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt worden ist.

Der im Jahre 2002 erlassene Bescheid enthält keinen Hinweis auf ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall, dass der Betroffene die Bundesrepublik nicht freiwillig verlässt. Auch eine Befristung eines Einreiseverbotes erfolgte nicht. Seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 haben Ausländer jedoch grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 genannte Wirkungen (Einreise- und Aufenthaltsverbot, Titelerteilungssperre) befristet (BVerwG, Urt. v. 13.12.2012, Az. 1 C 14.12, Rdnr.11).

d) Auch wenn in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. geregelt worden ist, das die Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots nur auf Antrag befristet werden, muss bei richtlinienkonformer Auslegung für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet, genügen (BVerwG a.a.O., Rdnr. 11).

Danach hätte die Ausländerbehörde in dem Moment, in dem sich der Betroffene gegen seine Ausweisung wendet und bekundet, in der Bundesrepublik einen Asylantrag stellen zu wollen, über die Befristung des mit der Abschiebung vom 24.03.2005 verbundenen Einreiseverbotes entscheiden müssen. Da die Regelfrist von fünf Jahren abgelaufen war, hätte sie im Haftantrag darlegen müssen, warum von einer längeren Frist auszugehen war, oder hätte dem Betroffenen gegenüber eine erneute Rückkehrentscheidung treffen müssen.

e) Die Ausländerbehörde kann sich nicht auf § 71 Abs. 5 AsylVfG berufen. Soweit es zum Vollzug der Abschiebung in den Fällen, in denen nach einer Wiedereinreise ein Asylfolgeantrag gestellt wird, keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung bedarf, gilt dies aus den genannten Gründen nicht, wenn eine frühere Abschiebungsandrohung aufgrund des regelmäßigen Fristablaufs des Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren keine Wirkungen mehr entfalten kann.

f) Danach war der Bescheid vom 21.08.2002 als Grundlage für eine Verlassenspflicht des Betroffenen unter Berücksichtigung des Regelungsmodells der Rückführungsrichtlinie nicht ausreichend. Ohne eine den Regelungen der Rückführungsrichtlinie entsprechende Rückkehrentscheidung lagen die Voraussetzungen für einen Antrag auf Sicherungshaft nicht vor. [...]