OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.04.2002 - 4 A 3113/95.A - asyl.net: M2113
https://www.asyl.net/rsdb/M2113
Leitsatz:

Zur Gefährdung wegen exilpolitischer Tätigkeit und zur Versorgungslage in der Demokratischen Republik Kongo.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Bakongo, PDSC, Mitglieder, Demonstrationen, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Antragstellung als Asylgrund, Überwachung im Aufnahmeland, Politische Entwicklung, Mobutu, Kabila, Machtwechsel, Herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungszusammenhang, Unterbrechung des Verfolgungszusammenhangs, Gebietsgewalt, Südwestkongo, Ostkongo, Rebellenbewegungen, Waffenstillstand, Abkommen von Lusaka, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Zeugenaussage Okito, Reisedokumente, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Existenzminimum, Frauen, Kinder, unbegleitete Minderjährige, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Malaria, Infektionsrisiko, Semi-Immunität, Immundefekt, Allgemeine Gefahr
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

 

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG noch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungshindernissen zu.

Ein Anspruch nach § 51 Abs. 1 AuslG scheitert nicht bereits daran, dass es in der DRK mangels einer effektiven staatlichen Gewalt an der Möglichkeit einer asylerheblichen Verfolgungsgefahr fehlen könnte. Effektive Gebietsgewalt in diesem Sinne ist jedenfalls im südlichen bzw. südwestlichen Teil der DRK, in dem der Flughafen Kinshasa/N Djili gelegen ist, über den allein eine Abschiebung erfolgen kann, gegeben.

Nach den dargelegten Grundsätzen zum inneren Zusammenhang zwischen erlittener und erneut drohender Vefolgung ist davon auszugehen, dass Verfolgungsmaßnahmen unter der Herrschaft Mobutus, die einer aus einer konkreten Situation erwachsenen und auf sie beschränkten Protesthaltung galten (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 27. April 1982 - 9 C 308.81 -, NVwZ 1983, 160), oder an Kritik an der Person Mobutus anknüpften, sich aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse - im Sinne eines Wiederauflebens der Vorverfolgung - nicht wiederholen werden, so dass insoweit der herabgestufte Prognosemaßstab keine Anwendung findet.

Soweit es um die Frage geht, ob Personen, die in der DRK und/oder in der Bundesrepublik Deutschland das Mobutu-Regime bekämpft haben, bei einer Rückkehr in die DRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, nimmt der Senat aufgrund der vorstehend dargelegten Veränderung der politischen Verhältnisse an, dass sie wegen dieser Aktivitäten schon unter der Regierung L.D. Kabila nichts mehr zu befürchten hatten (vgl. Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 14. Juli 1997 gegenüber dem VG Sigmaringen und Auskunft des Auswärtigen Amts (AA) vom 27. Februar 1998 an das OVG NRW; vgl. in diesem Zusammenhang auch zahlreiche im November 1999 ergangene Beschlüsse des erkennenden Senats, u.a. vom 3. November 1999 - 4 A 3240/95.A -.)

Dafür, dass sich insoweit nach dem Regierungsantritt von J. Kabila etwas zum Nachteil der Asylsuchenden geändert hat, ist nichts ersichtlich (vgl. dazu AA, Auskunft vom 28. März 2002 an das VG Gelsenkirchen).

Soweit es um die Frage geht, ob politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen exilpolitischer Aktivitäten gegen die Regierungen L.D. Kabila und/oder J. Kabila droht, ist zu differenzieren. Eine Gefahr besteht insoweit nach Überzeugung des Senats möglicherweise dann, wenn Asylbewerber Aktivitäten entfaltet haben, die den Regierungsstellen bekannt geworden sind und die sie als Ausdruck einer ernst zu nehmenden Gegnerschaft ansehen, weil die Aktivitäten den Bestand der Regierung gefährden könnten oder jedenfalls als geeignet erscheinen, die Regierung in der inländischen oder ausländischen Öffentlichkeit in erheblichen Misskredit zu bringen. In diesen Fällen steht zu befürchten, dass auf politische Gegner zugegriffen wird, um eine entsprechende Betätigung in der DRK zu verhindern. In allen anderen Fällen besteht keine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die exilpolitischen Betätigungen zu einer politischen Verfolgung führen können.

Von einer ernstzunehmenden Gegnerschaft kann nur ausgegangen werden, wenn die Aktivitäten einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sind oder zumindest bekannt werden können und der Betroffene damit aus der Masse der übrigen Asylbewerber deutlich hervortritt, so dass den Regierungsstellen bewusst ist, dass mit diesen Aktivitäten nicht letztlich nur ein Bleiberecht im Ausland erreicht werden sollte. Dies kann, wobei allerdings letztlich stets die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu würdigen sind, etwa anzunehmen sein, wenn innerhalb einer in deutlicher Gegnerschaft zu den Kabila-Regierungen befindlichen Oppositionspartei ein Amt bekleidet bzw. eine Funktion ausgeübt wurde oder sonstige Tätigkeiten entfaltet wurden, die nachhaltig über die bloße Mitgliedschaft in der Partei oder die üblichen Parteiaktivitäten hinausgehen, wenn also, wie es das OVG Saarlouis in einem kürzlich ergangenen Urteil (vom 14. Januar 2002 - 3 R 1/01) plastisch ausdrückt, der Asylbewerber "ein eigenes Gesicht" gezeigt hat. Eine solche exponierte Aktivität kann auch in Form von regimekritischen Auftritten in Medien wie Funk und Fernsehen oder in Pressekonferenzen, Diskussionen o.ä. gesehen werden, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind.

Dagegen führen nach Überzeugung des Senats unterhalb dieser Schwelle liegende Verhaltensweisen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgungsgefahr in der DRK. Dazu gehören zunächst die in Verbindung mit einem Auslandsaufenthalt stehende reine Asylantragstellung und die bloße Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei ebenso wie darüber hinausgehende normale Parteiaktivitäten, etwa die Teilnahme an gegen die Kabila-Regierungen gerichtete Demonstrationen und Kundgebungen als einer unter vielen, selbst wenn dabei für die Öffentlichkeit bestimmte regimekritische Flugblätter verteilt und Resolutionen verfasst werden. Entsprechendes gilt ferner für das Verfassen von Zeitungsartikeln oder Schreiben an Regierungsstellen bzw. an den jeweiligen Präsidenten, auch wenn in diesen eine Gegnerschaft zum bestehenden Regime zum Ausdruck gebacht wird. Denn alle diese Aktivitäten werden von den kongolesischen Regierungsstellen dahin gewertet werden, dass sie in erster Linie asyltaktischen Überlegungen entspringen, indem nämlich - auch und gerade aus Gründen der noch zu beschreibenden schlechten Versorgungslage in der DRK - ein Bleiberecht im Ausland erreicht werden sollte. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich viele der heutigen Regierungsmitglieder selbst jahrelang im Exil aufgehalten haben und durchaus einzuschätzen vermögen, dass ein regimekritisches Verhalten im Ausland häufig lediglich dem Ziel dient, ein Bleiberecht zu erhalten (vgl. in diesem Zusammenhang: AA, Auskunft vom 6. Oktober 2000 an den VGH Mannheim und Auskunft vom 13. Oktober 1999 an das VG Stuttgart).

Der hilfsweise gestellte Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG festzustellen, ist ebenfalls unbegründet.

Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 bis 3 AuslG liegen ersichtlich nicht vor.

Eine Erkankung oder sonstige Gründe, die einer Abschiebung in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG entgegenstehen könnten, hat der Kläger nicht geltend gemacht.

Dem Kläger kann auch nicht in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - und damit über den nach Satz 2 der Vorschrift begrenzten Anwendungsbereich hinaus - Schutz vor Abschiebung gewährt werden.

Es lässt sich nicht feststellen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahenlage geriete und dem baldigen (vgl. zur notwendigen Unmittelbarkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98-, NVwZ 1999, 668) sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Diese Einschätzung gilt für den Normalfall eines im Wesentlichen gesunden Menschen, der sich nach seiner Abschiebung auf Grund seines längeren Aufenthalts in Deutschland in einem guten Ernährungszustand befindet.

Es ist nach den vorliegenden Erkenntnissen zwar nicht zweifelhaft, dass - auf das gesamte Staatsgebiet bezogen - die wirtschaftliche Lage verheerend und die Grundversorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet ist. Für die Region Kinshasa kann aber festgestellt werden, dass sich die Versorgungslage zwischenzeitlich deutlich gebessert hat, wie sich aus Folgendem ergibt: Während das Auswärtige Amt im Lagebericht vom 5. Mai 2001 (S. 22 ) noch ausführte, dass sich die schon zu Beginn des Jahres 2000 angespannte Versorgungslage in Kinshasa weiter verschlechtert habe, heißt es im Lagebericht vom 23. November 2001 (S. 21, 22), dass nach einer im September 2001 veröffentlichten Untersuchung der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Kinshasa die Versorgung mit Lebensmitteln für die Bevölkerung in Kinshasa zwar schwierig sei, jedoch dank verschiedener Überlebensstrategien - so trügen z.B. vor allem Frauen und Kinder mit Kleinsthandel zum Familienunterhalt bei - in der Bevölkerung keine akute Unterversorgung wie etwa in anderen Hungergebieten Afrikas herrsche. Die gleiche Einschätzung sei Ende September 2001 vom Büro der Welternährungsorganisation FAO in Kinshasa zu erhalten gewesen. Dem widerspricht nicht der genannte Bericht der britischen Hilfsorganisationen. Denn er bezieht sich vor allem auf das Rebellengebiet und gilt nicht gleichermaßen für die Hauptstadt Kinshasa. Insoweit wird nämlich ausgeführt, dass dank der Reformen des Präsidenten Joseph Kabila sich die Wirtschaft in den vergangenen Monaten etwas erholt habe, wovon allerdings nur die Hauptstadt profitiere, während das übrige Land verarmt und zerrüttet sei. In ihrer Auskunft vom 24. Oktober 2001 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellt die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kinshasa fest, dass es trotz einer Arbeitslosenquote von etwa 90 % dem überwiegenden Teil der Bevölkerung Kinshasas weiterhin gelinge, den Lebensunterhalt zu finanzieren. Die sich aus der Not entwickelnden Mechanismen des Überlebens seien vielgestaltig und auf die von Fall zu Fall ganz unterschiedlichen Verhältnisse zugeschnitten.

Nach alledem ist es für den Senat nachvollziehbar - und dies ist Grundlage seiner Überzeugungsbildung - dass das Auswärtige Amt in seiner erst kürzlich ergangenen Auskunft vom 28. März 2002, insoweit noch über die Einschätzung im Lagebericht vom 23. November 2001 hinausgehend, feststellt, es bestehe aufgrund der Versorgungslage mit Nahrungsmitteln in Kinshasa und Umgebung weder für männliche noch für weibliche Personen die konkrete Gefahr, aus Mangel an Nahrungsmitteln nicht überleben zu können. Deshalb ist, und dies gilt auch für alleinstehende Frauen oder sogar für Mütter mit minderjährigen Kindern - auch Kleinkindern -, von einer noch ausreichenden Versorgungslage auszugehen, die die Annahme eines mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr nach Kinshasa drohenden Hungertodes verbietet.

Auch die in Kinshasa bestehende medizinische Versorgungslage rechtfertigt nicht die Annahme des Bestehens einer extremen Gefährdungslage. Die daraus erwachsenden Gefahren drohen grundsätzlich der gesamten Bevölkerung bzw. bestimmten Gruppen innerhalb der Bevölkerung und unterfallen damit ebenfalls dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98-, aaO).

Allerdings befindet sich das Gesundheitswesen in der DRK allgemein in einem sehr schlechten Zustand. Die staatlichen Krankenhäuser sind heruntergewirtschaftet oder aber geplündert. Die staatlichen Krankenhäuser sind aufgrund ihrer geringen Anzahl, ihrer schlechten Ausstattung und infolge der unzureichenden hygienischen Verhältnisse nicht in der Lage, im erforderlichen Umfang - insbesondere bei komplizierten Eingriffen - die Kranken im ausreichenden Maß zu versorgen. Die ärztliche Versorgung in Kinshasa ist jedoch grundsätzlich gewährleistet. Die meisten Krankheiten können in Kinshasa behandelt werden. Nach den Erkenntnissen ist auch die Versorgung mit Medikamenten gesichert.

Allerdings besteht weder ein Krankenversicherungssystem noch eine freie staatliche Gesundheitsfürsorge. Bei abhängig Beschäftigten zahlen in der Regel die Arbeitgeber die Behandlungskosten. Angesichts der Arbeitslosenquote von über 90 % dürfte dies auf einen Rückkehrer jedoch nur ausnahmsweise zutreffen. In den anderen Fällen müssen die Behandlungskosten von der Großfamilie aufgebracht werden. Nur für zahlungskräftige Patienten - was ebenfalls als Ausnahmefall einzustufen ist - stehen hinreichend ausgestattete private Krankenhäuser und fachkundige Ärzte zur Verfügung (Lagebericht vom 23. November 2001, S. 22).

Angesichts dieser Situation wird die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung im Wesentlichen von so genannten Nicht-Regierungsorganisationen, u.a. den Kirchen, getragen. Wenngleich die Patienten bzw. ihre Angehörigen auch hier für die Behandlung aufkommen müssen, sind die Kosten jedoch deutlich niedriger als etwa in Deutschland, weil von den Kirchen im Wesentlichen essentielle Medikamente eingesetzt werden (Auskunft des Missionsärztlichen Instituts Würzburg vom 6. November 2000 an das VG München).

Zusammenfassend ist der Senat der Überzeugung, dass trotz der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in der DRK infolge der mangelhaften Versorgungslage sowohl hinsichtlich der Ernährung als auch der medizinischen Verhältnisse - auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf Zeitungsberichte angeführten teilweise äußerst beengten Wohnungsverhältnisse - eine extreme Gefahrenlage nicht besteht.

Schließlich kann dem Kläger auch nicht wegen einer ihm nach Rückkehr in die DRK möglicherweise drohenden Erkrankung an Malaria Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zugebilligt werden.