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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A (= ASYLMAGAZIN 9/2013, S. 294 ff.) - asyl.net: M20982
https://www.asyl.net/rsdb/M20982
Leitsatz:

Die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) hat in der Zeit von 1993 bis 1995 schwere nichtpolitische Straftaten begangen. Bestehen jedoch keine schwerwiegenden Gründe für die Annahme, dass ein Mitglied hierfür individuell verantwortlich gewesen ist, da er weder eine hervorgehobene Position innehatte noch unmittelbar an den begangenen Gewaltakten beteiligt war, liegt der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG nicht vor.

Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung besteht bei Personen, bei denen Besonderheiten vorliegen, etwa weil sie in das Fahndungsregister eingetragen sind, gegen sie Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig sind oder die sich in besonders exponierter Weise exilpolitisch betätigt haben und deshalb in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie dort als potenzielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden.

Schlagwörter: Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, DHKP-C, Türkei, Dev-Sol, Gewalt, Gewaltakte, Guerillakämpfer, Guerilla, Staatssicherheitsgericht, Folter, Unterstützung, Unterstützungshandlung, Sicherheitsbehörden, türkische Sicherheitsbehörden, Ausschlussgrund, Rückkehrgefährdung, Fahndung, Fahndungsregister, Exilpolitik, PKK, Terrorismusverdacht, Terrorismus, terroristische Vereinigung, schwere nichtpolitische Straftat, Tatbeitrag,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 1, GG Art. 16a Abs. 2, AsylVfG § 26a, AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

ff) Die Voraussetzungen der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG erfüllt der Kläger nicht.

aaa) Der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG liegt nicht vor.

(1) Zwar hat die DHKP-C in der Zeit zwischen 1993 und 1995, zu welcher der Kläger ihr angehört hat, schwere nichtpolitische Straftaten begangen.

Die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front), die neben der THKP/C (Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke) Nachfolgeorganisation der Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) ist, hat in diesem Zeitraum terroristische Methoden angewandt. Sie verfolgte das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem durch einen bewaffneten Volkskrieg zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Im Mai 2002 hat der Rat der Europäischen Union die DHKP-C auf die europäische Liste der Terrororganisationen gesetzt […].

(2) Allerdings bestehen keine schwerwiegenden Gründe für die Annahme, dass der Kläger hierfür individuell verantwortlich gewesen ist.

(a) Zunächst kann dem Kläger eine individuelle Verantwortung für die von der DHKP-C im maßgeblichen Zeitraum begangenen Taten nicht aufgrund einer tatsächlichen Vermutung im Sinne der oben dargelegten Maßstäbe zugerechnet werden. Hierfür fehlt es an der notwendigen hervorgehobenen Position des Klägers. Dieser hat zur Überzeugung des Senats während der gesamten Zeit seiner etwas mehr als einjährigen Zugehörigkeit zur (damaligen) Dev-Sol untergeordnete Tätigkeiten auf Weisung verrichtet (Transport von Waren, Führen von Gruppen an vorgegebene Orte). Entscheidungsbefugnisse standen ihm nicht zu, sonstige hervorgehobene Aufgaben hatte er nicht inne. Der Senat hat keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bezogen auf die von ihm innegehabten Aufgaben die Unwahrheit gesagt haben könnte. Für die Richtigkeit seiner Angaben spricht nicht zuletzt auch sein damaliges Alter. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass jüngere Mitglieder der DHKP-C zunächst einmal mit untergeordneten Aufgaben betraut worden sein dürften. Eine Tätigkeit des Klägers als (Gelände-)Führer ist auch ohne Weiteres plausibel, da er in der Gegend aufgewachsen war und es aus diesem Grund naheliegt, dass er über entsprechende Ortskenntnisse verfügte. Auch der Gutachter Irmak bewertet die Angaben des Klägers als durchaus nachvollziehbar (vgl. Gutachten vom 29. September 2012, S. 12).

Andere Anhaltspunkte für eine hervorgehobene Position des Klägers innerhalb der DHKP-C hat der Senat trotz entsprechender Aufklärungsbemühungen nicht. Weitere Aufklärungsansätze sind nicht ersichtlich.

(b) Es bestehen auch keine schwerwiegenden Anhaltspunkte für die unmittelbare Beteiligung des Klägers an einzelnen von der DHKP-C begangenen Gewaltakten. Der Kläger selbst hat angegeben, er habe lediglich im Nachhinein von den Aktionen einer von ihm zu einem Einsatzort geführten Gruppe erfahren. Im Zeitraum von 1993 bis 1995 habe es wahrscheinlich zwei bewusst geplante Aktionen gegeben. Der erste Vorfall habe zwei Soldaten betroffen, die an einem militärischen Kontrollpunkt getötet worden seien. Der zweite Vorfall habe sich ungefähr einige Monate vor seinem Ausscheiden aus der Organisation ereignet. Es seien einige, möglicherweise zwei Dorfbewohner getötet worden, die aus Sicht der Dev-Sol einen Verrat gegenüber den Sicherheitsbehörden begangen hätten. Die Dorfbewohner sollen ermöglicht haben, fünf Mitglieder der Organisation zu töten.

Selbst wenn diese beiden Taten das Merkmal einer schweren nichtpolitischen Straftat erfüllen sollten, stellt der mögliche Tatbeitrag des Klägers in Form der Beihilfe keinen wesentlichen logistischen, organisatorischen oder auch unmittelbar ideologischen, d. h. zu terroristischen Taten aufrufenden Beitrag zur Durchführung entsprechender Verbrechen im Bewusstsein von deren Erleichterung dar.

Die Tätigkeit des Klägers, für die der Senat nach dessen Angaben und den Nachforschungen des Gutachters lrmak klare und glaubhafte Indizien hat, beschränkte sich auf allgemeine Propaganda, den Transport von Waren und das Führen von Guerilla-Kämpfern zu vorgegebenen Orten. Seine strikte Gebundenheit an die Befehle des jeweiligen Kommandanten und die erhebliche Gefahr, im Falle seiner Weigerung Pressionen ausgesetzt zu werden, hat der Kläger in seiner Befragung vor dem Senat anschaulich und überzeugend geschildert.

In subjektiver Hinsicht fehlte es an dem Willen des Klägers, einen wesentlichen Beitrag zu schweren nichtpolitischen Straftaten zu erbringen. Er hat glaubhaft ausgeführt, erst im Nachhinein von konkreten Taten erfahren zu haben. Bezogen auf die transportierten Waren hat er lediglich Vermutungen anstellen können. Dies bedeutet, dass der Kläger zwar ein allgemeines Bewusstsein von den Übergriffen der DHKP-C auf die Zivilbevölkerung und insbesondere auf vermutete Spitzel gehabt haben wird; von konkreten Übergriffen hat er im Vorhinein jedoch keine Kenntnis gehabt. Damit hatte er auch keine Einflussmöglichkeiten, derartige Taten zu verhindern. Zudem hat er der Organisation nur relativ kurze Zeit angehört, so dass auch ein mögliches auf längere Dauer angelegtes Inkaufnehmen von objektiven Beiträgen zu schweren nichtpolitischen Straftaten von vorneherein ausscheidet.

(c) Es bestehen trotz der entsprechenden rechtskräftigen Verurteilungen auch keine schwerwiegenden Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Klägers an den Taten, die in den Urteilen des Staatssicherheitsgerichts Malatya vom 26. Dezember 1995 (aa) und des Staatssicherheitsgerichts Ankara vom 4. September 2001 (bb) aufgeführt sind.

(aa) Der Senat ist davon überzeugt, dass das vom Kläger in dem Verfahren, das zum Urteil des Staatssicherheitsgerichts Malatya vom 26. Dezember 1995 geführt hat, abgegebene Geständnis unter Folter erzwungen worden ist. Es durfte daher ebenso wenig zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung gemacht werden wie die weiteren im Urteil zitierten Zeugenaussagen. Nach der seinerzeitigen Strafverfolgungspraxis in der Türkei sind diese Aussagen mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls unter psychischem Zwang erfolgt. Dies bedeutet, dass die in dem o. g. Urteil enthaltenen Feststellungen auch in Anbetracht des gegenüber § 108 VwGO abgesenkten Beweismaßes keine schwerwiegenden Gründe für die Annahme bieten, dass der Kläger die ihm in diesem Urteil zu Last gelegten Taten tatsächlich begangen hat. Es fehlt an klaren und glaubhaften Indizien für die Begehung dieser Taten durch den Kläger.

(aaa) Im Urteil des Staatssicherheitsgerichts Malatya vom 26. Dezember 1995, das dem Senat in deutscher Übersetzung vorliegt, wird ausgeführt, dass der Kläger die DHKP-C zunächst logistisch unterstützt habe, er später Mitglied geworden und näher bezeichneten Gefechten mit Sicherheitskräften beteiligt gewesen sei. Des Weiteren soll er ausweislich des Urteils am 20. Juli 1994 an der Tötung von zwei Soldaten ... mitgewirkt haben.

Sowohl seinen eigenen Angaben zufolge als auch ausweislich der Feststellungen des Staatssicherheitsgerichts hat der Kläger vor der Polizei und dem Haftrichter angegeben, dass er Mitglied der DHKP-C sei und an den genannten Gefechten sowie an der Tötung von zwei Soldaten und an dem Überfall auf das Dorf ... beteiligt gewesen sei. Dagegen hat er vor dem Staatssicherheitsgericht lediglich eingeräumt, Mitglied der DHKP-C zu sein. Eine Beteiligung an bewaffneten Aktionen hat er ausdrücklich verneint. Er sei für die Organisation nur propagandistisch tätig gewesen. Bei dem Verhör sei er durch die Polizisten gefoltert worden, und er widerrufe daher seine bei der Polizei und dem Haftrichter gemachten Aussagen. Diese entsprächen nicht der Wahrheit.

Das Staatssicherheitsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger an den ihm vorgeworfenen Gefechten und Überfällen sowie der Tötung von zwei Soldaten beteiligt gewesen sei. Das Urteil stützt sich dabei auf die Aussagen der als Mitglieder der DHKP-C verhörten .... Die Aussage des Klägers bei der Polizei wurde vor dem Hintergrund dieser Zeugenaussagen als glaubhaft gewertet. Darüber hinaus hat das Staatssicherheitsgericht auf die bei der Festnahme des Klägers sichergestellten, die DHKP-C betreffenden Dokumente, die beschlagnahmte Waffe des Klägers sowie das diese Waffe betreffende ballistische Gutachten verwiesen.

Weitere Beweismittel liegen nicht vor. Das Staatssicherheitsgericht hat zwar u. a. auch auf Tatprotokolle und Tatortskizzen als Beweismittel zurückgegriffen. Seinen Ausführungen lässt sich aber nicht entnehmen, dass der Kläger in diesen Unterlagen namentlich erwähnt wurde.

(bbb) Der Senat sieht diese Feststellungen im Urteil des Staatssicherheitsgerichts nicht als schwerwiegende Anhaltspunkte für die Begehung schwerer nichtpolitischer Straftaten durch den Kläger an. Zwar hat es die genannten Gefechte, den Vorfall, bei dem zwei Soldaten getötet wurden, und den Überfall auf das Dorf ... im Kreis ... nach den Feststellungen des vom Senat beauftragten Gutachters tatsächlich gegeben (vgl. Irmak, Gutachten vom 29. September 2012, S. 13).

Es fehlt angesichts der Gesamtumstände aber an schwerwiegenden Anhaltspunkten für eine Beteiligung des Klägers an diesen Taten.

Zunächst fehlt es bereits an Feststellungen, welche konkreten Tatbeiträge der Kläger geleistet haben soll, so dass für die hier anzustellende Prüfung auch in Anbetracht des abgesenkten Beweismaßstabes offen ist, ob diese in objektiver und subjektiver Hinsicht geeignet sind, den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG zu verwirklichen.

Unabhängig hiervon bestehen auch deswegen keine schwerwiegenden Anhaltspunkte für die Begehung der angeschuldigten Taten durch den Kläger, weil - abgesehen von der vom Kläger eingestandenen Mitgliedschaft in der DHKP-C und den konkreten Aufgaben für diese Organisation - keine ausreichenden Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine Beteiligung des Klägers an den ihm zur Last gelegten Kampfhandlungen oder an erheblichen Unterstützungshandlungen für solche schließen lassen. Das Geständnis des Klägers bei der türkischen Polizei lässt sich hierfür nicht verwerten. Der Senat ist davon überzeugt, dass es unter Einsatz von Folter erzwungen worden ist. Darauf hat der Kläger sich bereits vor dem Staatssicherheitsgericht Malatya berufen. Diesen Vortrag hat er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt wiederholt und auch in der Folgezeit umfassend und detailreich bestätigt. Ergänzend hat er eine schriftliche Darstellung zu den Akten gereicht. Die Glaubhaftigkeit seiner Aussage wird zudem durch die Stellungnahme der auf die Betreuung von Folteropfern spezialisierten "XENION Psychosoziale Hilfe für politische Verfolgte e. V." vom 29. Mai 2006 bestätigt.

Die Schilderung des Klägers über Anlass und Ausmaß der erlittenen Folter deckt sich zudem mit der allgemeinen Erkenntnislage über die Anwendung von Folter in der Türkei der 1990er Jahre zur Erzwingung von Geständnissen. Eine Person, welche seinerzeit unter dem Verdacht der Zugehörigkeit zur DHKP-C festgenommen wurde, musste mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, unter Anwendung von Folter verhört zu werden. Es war zudem Praxis, dass die Polizei die Festgenommen beim Verhör unter Anwendung physischer und psychischer Folter gezwungen hat, die Verantwortung für bestimmte Vorfälle zu übernehmen oder eine vorgefertigte Aussage zu unterschreiben. Um zu verhindern, dass unter Folter erwirkte Aussagen von den Beschuldigten vor dem Haftrichter widerrufen wurden und um die Betreffenden einzuschüchtern, waren die Sicherheitskräfte während der Anhörung meist im Gerichtssaal anwesend. Ihre Anwesenheit im Gerichtssaal verlieh ihrer Drohung, für den Fall des Widerrufs der Aussage mit der Folter fortzufahren, Nachdruck und verhinderte eine wahrheitsgemäße Aussage vor dem Richter. Solche Situationen sind insbesondere in der Zeit, in welcher der Notstand herrschte, und in Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten zu beobachten gewesen (vgl. lrmak, Gutachten vom 29. September 2012, S. 14 f.).

Dies wird bestätigt durch die allgemeine Problematik unfairer Gerichtsverfahren in der Türkei, was insbesondere für Fälle gilt, die - wie hier - nach der Antiterrorgesetzgebung verhandelt wurden. Verurteilungen erfolgten oft nach unzureichender Beweisermittlung und unter Heranziehung von wahrscheinlich unter Folter erpressten Aussagen (vgl. Amnesty international, Länderbericht Türkei, Dezember 2010, S. 4).

Ist mithin davon auszugehen, dass das Geständnis des Klägers unter Folter erzwungen worden ist, bieten die hierin enthaltenen Angaben keinen in rechtsstaatlicher Weise verwertbaren schwerwiegenden Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Kläger die eingeräumten Taten auch tatsächlich begangen hat.

Der Senat hat auch im Übrigen keine belastbaren Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger an den ihm vorgeworfenen Taten beteiligt gewesen ist. Insbesondere ergibt sich nicht deshalb etwas anderes, weil andere DHKP-C-Angehörige den Kläger in ihren Aussagen ebenfalls belastet haben. Auch aus diesen Aussagen ergibt sich zum einen kein konkreter Tatbeitrag des Klägers. Zum anderen ist nach der seinerzeitigen Strafverfolgungspraxis in der Türkei und den konkreten Umständen, wie sie der Kläger anlässlich seiner Verhaftung durch die türkischen Sicherheitskräfte erfahren hat, davon auszugehen, dass deren Aussagen, die ebenfalls vor türkischen Sicherheitskräften erfolgt sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Zwang erfolgt sind.

Auch der Hinweis des Staatssicherheitsgerichts auf die bei der Festnahme bei dem Kläger sichergestellten Dokumente, seine Waffe sowie das ballistische Gutachten, das lediglich besagt, dass diese Waffe früher bei Aktionen der DHKP-C verwendet worden war (vgl. Irmak, Gutachten vom 29. September 2012, S. 14), begründet keinen schwerwiegenden Anhaltspunkt für eine konkrete Tatbeteiligung des Klägers. Sie belegen zwar, dass der Kläger mit der DHKP-C in Verbindung stand. Dies hat der Kläger in seinem Asylverfahren und im gerichtlichen Verfahren aber ebenso wenig in Abrede gestellt wie den Umstand, dass er eine Waffe getragen hat.

Andere Anhaltspunkte für die Beteiligung des Klägers an den vorgeworfenen Taten hat der Senat trotz entsprechender Aufklärungsbemühungen nicht (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Stellungnahme vom 11. Mai 2012, S. 5 f.).

Die DHKP-C selbst hat in den Berichten über die im Urteil des Staatssicherheitsgerichts behandelten Vorfälle und in ihren Erklärungen hierzu nicht erläutert, welche ihrer Mitglieder an den Aktionen beteiligt waren (vgl. Irmak, Gutachten vom 29. September 2012, S. 13).

Soweit das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2012 von der Teilnahme des Klägers an den ihm vorgeworfenen Taten ausgeht, benennt es - von der Tatsache der Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht abgesehen - keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger an diesen Taten tatsächlich beteiligt gewesen ist.

Weitere Ermittlungsansätze sind nicht ersichtlich.

(bb) Ebenso fehlen schwerwiegende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die im Urteil des Staatssicherheitsgerichts Ankara vom 4. September 2001, das dem Senat ebenfalls in deutscher Übersetzung vorliegt, aufgeführte Tat vom Kläger begangen worden ist. Auch in Anbetracht des gegenüber § 108 VwGO abgesenkten Beweismaßes fehlt es zur Überzeugung des Senats an klaren und glaubhaften Indizien für die Begehung dieser Tat durch den Kläger.

(aaa) Nach den Feststellungen im Urteil des Staatssicherheitsgerichts Ankara vom 2001 wurde der Kläger wegen der auf Befehl der DHKP-C erfolgten Ermordung des Strafgefangenen ... verurteilt. Dieser wurde … erdrosselt. Durch die Protokolle, Tatortskizzen und den Autopsiebericht wurde dies bestätigt. Ausweislich des Urteils gab der Kläger in jeder Phase des Strafverfahrens an, dass er dem Opfer gemäß dem Beschluss der Organisation allein ... erdrosselt habe.

(bbb) Der Senat hat gleichwohl keine gewichtigen Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Tat, die ein schweres nichtpolitisches Verbrechen darstellt, begangen hat.

Zwar steht fest, dass ... aufgrund eines Beschlusses der DHKP-C im Gefängnis ermordet worden ist. Dies wird durch die am 8. Juli 1999 erfolgte Erklärung Nr. 90 der DHKP-C, welche in der Zeitschrift "Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Devrimcl Sol", Ausgabe Nr. 14 vom Juli 1999 veröffentlicht wurde, bestätigt. In dieser sechs Seiten umfassenden Erklärung bekennt sich die DHKP-C zu der Tat und erläutert ihre Motive. Die Identität der Täter wird nicht enthüllt (vgl. lrmak, Gutachten vom 29. September 2012, S. 15 f.).

Abgesehen von den Aussagen des Klägers gegenüber den türkischen Behörden und dem Staatssicherheitsgericht gibt es jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er diese Tat tatsächlich begangen hat. Ob der im Urteil des Staatssicherheitsgerichts erwähnte Zeuge ... Augenzeuge der Tat gewesen ist, lässt sich den dortigen Feststellungen nicht entnehmen; das Staatssicherheitsgericht hat sein Urteil nicht auf die Aussage dieses Zeugen gestützt. Der Kläger selbst hat im Asylverfahren und im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren stets angegeben, dass er von der Tötung nichts gewusst habe, bis der Zellenvertreter zu ihm gekommen sei und ihn aufgefordert habe, die Verantwortung zu übernehmen. Hätte er die Schuld nicht auf sich genommen, wäre er getötet worden. In den Augen der Gruppe habe er eine Straftat begangen, weil er die Organisation verlassen habe. Er sei innerhalb der Gruppe derjenige gewesen, der die höchste Strafe bekommen habe, so dass sich eine weitere Strafe bei ihm nicht weiter ausgewirkt habe.

Berücksichtigt, man diese Aussage und die von der DHKP-C abgegebene Erklärung sowie die Aussagen der als Zeugen vernommenen Häftlinge aus der Gemeinschaftszelle Nr. 13, von denen sich keiner zur Sache eingelassen hat, ist es zunächst wenig plausibel, dass der Kläger den Mord an ... in der von ihm gegenüber den türkischen Sicherheitskräften geschilderten Weise begangen haben kann. Dass eine Person das Opfer allein ins Bad bringt, ihm die Hände fesselt und es erwürgt, ohne dass andere Gefangene der Gemeinschaftszelle davon etwas mitbekommen, ist schwer vorstellbar. Es ist auch undenkbar, dass eine solche Kraft und Anstrengung erfordernde Tat angesichts der räumlichen Verhältnisse in einer mit bis zu 50 Häftlingen belegten Gemeinschaftszelle unbemerkt durchgeführt werden konnte. Der Geschehensablauf insgesamt bestätigt aber, dass der Mord auf Beschluss der DHKP-C begangen wurde (vgl. Gutachten vom 29. September 2012, S. 16).

Dass der Kläger gleichwohl gegenüber den türkischen Sicherheitskräften und auch vor Gericht die Verantwortung für diese Tat übernommen hat, hält der Senat für nachvollziehbar und in der Gesamtwürdigung für überzeugend. Diesem Vorgang liegt eine plausible, detailreiche und stimmige Schilderung des Klägers zugrunde, die sich auch mit den objektiven Umständen der Vorgehensweise der DHKP-C deckt (vgl. Gutachten vom 29. September 2012, S. 16; Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 15. Mai 2012, S. 3: jedenfalls sei dies nicht auszuschließen).

Der Kläger hatte einerseits keine weiteren wesentlichen Nachteile zu erwarten, da er ohnehin eine lebenslange Haftstrafe zu verbüßen hatte; andererseits hatte er sich bereits vor seiner Festnahme von der DHKP-C losgesagt und musste befürchten, im Falle einer Weigerung, die Verantwortung auf sich zu nehmen, ebenfalls als Verräter bestraft zu werden.

Das Geständnis des Klägers gegenüber den türkischen Sicherheitsbehörden stellt sich zwar auch als mittelbare Unterstützungshandlung zugunsten der DHKP-C, konkret zugunsten des wahren Täters, dar. Diesbezüglich fehlt es jedoch unter Würdigung aller erheblichen Umstände am notwendigen Gewicht des Tatbeitrags, da der Kläger, wie von ihm glaubhaft angegeben, die Strafe auf Befehl eines höherrangigen Verantwortlichen der DHKP-C übernommen hat. Im Übrigen handelte der Kläger unter dem Eindruck erheblicher Pressionen, da er sich, hätte er das Begehren abgelehnt, ebenfalls der Gefahr der Bestrafung durch die DHKP-C - bis hin zur Tötung - ausgesetzt hätte [...]