VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2002 - 7 L 3644/01 - asyl.net: M2091
https://www.asyl.net/rsdb/M2091
Leitsatz:

Anspruch auf "Umverteilung" eines geduldeten Ausländers wegen familiärer Gründe (hier: notwendiger Beistand durch Ehemann mit gesichertem Aufenthalt wegen schwerer psychischer Erkrankung); Ende der Wirkung der Zuweisung im Asylverfahren (im Fall war zwischen den Ausländerbehörden die örtliche Zuständigkeit für die Erteilung der Duldung strittig).(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Türken, Abgelehnte Asylbewerber, Duldung, Ausländerbehörde, Örtliche Zuständigkeit, Zuweisungsentscheidung, Aufenthaltsgestattung, Räumliche Beschränkung, Abschiebungshindernis, Reisefähigkeit
Normen: AuslG § 56 Abs. 3; OBG § 4 Abs. 1; AuslG § 64 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

Die Kammer versteht das Begehren so, dass die Antragstellerin beantragt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, sie vor Ablauf von zwei Wochen ab Zustellung seiner Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in die Türkei abzuschieben oder zwangsweise nach xxx zu verbringen und ihm aufzugeben, ihr für diesen Zeitraum weitere Duldungsbescheinigungen auszustellen.

Der Antrag ist begründet hinsichtlich des Begehrens, nicht zwangsweise nach xxx zurückgebracht zu werden. Der Antragsgegner darf eine solche Maßnahme gegen die Antragstellerin nicht ergreifen, weil diese nicht (mehr) verpflichtet ist, ihren Aufenthalt gem. der im früheren Asylverfahren ergangenen Zuweisungsentscheidung in Bayern bzw. (nach landesinterner Verteilung und Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung mit räumlicher Beschränkung) in xxx zu nehmen. Vielmehr darf sie sich in xxx aufhalten.

Die Zuweisungsentscheidung hindert die Antragstellerin nicht daran, nunmehr in xxx wohnhaft zu sein, da von ihr keine Rechtswirkungen mehr ausgehen. Zwar bleibt eine Zuweisungsentscheidung grundsätzlich bis zur aufenthaltsrechtlichen Abwicklung bestehen (vgl. zu § 22 AsylVfG a.F.: BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1988 - 9 C 2.88 -, DVBl. 1989, 262 ff. (263); Urteil vom 31. März 1922 - 9 C 155.90 -, NVwZ 1993, 276 ff.; OVG NW, Beschluss vom 18. April 1989 - 19 B 585/89 -, NWVBl. 1989, 446; zu § 44 ff. AsylVfG n.F.: OVG NW, Beschluss vom 2. Juni 1995 - 18 B 2001/94 -).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird von der Rechtsprechung aber angenommen, wenn dem Ausländer nach Abschluss des Asylverfahrens - auch durch Duldung - ein asylunabhängiger Aufenthalt ermöglich wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 1989 - 9 C 28.99 -, DVBl. 1990, 490; Urteil vom 31. März 1992, a.a.O.; OVG NW, Beschluss vom 18. April 1989, a.a.O., 447; Beschluss vom 2. Juni 1995 - 18 B 2001/94 -; Beschluss vom 30. Januar 1997 - 25 B 2973/96 -).

Hat sich der Aufenthalt des Ausländers in dieser Weise aus dem Asylverfahren gelöst, so ist die Zuweisungsentscheidung gegenstandslos.

So liegt der Fall hier. Seitdem sich die Antragstellerin, die nach Abschluss ihres Asylverfahrens im August 1999 zunächst unbekannten Aufenthaltes war, Anfang Juni 2001, also vor etwa neun Monaten, bei dem Antragsgegner gemeldet hatte, sind Abschiebungsmaßnahmen gegen sie nicht eingeleitet worden. Es ist gegenwärtig auch nicht absehbar, ob und wann solche Maßnahmen ergriffen werden, da sich diesbezüglich keine Ausländerbehörde für zuständig hält (vgl. zu einem ähnlichen Fall: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16. Juni 2000 - 4 M 2124/00 und 4 M 2288/00 -, NVwZ-Beilage I 1/2001, 12 f.).

Während die Zuweisungsgemeinde xxx ausweislich ihres Schreibens an den Antragsgegner vom 7. Dezember 2001 auf dem Standpunkt steht, die Antragstellerin habe nach dem (angeblichen) Aufenthalt in der Schweiz nunmehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt befugtermaßen in xxx begründet, weshalb die Zuständigkeit auf den Antragsgegner übergangen sei, ist diese der Ansicht, aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien von der Stadt xxx zu ergreifen, da diese als Zuweisungsgemeinde nach wie vor zuständig sei. Diesen unterschiedlichen Auffassungen entsprechend übersandte die Stadt xxx die Ausländerakte der Antragstellerin mit dem Vermerk "Wiederzuzug aus dem Ausland" an den Antragsgegner; dieser sandte sie umgehend "zuständigkeitshalber" an die Stadt xxx zurück. In dem Aktenübersendungsschreiben an das Gericht bittet wiederum die Stadt xxx, die Akte nach Erledigung an den Antragsgegner zu übersenden. Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser Versuche, sich gegenseitig die Zuständigkeit "zuzuschieben", mit einer alsbaldigen Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet nicht zu rechnen ist, diese vielmehr, da sich niemand für zuständig hält, zumindest faktisch im Bundesgebiet geduldet wird, ohne dass absehbar ist, ob und gegebenenfalls wann aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen werden.

Hinzu kommt, dass die der Antragstellerin am 16. August 2001 vom Antragsgegner auf Ersuchen der Stadt xxx erteilte, mit Unterbrechungen zuletzt bis zum 30. November 2001 gültige Duldung nicht der Abwicklung des Asylverfahrens bis zur alsbaldigen Aufenthaltsbeendigung diente, sondern dem Umstand Rechnung trug, dass in ihrer Person ein faktisches Abschiebungshindernis in Form krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit bestand. Auch wenn die Duldung jeweils nur für kurze Zeiträume erteilt wurde, war doch damals - und ist auch heute noch - nicht abzusehen, ob und wann das Abschiebungshindernis entfallen wird.

Auch die räumlichen Beschränkungen der ihr erteilten Duldungen hindern die Antragstellerin nicht an der Wohnsitznahme in xxx. Die seitens der Stadt xxx unter dem 10. Dezember 2001 ausgestellte Duldung (die der Antragsgegner umgehend einzog und an die Stadt xxx zurückschickte) enthielt eine räumliche Beschränkung auf das Gebiet der Stadt xxx (die allerdings im Hinblick darauf, dass der Geltungsbereich von Duldungen nach klarer Gesetzeslage, vgl. § 56 Abs. 3 S. 1 AuslG, nicht auf Gebiete außerhalb des jeweiligen Landes erstreckt werden kann, nichtig gewesen sein dürfte). Die am 16. August 2001 vom Antragsgegner auf Ersuchen der Stadt xxx erteilte Duldung war räumlich auf das Gebiet des Kreises xxx beschränkt.

Schließlich steht auch die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung (auf das Gebiet der Stadt xxx und des Kreises xxx) dem Verbleib der Antragstellerin in xxx nicht entgegen. Die Aufenthaltsgestattung ist mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des negativen Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. Februar 1999 erloschen, vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AuslG. Die Frage, welche Auswirkungen dies auf die räumliche Beschränkung hatte, ob sie ebenfalls erloschen ist oder gem. § 44 Abs. 6 AuslG in Kraft blieb - wobei letzteres allerdings im Hinblick darauf zweifelhaft erscheint, dass zum einen § 44 Abs. 6 AuslG ausgehend von seinem Wortlaut das Inkraftbleiben von Beschränkungen nur im Zusammenhang mit (dem Wegfall) einer Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung, nicht dagegen einer Aufenthaltsgestattung, vorsieht (gegen eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Aufenthaltsgestattungen: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16. Juni 2000 - 4 M 2124/00 und 4 M 2288/00 -, a.a.O., 13; eine analoge Awendung befürwortend: OVG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2000 - 8 S 21/00 -, NVwZ-Beilage I 2/2001, 20 f. (21)), und zum anderen dann, wenn (wie hier) die Zuweisungsentscheidung keine Rechtswirkungen mehr entfaltet, einiges dafür spricht, dass die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung jedenfalls das rechtliche Schicksal der ihr zu Grunde liegenden Zuweisungsentscheidung teilt - bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn sollte die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung ebenfalls erloschen sein, würde sie schon aus diesem Grunde den Aufenthalt der Antragstellerin in xxx nicht hindern. Im Ergebnis nichts anderes würde gelten, wenn die Beschränkung in Kraft geblieben wäre. Denn dann wäre sie später durch den Antragsgegner abgeändert worden. Wie oben erwähnt, hatte der Antragsgegner der Antragstellerin nämlich am 16. August 2001 eine Duldung erteilt, die räumlich auf das Gebiet des Kreises xxx beschränkt war. Diese Beschränkung gilt gem. § 44 Abs. 6 AuslG trotz Ablaufes der Geltungsdauer der Duldung bis zu ihrer Aufhebung oder der Ausreise der Antragstellerin fort. Eine ausdrückliche Aufhebung der räumlichen Beschränkung ist bislang nicht erfolgt. Ob der Antragsgegner dadurch, dass er die Antragstellerin aufforderte, sich nach xxx zu begeben, die Beschränkung auf den Kreis xxx zumindest konkludent wieder aufgehoben hat (wobei allerdings) mit Blick darauf, dass Beschränkungen der Duldung gem. § 66 Abs. 1 S. 1 AuslG der Schriftform bedürfen, fraglich ist, ob der Umkehrakt der Aufhebung, um wirksam zu sein, nicht auch schriftlich erfolgen müsste), kann dahinstehen. Denn durch eine etwaige Aufhebung der räumlichen Beschränkung der Duldung auf das Gebiet des Kreises xxx wäre die frühere Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nicht gleichsam "automatisch" wieder aufgelebt. Vielmehr würde die Antragstellerin sich dann ohne räumliche Beschränkung im Bundesgebiet aufhalten.

Lediglich klarstellend, zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten, weist die Kammer darauf hin, dass, sollte die räumliche Beschränkung der erloschenen Aufenthaltsgestattung zunächst fortgegolten haben (was im Foglenden unterstellt wird), die Änderung dieser Beschränkung durch den Antragsgegner zu Recht erfolgt sein dürfte. Insbesondere war der Anragsgegner für diese Maßnahme örtliche zuständig. In Nordrhein-Westfalen richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 4 Abs. 1 OBG (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 1997 - 18 B 1853/96 -, NVwZ-RR 1998, 201).

Nach dieser Vorschrift ist die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Danach war hier die Zuständigkeit des Antragsgegners gegeben, denn das öffentliche Interesse, das hier darin bestand, dass ein Ausländer sich nicht entgegen einer räumlichen Beschränkung im Bundesgebiet aufhält, wurde im Bezirk des Antragsgegners verletzt. Dieser war auch nicht etwa deshalb an einer Änderung der Beschränkung gehindert, weil diese nicht von ihm, sondern von der Ausländerbehörde der Stadt xxx erlassen worden war. Wie sich aus § 64 Abs. 2 S. 1 AuslG ergibt, dürfen räumliche Beschränkungen nämlich auch von einer anderen Ausländerbehörde als derjenigen, die die Maßnahmen angeordnet hat, geändert werden (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 3. November 1999 - 7 K 1413/99 -, AuAS 2000, 77 A<zur Zuständigkeit bei Änderung der räumlichen Beschränkung einer Duldung>).

Ist der Antragsgegner nach alledem nicht berechtigt, die Antragstellerin zwangsweise nach xxx zu verbringen, beabsichtigt er aber andererseits auch nicht, sie in die Türkei abzuschieben (woran er zurzeit wegen der ungeklärten Reisefähigkeit der Antragstellerin ohnehin gehindert wäre), so hat er ihr entsprechende Duldungsbescheinigungen auszustellen. Die Systematik des Ausländergesetzes lässt grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass ein Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht betrieben wird, sieht das Gesetz nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 1 C 23/99 -, NVwZ 2000, 938 ff 939>).